Gastbeitrag
Keine Desinfektion - hohes Schmerzensgeld
Vor einer Injektion muss die Einstichstelle desinfiziert werden. Eine Notärztin, die sich bei einem Hausbesuch nicht daran gehalten hat, muss jetzt 10 000 Euro Schmerzensgeld zahlen.
Veröffentlicht:Auch bei vermeintlich unproblematischen Injektionen sind die ärztlichen Standards zu beachten. Und auch in Notfällen haben die Standards grundsätzlich eingehalten zu werden. Es werden in Notfallsituationen lediglich geringere Anforderungen gestellt. Das geht aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg hervor (Az.: 1 U 86/08). Die Richter verurteilten eine Notärztin dazu, 10 000 Euro Schmerzensgeld an eine Patientin zu zahlen.
Der Grund: Die Notärztin hatte vor einer Injektionsbehandlung keine Desinfektion durchgeführt. Die Folge: eine Sepsis. Die Patientin musste sechs Wochen lang stationär behandelt werden, überwiegend intensivmedizinisch; das Absterben von Bindegewebe an beiden Unterarmen führte zu Verwachsungen und Narbenbildungen.
Beim Quaddeln sind Einweghandschuhe nötig
Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass beim sogenannten "Quaddeln" eine Desinfektion der Hände des behandelnden Arztes und das Anlegen von Einweghandschuhen erforderlich sei. Vor der Injektion sei zudem die betroffene Hautstelle des Patienten gründlich zu desinfizieren - bei Verwendung eines Desinfektionssprays durch Besprühen, Wischen und erneutes Sprühen sowie einer nachfolgenden mindestens dreißig Sekunden anhaltenden Einwirkzeit.
Dies gelte, so das Oberlandesgericht Naumburg, auch bei einem notärztlichen Einsatz in häuslichem Umfeld! Auch in Notfällen, also wenn die Zeit drängt, sind die ärztlichen Sorgfaltspflichten zu beachten! Freilich ist der zu fordernde ärztliche Standard der jeweiligen Notlagesituation anzupassen. Es kann hier nur die in Notfällen übliche Versorgung erwartet werden - wobei das, was als "üblich" angesehen werden kann von jedem Einzelfall an sich abhängt. Hier ist der Arzt angehalten fortlaufend abzuwägen, in welchem Umfang die medizinischen Standards noch beachtet werden können. Sobald sich ein Ende der Notsituation abzeichnet, steigt der Grad dessen, was verlangt werden kann, umgehend wieder an.
Behandlungsschritte müssen dokumentiert werden
Im Haftungsfall hat der Patient Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Haftung kommt dann in Betracht, wenn die Aufklärungspflicht oder die Behandlungspflicht verletzt wurde. Sollte ein Patient beabsichtigen, die Ansprüche geltend zu machen, so muss er grundsätzlich die Verletzung des medizinischen Standards als Behandlungsfehler, den eingetretenen Schaden und die Ursächlichkeit des Fehlers für den Schaden darlegen.
Wird eine Pflichtverletzung jedoch nachgewiesen, so greift für die übrigen Voraussetzungen die Beweislastumkehr des Paragrafen 280 Abs. 1 S. 2 BGB. In diesem Fall wird der Arzt mit der Pflicht belastet zu beweisen ordnungsgemäß gehandelt zu haben. Zu der Beweislastumkehr kommt es ebenso, wenn ein grober Behandlungsfehler vorgeworfen wird und der Patient einen eingetretenen Schaden darlegen kann (BGH NJW 2002, 2944; 2001, 2792).
Aus diesem Grund ist es unbedingt erforderlich die Behandlungsschritte sorgfältig zu dokumentieren, denn die Haftung kann sich bereits auf eine fehlerhafte bzw. unzureichende Dokumentation stützen. Der Umfang der ärztlichen Dokumentationspflicht bestimmt sich nach den Dokumentationszwecken. In Betracht kommen etwa Therapiesicherung, Beweissicherung und Rechenschaftslegung über die erbrachten medizinischen Leistungen. Es genügen regelmäßige Stichworte, solange ein nachbehandelnder Arzt daraus die für die weitere medizinische Behandlung erforderlichen Informationen erhalten kann. Ein "Schweigen" der Dokumentation wird so ausgelegt, dass eine Maßnahme nicht durchgeführt oder ein vom Patienten geäußerter Hinweis nicht beachtet wurde. Wer eine Injektion ohne ausreichende Desinfektion durchführt, begeht in der Regel einen Behandlungsfehler und ist für diesen haftbar. Das Urteil des OLG Naumburg konkretisiert in besonderer Weise die enormen Sorgfaltspflichten, die dem behandelnden Arzt auferlegt sind.
Gefahr für das Leben - dann sinkt die Sorgfaltspflicht
Der behandelnde Arzt muss deshalb ständig neu abwägen, welche Konsequenzen dem Patienten durch die Nichtbeachtung der Sorgfaltspflichten drohen und welche negativen Folgen die Beachtung dieser Pflichten (beispielsweise durch den Zeitverlust) mit sich bringt. Als Faustformel gilt: "Je größer und akuter die Gefahr für das Leben - oder andere äußerst wichtige Gesundheitsmerkmale - , desto eher sinken die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten."
Dr. Frank A. Stebner ist Fachanwalt für Medizinrecht in Salzgitter.