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Göttinger Arzt klagt auf Entschädigung
Ein freigesprochener Chirurg fordert vom Land Niedersachsen über eine Million Euro Entschädigung für elf Monate, die er in Untersuchungshaft verbringen musste.
Veröffentlicht:Braunschweig/Göttingen. Wieviel Haftentschädigung steht dem Chirurgen zu, der im Prozess um den Göttinger Transplantationsskandal angeklagt war und freigesprochen wurde? Mit dieser Frage wird sich am Montag, 5. Oktober, das Oberlandesgericht Braunschweig in einer Berufungsverhandlung beschäftigen. Der heute 53 Jahre alte Arzt hatte 2013 rund elf Monate in Untersuchungshaft verbracht, bevor der Haftbefehl gegen die Zahlung einer Kaution von rund 500.000 Euro außer Vollzug gesetzt wurde. Der Strafprozess vor dem Landgericht Göttingen endete nach 20 Monaten im Mai 2015 mit einem Freispruch.
Generalstaatsanwaltschaft legte Berufung ein
Der Arzt forderte daraufhin wegen der erlittenen Untersuchungshaft vom Land Niedersachsen eine Haftentschädigung von rund 1,2 Millionen Euro. Zunächst hatte sich in erster Instanz das Landgericht Braunschweig im September 2019 mit der Schadensersatzklage befasst.
Die Zivilkammer gab dem Chirurgen im wesentlichen Recht und verurteilte das Land Niedersachsen zur Zahlung von nicht ganz 1,.17. Millionen Euro. Gegen diese Entscheidung hatte die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig Berufung eingelegt. Deshalb wird sich nun der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts mit dem Fall befassen.
Deutlich höhere Entschädigung verlangt
Nachdem der Freispruch im Strafprozess rechtskräftig geworden war, hatte das Land dem Arzt für die erlittene Untersuchungshaft eine Entschädigung von 8500 Euro gezahlt. Außerdem erhielt der Mediziner die hinterlegte Kaution zurück. Der Chirurg verlangte jedoch eine deutlich höhere Entschädigung.
Er begründete dies damit, dass er aufgrund der Inhaftierung eine ihm zugesagte Stelle als Chefarzt in einem Krankenhaus in Jordanien mit einem Monatsgehalt von 50.000 Dollar nicht habe antreten können.
Außerdem habe er durch die Finanzierung der Kaution einen Zinsschaden erlitten. Seitens des Landes Niedersachsen wurde dagegen bestritten, dass der Chirurg tatsächlich in dem Krankenhaus angestellt worden wäre und ein derart hohes Gehalt bezogen hätte.
Keine schriftliche Vereinbarung vorgelegt
Tatsächlich hatte der Mediziner in der ersten Verhandlung vor dem Landgericht keine schriftliche Vereinbarung über die angebliche Stellenzusage vorgelegt. Trotzdem gab die Kammer seiner Klage weitgehend statt. Dem Gericht reichte es aus, dass ein leitender Arzt der betreffenden jordanischen Klinik in einer Anhörung die Angaben des Klägers bestätigt hatte.
Der ärztliche Leiter der Klinik hatte ausgesagt, dass der Vertrag nach dem für Anfang 2013 vorgesehenen Arbeitsantritt des Chirurgen habe fixiert werden sollen. Vertragliche Details kenne er nicht, dafür seien der Klinikleiter und der Geschäftsführer zuständig gewesen.
Die Klinik habe damals ein Transplantationszentrum aufbauen wollen, das der Chirurg leiten sollte. Dieses Transplantationszentrum, so der Zeuge, sei aber nie realisiert worden. Der Kläger und frühere Oberarzt sei inzwischen an der jordanischen Klinik tätig, allerdings nicht als Chefarzt, sondern als Belegarzt.
Die Richter der ersten Instanz hielten die Angaben des Zeugen für glaubwürdig. Die Generalstaatsanwaltschaft will in der jetzt anstehenden Berufungsverhandlung insbesondere die von der Zivilkammer vorgenommene Beweiswürdigung überprüfen lassen.
Damals nicht strafbare Handlung
Der heute 53 Jahre alte Arzt war als Transplantationschirurg am Göttinger Universitätsklinikum tätig gewesen. Ende 2011 wurde das Arbeitsverhältnis aufgehoben, weil sich der Verdacht erhärtet hatte, dass es Manipulationen bei der Vergabe von Spenderorganen gegeben hatte. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelte zunächst wegen des Verdachts von Korruptionsdelikten.
Im Januar 2013 kam der Arzt wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft, elf Monate später wurde der Haftbefehl gegen Zahlung einer Kaution von 500.000 Euro außer Vollzug gesetzt. Er musste sich dann in einem Strafprozess wegen versuchten Totschlages in elf Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen vor dem Landgericht Göttingen verantworten.
Der Mammutprozess vor dem Schwurgericht endete nach 20 Monaten mit einem Freispruch. Die Manipulation medizinischer Daten sei zwar moralisch verwerflich, zum damaligen Zeitpunkt aber nicht strafbar gewesen, urteilten die Richter. Der Bundesgerichtshof bestätigte später den Freispruch. (pid)