Behandlungsreisen
Schrumpfkurs bei Medizintourismus überrascht Deutschlands Kliniken
Deutsche Kliniken verzeichnen einen Aufschwung bei zahlungskräftigen Patienten für elektive Eingriffe aus Russland. Bei den Golfstaaten mussten sie 2017 einen herben Rückschlag erleiden – Nachwirkungen auch einer schlechter Zahlungsmoral.
Veröffentlicht:SANKT AUGUSTIN. Das Geschäft mit Patienten, die gezielt aus dem Ausland für elektive Eingriffe nach Deutschland kommen, hat sich in den letzten zehn Jahren nach anfänglichen Wachstumsschwierigkeiten stabilisiert – auf rund eine Viertelmillion jedes Jahr. Für 2017 bilanziert Jens Juszczak, bei der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) Leiter des Forschungsbereichs Medizintourismus, nun rund 247.500 Medizintouristen aus 177 Ländern, die sich ambulant oder stationär in Deutschland behandeln ließen.
Gegenüber Vorjahr bedeute dies einen Rückgang um zwei Prozent. Dem deutschen Gesundheitssystem bescherten die Auslandspatienten 2017 Einnahmen von etwa 1,2 Milliarden Euro, so Juszczak.
Vor Jahresfrist gab sich der Medizintourismusexperte noch optimistisch für die Entwicklung des Segments für 2017. „Rückmeldungen aus einzelnen Krankenhäusern deuten auf eine Stabilisierung der Nachfrage hin“, schätzte er damals im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.
In der Ukraine sei es bereits zur Trendumkehr gekommen, hier seien die Patientenzahlen 2016 gegenüber 2015 um fast acht Prozent gestiegen. Aufgrund der im Jahr 2017 in Kraft getretenen Visafreiheit dürfte sich dies in den Folgejahren fortsetzen, prognostizierte Juszczak.
Lichtblicke Ukraine und Kasachstan
Damit sollte er Recht behalten. Denn im russischsprachigen Markt zeichnet sich ein Lichtblick ab. Die meisten Mitgliedstaaten der GUS hätten sich 2017 wieder positiv entwickelt – allen voran Kasachstan (+ 37 Prozent), die Ukraine (+19 Prozent) sowie Russland (+8 Prozent). Aus der Russischen Föderation kämen mittlerweile mehr Patienten als aus allen Golfstaaten zusammen, verdeutlicht Juszczak.
Die elektiven Patienten aus den Golfstaaten sind nach seiner Einschätzung auch der Hauptgrund für den – nicht erwarteten – neuen Rückgang der Zahl der Medizintouristen im Jahr 2017. Juszczak spricht von einem „erneuten massiven Einbruch der medizinischen Behandlungsreisen aus einigen Golfstaaten: Kuwait (-62 Prozent), Saudi-Arabien (-36 Prozent) sowie Oman (-28 Prozent)“.
In den einst spendablen arabischen Ländern, die für die Behandlung ihrer Landsleute jährlich hunderte Millionen Euro bereitstellen, findet derzeit ein Umdenken statt. „Es wird nicht mehr alles ungeprüft bezahlt“, so Juszczak. „Die Kostenträger kontrollieren Rechnungen deutscher Ärzte und Kliniken jetzt viel genauer und sanktionieren Verstöße, indem sie weniger Patienten schicken“, ergänzt er.
Im Korsett von DRG und GOÄ
Bis in die jüngste Vergangenheit hinein hatten die Gesundheitsministerien der entsprechenden Golfstaaten bestimmten Patienten relativ problemlos einen Aufenthalt in einer ausländischen Klinik arrangiert – und auch finanziert. Denn in Deutschland werden Kliniken für die Behandlung inländischer Patienten genauso honoriert wie für die von Medizintouristen – auf Basis von DRG und GOÄ.
Und das bei einem höheren Personalaufwand, den Medizintouristen verursachten. Nun in Kenntnis der rechtlichen Abrechungsmodalitäten, seien die staatlichen Stellen nicht mehr bereit, andere Abrechnungsbestandteile wie zum Beispiel eine Servicepauschale zu begleichen.
Ein weiterer Knackpunkt sei nicht selten die Zahlungsmoral. Den betreffenden medizinischen Einrichtungen im Akut- und Rehabilitationsbereich drohen lange Wartezeiten auf ausstehende Beträge oder gar Rückforderungen zuviel gezahlter Gelder. Dies schließe auch Provisionszahlungen an Patientendienstleister ein. Seit mehreren Jahren setzten daher die meisten Anbieter auf Vorkassevereinbarungen, die im Kostenvoranschlag zur Behandlung niedergelegt seien, wie Juszczak erläutert.
Am stärksten Auslandspatienten verloren haben nach H-BRS-Berechnungen Berlin (-14 Prozent) und Baden-Württemberg (-9 Prozent). Die Nachfrage aus der Golfregion habe sich in diesen Bundesländern halbiert – besonders schwerwiegend sei der Aderlass bei Patienten aus Kuwait gewesen (-79 Prozent bzw. -70 Prozent).
Ein schlechtes Image und schwindendes Vertrauen vor allem beim Thema Leistungsabrechnung würden auch in den Folgejahren voraussichtlich zu einem anhaltenden Rückgang der Behandlungszahlen von der Arabischen Halbinsel führen, prognostiziert der Medizintourismusexperte nun.
„Das internationale Geschäft ist eben kein Selbstläufer, wie mancher Klinikchef behauptet“, mahnt Gesundheitsökonom Juszczak.