Künstliche Intelligenz
Ethik und Regulierung als Bremsklötze?
Künstliche Intelligenz gilt als Königsdisziplin der Digitalisierung. Hier sollen Deutschland und die EU nach dem Willen der Bundesregierung global führen. Doch: Während Europa noch denkt, handelt China bereits – quasi ohne Limits.
Veröffentlicht:Entscheidet die Digitalisierung über das Wohl und Wehe Deutschlands? Nach Lesart der alten und neuen großen Koalition scheint das so zu sein. Anlässlich der IT-Fachmesse Cebit sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel 2016 schon: "Das sind die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts: die Daten."
Mit Blick auf die hiesige Situation schränkte sie dann ein: "Und in der Tat tut sich Deutschland an manchen Stellen noch schwerer als andere Länder, diese Daten auszuwerten." Bei der letztjährigen Auflage der Messe mahnte sie schon, die Digitalisierung beeinflusse unsere Wirtschaft so stark wie kaum etwas anderes. "Neue Entwicklungen beim 3D-Druck, in der Robotik und in der Künstlichen Intelligenz revolutionieren bisherige Produktionsprozesse und ganze Wertschöpfungsketten", hieß es in ihrem Grußwort.
Zwei Jahre nach der Erkenntnis, Daten seien der Rohstoff des 21. Jahrhunderts, legte nun Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nach. "Wir wollen Deutschland und Europa zu einem weltweit führenden Standort bei Künstlicher Intelligenz machen. Bis zum Digital-Gipfel im Dezember dieses Jahres werden wir hierfür eine nationale Strategie erarbeiten. Bereits heute sind wir spitze in der KI-Forschung, nun müssen wir auch spitze in der Anwendung werden", erläuterte Altmaier nach Ministeriumsangaben bei der Welcome Night (wir berichteten).
KI kennt keine Gemütlichkeit
Die größte Herausforderung für den Alten Kontinent ist die rasante Geschwindigkeit, mit der die Entwicklung von Big Data und Künstlicher Intelligenz (KI) vorangetrieben wird. Liefert die Regierung im Dezember ihre nationale Strategie, ist bereits ein weiteres Halbjahr vergangen. Die Strategie wird sicher auch die in Deutschland und in der EU zu setzenden ethischen Leitplanken sowie deren Umsetzung in der KI europäischer Genese thematisieren – und vielleicht die Einsetzung einer Kommission empfehlen, während für die Forscher und Anbieter noch immer keine klaren Regeln gelten, die Uhr aber tickt.
Auch die EU mutet in puncto KI eher wie ein Tanker denn ein Schnellboot an. So empfiehlt zum Beispiel die European Group on Ethics in Science and New Technologies (EGE), ein unabhängiges Beratungsgremium des Präsidenten der EU-Kommission, die Kommission möge eruieren, ob sich neue regulatorische Anforderungen oder Aufsichtserfordernisse ergeben, um die Einhaltung der ethischen und moralischen Ansprüche im Zusammenhang mit KI, Robotik und autonomen Systemen seitens der Forschung und Industrie angemessen überwachen zu können.
"Künstliche Intelligenz, Robotik und autonome Systeme können Prosperität bringen, zu einem Wohlbefinden beitragen und helfen, die gesteckten, europäischen moralischen Wertvorstellungen und sozioökonomischen Ziele zu erreichen, wenn sie klug entworfen und eingesetzt werden", heißt es bedeutungsschwanger in einem im März veröffentlichten EGE-Statement.
Auch das EU-Parlament ignoriert geflissentlich das Tempo, mit dem vor allem China, Japan, Südkorea und Singapur KI, Robotik sowie das Mega-Trendthema Mensch-Maschine-Kollaboration – die mit Menschen interagierenden Systemlösungen werden Cobots oder auch Corobots genannt – vorantreiben.
Es lässt die Mühlen langsam mahlen und forderte die Kommission im Februar 2017 in einer Entschließung auf, Regeln für Robotik und KI vorzulegen. Es plädiert für die Einrichtung einer Europäischen Agentur für Robotik. Die Abgeordneten konstatierten, dass in zahlreichen Ländern Standards für Roboter in Planung sind. Die EU müsse bei der Festlegung von Standards die Führung übernehmen statt sich später den Normvorgaben anpassen zu müssen, die von Drittstaaten gesetzt würden.
Das EU-Parlament vertritt die Ansicht, "dass der bestehende EU-Rechtsrahmen modernisiert und gegebenenfalls um ethische Vorgaben ergänzt werden sollte, die der Komplexität der Robotik und ihren zahlreichen gesellschaftlichen, medizinischen und bioethischen Implikationen Rechnung tragen", wie es in der Entschließung heißt.
Bis Europa gekreißt und vielleicht ein KI-Mäuslein geboren haben wird, werden sich China und andere Länder vielleicht schon im Post-KI-Zeitalter befinden – denn KI kennt keine Gemütlichkeit. Davon konnte sich auch Merkel im Rahmen ihrer jüngsten China-Reise Ende Mai überzeugen, als sie in Shenzhen das Biotech-Start-up iCarbonX besuchte, das seit drei Jahren an einer auf KI und Big Data basierenden Plattform zur Gesundheitsförderung und -vorsorge arbeitet.
Ethik in China – allenfalls ein Lippenbekenntnis
Die Plattform könnte eines der Instrumente sein, mit denen Staatspräsident Xi Jinping seine neue Welt des sozialen Chinas – totale Kontrolle mit dem im Westen umstrittenen Sozialpunktekonto als Rückgrat – verwirklichen will. Zugleich will er das Reich der Mitte bis 2025 auf vielen innovativen Kerntechnologiefeldern führend sehen – unter anderem in der Medizintechnik und – robotik, der Biotechnologie sowie der KI. Xi erhofft sich davon eine Verringerung der Abhängigkeit Chinas von ausländischen Anbietern.
Insgesamt soll China, so Xis expliziter Wille, bis 2049 – dem Zentennium der Kommunistischen Partei als Staatslenker – vor den USA zum globalen Technologieführer werden. Ethik spielt dabei allenfalls als wohlfeiles, rechtsunverbindliches Lippenbekenntnis im Dialog mit dem Westen eine Rolle. Hier müssen Deutschland und Europa die Dringlichkeit ihres Handelns in puncto KI-Leitplanken für Forschung und Industrie erkennen.