Wissenschaftskarriere adé
Lieber Landarzt als Forscher
Dr. Andreas Russ will ein Leben als renommierter Forscher aufgeben, um Hausarzt in einer Kleinstadt im Norden Deutschlands zu werden. Warum, das hat er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" erzählt.
Veröffentlicht:NORTORF. Dr. Andreas Russ hat in Oxford mit Nobelpreisträgern zusammengearbeitet. Über seine Arbeit in der Grundlagenforschung hat er in renommierten Wissenschaftsjournalen publiziert, und seine Karriere hätte er bequem und abgesichert weiterführen können.
Russ hat all das eingetauscht gegen eine allgemeinmedizinische Einzelpraxis in der schleswig-holsteinischen Provinz.
Zum ersten Januar übernimmt er die Praxis von Hausarzt Jan Burhenne in Nortorf, einer Kleinstadt zwischen Nord- und Ostsee mit 6600 Einwohnern. Russ will selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten, das ist für den 51-Jährigen der wichtigste Grund für den einschneidenden Kurswechsel.
Um herauszufinden, ob er nach 20 Jahren vorwiegend wissenschaftlicher Tätigkeit wieder täglich klinisch tätig sein wollte, arbeitete er zunächst einige Monate auf Probe in einer Landarztpraxis.
"Das ging sehr leicht von der Hand", beschreibt Russ diese Zeit deshalb entschloss er sich, die in den 90er Jahren begonnene Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin wieder aufzunehmen.
Nach zweieinhalb Jahren als Weiterbildungsassistent in Norderstedt schloss er 2014 mit der Facharztprüfung ab. "Medizin ist ein wenig wie Fahrrad fahren. Man verlernt nicht, die richtigen Fragen zu stellen", sagt er.
Des Seglers intensive Suche
Vor dem Wechsel hat er sich intensiv nach einer Praxis umgesehen. Privat war dem Segler die Nähe zu Gewässern wichtig, außerdem sollte Hamburg nicht zu weit entfernt sein. Bei der Suche hatte er Kontakt zu über 20 Hausarztpraxen zwischen Föhr und Fehmarn.
Ein Jahr lang hat er sich informiert und umgeschaut. Mit vielen Praxen hat er nur telefoniert, verschiedene persönlich besucht, in einigen zur Probe gearbeitet.
"Für fast alle gab es einige gute Argumente, aber erst in Nortorf stimmte alles: die Beziehung zum Vorgänger und zum Personal, die Organisation und Auslastung und die Arbeit in einer Praxisgemeinschaft", sagt Russ.
Und: "Wenn man ein paar Mal Probe gearbeitet hat, bekommt man schnell einen Eindruck davon, ob eine Praxis gut geführt ist. Das ist hier ohne Zweifel der Fall."
Als Beispiele nennt er die Abläufe in der Praxis, die Mitarbeiter, die gut geführte Patientendokumentation und die Kooperation mit einer zweiten Einzelpraxis in Praxisgemeinschaft. Auch die 1400 Patienten im Quartal, die Burhenne lange Zeit allein betreut hat, haben ihn nicht abgeschreckt.
Seit April arbeiten die beiden Ärzte im Job-Sharing und teilen Arbeit, Honorar und Kosten. Zum ersten Januar übernimmt Russ die Praxis und stellt seinen Vorgänger dann für 1,5 Tage in der Woche an.
"Das ist für mich besser, als ganz aufzuhören", sagt der 65-jährige Burhenne.
1986 hat er sich in dem Ort niedergelassen, zunächst in Gemeinschaftspraxis, dann in Praxisgemeinschaft. "Ich habe es nie bereut, selbstständig zu sein", sagt er rückblickend.
Um seine Nachfolge hat er sich kaum kümmern müssen. 2013 hat er sich bei der KV als abgabewillig gemeldet. Zusammen mit zahlreichen anderen Praxen bekam Russ diesen Kontakt aus Bad Segeberg.
Dass viele Kollegen weniger Glück bei ihren Bemühungen um Nachfolger haben, liegt nach Beobachtung von Burhenne auch an der Darstellung des Berufs durch die Hausärzte selbst.
"Es sind viele Vorurteile im Umlauf. Unsere Arbeitsbedingungen sind viel besser, als es oft dargestellt wird. Wir tun viel zu wenig, um die attraktiven Seiten unseres Berufs nach außen zu zeigen", ist seine Meinung.
Vorteile als Praxisinhaber
Das breite Tätigkeitsspektrum, die freien Entscheidungen als Praxisinhaber, keine Wochenenddienste, geregelter Nachtdienst und den vergleichsweise sicheren Praxisumsatz als Hausarzt nennt Burhenne als Beispiele für die positiven Seiten.
Und mithilfe einer leistungsfähigen Praxis-EDV hält er auch die oft als Nachteil angeführte Bürokratie für beherrschbar.
Die fehlende Teamarbeit in einer Einzelpraxis - von jüngeren Ärzten oft als Makel empfunden - lässt sich am Standort durch die Zusammenarbeit mit einer zweiten Einzelpraxis im Praxisgebäude ein wenig ausgleichen.
Russ muss auch nicht befürchten, dass er in wenigen Jahren die Nortorfer Bevölkerung allein versorgen muss, sieben weitere Hausärzte praktizieren hier noch. Und auch der Ort selbst ist offenbar attraktiv genug.
Eigentlich wollte Russ von seinem 45 Minuten entfernten Wohnort Hamburg pendeln - inzwischen hat er sich eine Wohnung in der Kleinstadt genommen.