Streit um Vorurteile

Ein Arzt möchte im Transitzentrum Deggendorf keine Flüchtlinge mehr behandeln: Sie hätten sich "fordernd und frech" verhalten und Spezialtherapien gefordert. Andere in der Flüchtlingsversorgung tätige Ärzte warnen vor pauschalen Vorwürfen.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:
Viele Ärzte versorgen seit Jahren Flüchtlinge.

Viele Ärzte versorgen seit Jahren Flüchtlinge.

© absolutimages / stock.adobe.com

DEGGENDORF/MÜNCHEN. Das "Transitzentrum" für Flüchtlinge in Deggendorf sorgte in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen, weil ein Arzt seine Arbeit dort beenden will. Gegenüber der "Zeit" äußerte sich der Mediziner kritisch über die Patienten, die wohl eher Medizintouristen als Flüchtlinge seien.

Einige Patienten, so der Arzt, hätten sich "fordernd und frech" verhalten, und spezielle Therapien gefordert, wie etwa Gelenkersatz. Ein Patient soll handgreiflich geworden sein und den Mediziner bedroht haben.

An der Einrichtung in Deggendorf sind derzeit an zwei Standorten insgesamt 650 Menschen untergebracht, deren Bleibeperspektive die Behörden als gering einstufen. Ein weiterer Arzt hat angekündigt, ebenfalls das Handtuch zu werfen.

In Bayern arbeiten noch viele andere Ärzte und Organisationen in der Versorgung von Flüchtlingen. Sie warnen vor Pauschalisierung. "Wir machen diese Erfahrungen nicht", sagte Francois De Keersmaeker, Direktor von Ärzte der Welt, der "Ärzte Zeitung". Ärzte der Organisation bieten seit Jahren Sprechstunden für Flüchtlinge an, teilweise direkt an Gemeinschaftsunterkünften in München

 Dass es in Einzelfällen Konflikte geben könne, könne er nachvollziehen, so De Keersmaeker. Ähnlich sieht es Pädiater Dr. Mathias Wendeborn von den Refudocs, die ebenfalls an mehreren Gemeinschaftsunterkünften tätig sind. Ein Fehlverhalten könne vereinzelt vorkommen, so wie bei allen Menschen. "Das ist keine besondere Eigenschaft von Geflüchteten", so Wendeborn der "Ärzte Zeitung".

Bei den meisten verlaufe die Behandlung gut. "Viele Menschen sind froh", berichtet der Arzt. Gebe es Hürden, sei das meist die Sprache oder verschiedene Vorstellungen von Gesundheit. Darauf weise eine laufende Refudocs-Umfrage unter bisher 150 Ärzten hin.

Krankmachender Stress in Lagern

Zudem dürfe bei schwierigen Einzelfällen der Kontext nicht übersehen werden. Oft sei das eine Unterbringung in Großlagern, mit vielen Personen in kleinen Zimmern, monotonem Alltag, ohne Zugang zu Arbeit oder Ausbildung, und mit stets betonter, mutmaßlich geringer Bleibeperspektive. Auch De Keersmaeker äußert sich kritisch zu den Sammelunterkünften.

Er habe dort schon vor zwei Jahren Krankheiten gesehen, die Bewohner erst durch den Stress entwickelt hätten. "Die Situation in diesen Lagern ist sehr stressig", bestätigte Dr. Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat der "Ärzte Zeitung".

Auf Bewohner werde oft Druck ausgeübt, "freiwillig" in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Soziale und rechtliche Beratung finde kaum statt. Alle zwei, drei Tage rücke Polizei an, um Menschen abzuschieben. Seien die Betroffenen nicht im Zimmer, werde die ganze Etage durchsucht, oft mitten in der Nacht.

Polizeihundertschaft angerückt

Erst am Montag war das Transitzentrum Deggendorf in den Fokus der Medien geraten, da eine Polizeihundertschaft angerückt war, um zehn Personen abzuschieben. Die Polizei bezog sich als Erklärung auf die Ereignisse in Ellwangen, wo vor Kurzem eine Abschiebung am Widerstand der Bewohner gescheitert war. Dünnwald weist darauf hin, dass für viele Flüchtlinge eine Abschiebung mit extremer Angst verbunden sei.

Wir haben auch Security-Mitarbeiter im Wartezimmer, aber wir brauchen sie fast nie.

Dr. Mathias Wendeborn

Pädiater, Refudocs

Der Flüchtlingsrat schätze auf der Basis vieler persönlicher Kontakte die Zahl der Selbstverletzungen und Suizide auf einige hundert pro Jahr. Dass Ärzte vereinzelt ihrerseits Schutz benötigen könnten, sieht Wendeborn als grundsätzliches Versorgungsthema. "Wir haben auch Security-Mitarbeiter im Wartezimmer, aber wir brauchen sie fast nie", resümiert er.

Der stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes Dr. Markus Beier äußert sich positiv. Er ist in einer Gemeinschaftspraxis in Erlangen tätig. Etwa 1000 Flüchtlinge seien in der Umgebung dezentral untergebracht. Die Hausärzte und viele andere seien sofort in ihre Versorgung einbezogen worden.

Konflikte oder "Lagerkoller" habe es nie gegeben. "Es gibt überhaupt keine Probleme", sagte Beier der "Ärzte Zeitung". In Deggendorf soll die Versorgung nun laut der Regierung von Niederbayern neu organisiert werden. "Es ist geplant, dass die medizinische Grundversorgung im BTZ, Standort Deggendorf, ab 01.06.2018 von einer Gruppe von Ärzten arbeitsteilig sichergestellt wird", so Pressereferentin Katharina Kellnberger.

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