Patienten sehen sich als Kunden und fordern Beratung

Das Arzt-Patienten-Verhältnis wandelt sich. Anweisungen zum Gesundwerden sind out. Ärzte sind mehr und mehr als Ratgeber gefragt.

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Beratungsbedürftig: Dieser Patient erwartet mehr als Diagnose und Therapie.

Beratungsbedürftig: Dieser Patient erwartet mehr als Diagnose und Therapie.

© Werner Heiber / panthermedia

KÖLN (iss). Für Patienten wird die Servicequalität von Arztpraxen immer wichtiger - viele niedergelassene Ärzte stellen sich aber nicht auf diese Entwicklung ein. Das zeigt die Analyse von Patientenbefragungen bei Allgemeinmedizinern aus den Jahren 2000 und 2010.

Das Institut für betriebswirtschaftliche Analysen, Beratung und Strategie-Entwicklung (IFABS) in Düsseldorf hat die Ergebnisse von 100 Befragungen in Allgemeinarztpraxen aus den beiden Jahren verglichen und insgesamt fast 10.000 Fragebögen einbezogen.

Dabei sollten die Patienten sich zu sechs Bereichen äußern: Empfang, Praxiswirkung, Organisation, Betreuung, Information und Praxisleistung. Sie konnten einstufen, wie wichtig einzelne Merkmale für sie sind und wie die Praxis unter diesem Gesichtspunkt abschneidet.

Während sich die Bewertung der Punkte Betreuung und Praxisleistung zwischen 2000 und 2010 nicht sehr stark veränderte, gab es bei allen anderen Bewertungsaspekten einen klaren Trend: "Die Wichtigkeit ist gestiegen, aber die Zufriedenheit gesunken", sagt IFABS-Leiter Klaus-Dieter Thill der "Ärzte Zeitung".

Bei den Begleitfaktoren zur eigentlichen medizinischen Leistung möchten Patienten zunehmend als Kunden behandelt werden, sagt Thill. "Die Patienten stellen an die Arztpraxis inzwischen dieselben Anforderungen wie an andere Dienstleistungen", so Till. An den meisten Praxen sei dieser Einstellungswandel aber anscheinend fast völlig vorüber gegangen.

Die Veränderungen zeigen sich auch an einem anderen Punkt, berichtet er. Bei den Antworten auf offene Fragen haben sich acht Merkmale herauskristallisiert, die vor zehn Jahren noch keine Rolle spielten, heute aber in mehr als der Hälfte der Bogen verwendet werden: Ambiente, Bedienung, Beratung, Professionalität, Komfort, Kompetenz, Kundenfreundlichkeit und Service.

Gerade das Thema Beratung sei für viele Patienten von zentraler Bedeutung, sagt Thill. "Der Arzt ist nicht mehr die Instanz, bei der man sich Anweisungen zum Gesundwerden abholt."

Lesen Sie dazu auch den Hintergrund: Ärzte gefragt als Partner

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Kommentare
Dr. Holger Marguc 08.03.201114:44 Uhr

Beratung wird immer wichtiger...

Das Thema Beratung nimmt immer breiteren Raum ein, das ist eine Entwicklung, die schon seit Jahren zu beobachten ist.
Im Bereich Gynäkologie wurden gerade wichtige Beratungsziffern gestrichen, was einer Gehaltseinbuße von ca. 30% entspricht. Das gesamte Thema Empfängnisregelung, zu dem auch alle Aspekte der Familienplanung gehören, soll nun erörtert und beraten werden, obwohl die Honorierung komplett gestrichen wurde. Das ist nur ein Aspekt. Im hausärtzlichen Bereich wird es sicher ähnliche Beispiele geben.
Eine Gesundheitsberatung bedarf einer Mindestzeit. Es ist also in der Regel nicht möglich, diese "mal eben so zwischendurch" abzuhalten.
Was als "Arzt an der Front" zunehmend nervt, ist, dass sich irgendwelche "Etappenheinis" ständig neue Bewertungsmaßstäbe einfallen lassen, um den scheinbaren Wert eines Arztes zu bestimmen. Man verzeihe mir den martialischen Vergleich.
Ich habe neulich einer Patientin, die um Beratung nachsuchte (und diese selbstverständlich auch in aller epischen und medizinischen Breite erhalten hat) erzählt, was ich für sie als RLV ansetzen dürfe. Sie hat im wahrsten Sinne den Unterkiefer nicht mehr hoch bekommen. Als gesetzlich versicherte Gattin eines selbständigen Heizungsbauers sagte sie nur: "Dafür würde MEIN Mann keinen Finger krumm machen".
Noch Fragen zu Thema?

Helmut Karsch 08.03.201108:00 Uhr

Implikation zur Semantik und Lebenswirklichkeit (Wohlbefinden im Leistungsvergleich)

Dass das keine Utopie ist, wird sichtbar, wenn sich die größte Krankenkasse "Gesundheitskasse" nennt, um Marktvorteile zu erringen. Ökonomisch ist das sinnvoll, denn es ist wirtschaftlicher, Gesunde als Kranke zu versichern.
Das ist die neue Welt der Gesundheitsversorgung: Der selbstbewusste Kunde, ehemals Patient, schlendert lässig über den Gesundheitsmarkt und prüft die verschiedenen Angebote sorgfältig, bevor er sich für eine Leistung entscheidet. Leistungserbringer, ehemals Ärzte oder Therapeuten, werben mit ihren Angeboten um Kunden und stellen sich verschärftem Wettbewerb untereinander. Patienten und Therapeuten, Leiden und Behandlung, sind aus dem Blick geraten; Leiden würde das freie Spiel ökonomischer Kräfte stören. Problematisch an dieser Vision ist, dass sich das Leiden nicht aus dem Leben entfernen lässt, weil es unvermeidlich dazugehört und alle Menschen früher oder später auf helfende Begleitung (Therapie) angewiesen sind.
Der Zynismus des Neusprechs wird besonders deutlich, wenn anlässlich der Kritik an der Gesundheitspolitik aus der Politik ein Geschrei entsteht das Therapeuten und Ärzte drohend auffordert, sie sollten nicht vergessen, dass sie "ihre Kunden frei Haus geliefert" bekämen. In der Sprache der Krankenbehandlung, in der Welt des Leidens und seiner Behandlung ist das eine höhnische Beschreibung. Sie steht in schamlosem Kontrast zur Erfahrung eines leidenden Menschen, der sich mit Schmerzen und Angst, vielleicht unter Überwindung von Scham, einem helfenden Begleiter (Arzt, Therapeuten) anvertraut, das heißt sich in Behandlung begibt, weil er sich selbst nicht mehr zu helfen weiß. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass wir absehbar Krankheit und Leid und deren Behandlung auf dem semantischen Weg in Kundensupport mit up- oder downgrade Wahlmöglichkeit definieren werden. Klingt irgenwie angenehmer.

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