Medizintourismus
Globaler Verteilungskampf
Im Spannungsfeld zwischen Qualität und Preis: Patienten rund um den Globus werden mobiler. Immer mehr Länder buhlen um deren Gunst. Im Fokus stehen dabei meist elektive Eingriffe. Deutschland nimmt eine Sonderrolle im Medizintourismusgeschäft ein.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Zur ästhetisch-plastischen, Herz-, Zahn- oder Augen-Op nach Kolumbien, Mexiko, Südkorea, Thailand, Südafrika oder Dubai? Immer mehr Länder dieser Welt investieren kräftig in ihre Healthcare-Infrastruktur und schreiben sich die medizinische Kompetenz ihrer ärztlichen Spezialisten auf die Fahne, um gezielt Patienten aus dem Ausland anzuziehen.
So erhebt Dubai zum Beispiel den offiziellen Anspruch, weltweit zur am schnellsten wachsenden Destination für Medizintourismus zu werden. Im Rahmen der im April 2014 verabschiedeten Medizintourismusstrategie des Emirates hat, wie es die offizielle Website verrät, Kronprinz Scheich Hamdan Bin Mohammed Bin Rashid Al Maktoum die Dubai Health AUTHORity (DHA) verantwortlich dafür erklärt, den Medizintourismus weltweit zu promoten.
Unter den Zielvorgaben findet sich auch der Auftrag, Dubai als eine weltweit anerkannte Destination für elektive Eingriffe und Wellnessanwendungen zu etablieren - als Marktführer in der Region.
Zielgruppe ist ein zahlungskräftiges Klientel, das sich für solche Eingriffe gerne ins Ausland begibt, da die heimische Infrastruktur - falls überhaupt vorhanden - eine nur minderwertige Qualität verspricht.
Rückgrat der medizinischen Exzellenz sollen die Kliniken der teils noch im Bau befindlichen Dubai Healthcare City sein, die das dann größte zusammenhängenden Gesundheitsareal der Welt werden soll. In vielen Fällen wird es sich um Dependancen renommierter ausländischer Institutionen handeln.
Drei unterschiedliche Patiententypen
Generell lassen sich die Medizintouristen in drei Kategorien klassifizieren, wie Jens Juszczak, bei der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg Leiter des Forschungsbereichs Medizintourismus, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" erläutert. Der erste Typ ist die obige Zielgruppe, die auf eigene Rechnung höchste Qualität einfordert.
Der Preis für die Leistung ist für sie dabei nachrangig. Zweitens gibt es die Patienten, die gezielt ins Ausland fahren, um dort bei elektiven Eingriffen von massiven Preisvorteilen gegenüber dem Heimatland zu profitieren.
Drittens folgen Patienten, die aufgrund langer Wartelisten im eigenen Land ins Ausland gehen und dort - zum Beispiel basierend auf der EU-Richtlinie 2011/24/EU, der Patientenmobilitätsrichtlinie, - auch auf Kassenkosten den notwendigen Eingriff vornehmen lassen.
Der dritte Patiententypus spielt im globalen Medizintourismus eine eher untergeordnete Rolle, da hier weniger der monetäre denn eher der Versorgungsaspekt im Vordergrund steht. Zudem ist dieser Teil des Medizintourismus - zumindest aus deutscher Patientensicht - mit großer Skepsis behaftet.
Wie zum Beispiel aus der Europabefragung der Techniker Krankenkasse im Jahr 2010 hervorgeht, hatten von 13.276 Mitgliedern, die eine EU-Auslandsbehandlung in Anspruch genommen hatten, nur 3512 einen geplanten Eingriff. Nur sieben Prozent der Versicherten, die sich im EU-Ausland haben behandeln lassen, unterzogen sich nach eigenen Angaben zwei verschiedenen Eingriffen.
Haupthinderungsgrund könnte die Sprachbarriere sein: Denn 87 Prozent der im Ausland behandelten TK-Mitglieder gaben an, mit ihrem Arzt auf Deutsch kommuniziert zu haben. Nur 30 Prozent der Versicherten, die sich noch keiner medizinischen Behandlung im Ausland unterzogen hatten, gaben an, sich dies vorstellen zu können.
Die Vereinigung Deutscher Ästhetisch-Plastischer Chirurgen (VDÄPC) zeigt sich skeptisch gegenüber dem Lockruf aus Osteuropa & Co nach billiger Schönheits-Op etc.
"Während ausländische Patienten Deutschland vorwiegend aufgrund der hohen Qualitätsstandards und Fachkompetenz der Ärzte für ihren ästhetischen Eingriff aufsuchen, werden deutsche Patienten vor allem durch Werbung mit billigen Preisen und hohen Versprechungen - was bei uns richtigerweise nicht nur geächtet, sondern vom Gesetz zum Schutze der Patienten sogar verboten ist - angelockt", beobachtet VDÄPC-Präsident Professor Johannes C. Bruck, selbst Facharzt für ästhetisch-plastische Chirurgie in Berlin.
Eine Umfrage des von der Fachgesellschaft anerkannten Kontakt- und Informationsportals estheticon.de unter VDÄPC-Mitgliedern im September 2013 hatte ergeben, dass insgesamt 77 Prozent der Fachärzte selbst schon Medizintouristen behandelt hatten - der Gesamtanteil bei allen relevanten Eingriffen habe bei 4,8 Prozent gelegen.
Gleichzeitg hätten 70 Prozent der Ärzte angegeben, bereits deutsche Patienten nach einem ästhetisch-plastischen Eingriff im Ausland revidiert zu haben.
Die meisten Reoperationen seien nach Aufenthalten der Patienten in Tschechien, Polen und der Türkei notwendig geworden. Im Schnitt hatte jeder VDÄPC-Facharzt im Jahr zuvor vier solche Fälle in seiner Praxis.
Nach den Hauptrisiken des Medizintourismus für deutsche Patienten gefragt, gaben die Schönheitschirurgen an erster Stelle an, dass die Fachkompetenz eines Operateurs schwer oder nicht eindeutig überprüfbar oder gar nachweisbar sei.
An zweiter Stelle folgt der Hinweis, dass ein zu kurzer Auslandsaufenthalt die erforderliche Betreuung bei möglichen Komplikationen erschwere.
Mehr als 100.000 Dollar Ersparnis
In der 2011 für die OECD erstellten wissenschaftlichen Studie "Medical Tourism: Treatments, Markets and Health System Implications" beobachten die Autoren, dass es beim Medizintourismus einen eindeutigen Fokus auf das Segment gibt, in dem Patienten aus reicheren und entwickelteren Ländern in weniger entwickelte Länder reisen, um sich vor allem für einen wesentlichen Kostenvorteil im Vergleich zum Heimatland einem medizinischen Eingriff zu unterziehen.
Flankiert werde dies mit günstigen Flugkosten und breit verfügbaren Informationen zum Eingriff via Internet. Im Mittelpunkt des Patienteninteresses stünden dabei die Zahnbehandlung, die kosmetische Chirurgie, die elektive Medizin sowie die Reproduktionsmedizin.
Als Beispiele für die Kostenersparnis - exklusive Hotel- und Flugkosten - beziffern die Autoren für 2011 mehr als 100.000 US-Dollar. So habe eine koronare Bypass-Op (CABG) in den USA damals im Schnitt 113.000 Dollar gekostet, in Thailand 13.000 und in Mexiko gar nur 3250.
Der Herzklappenersatz wurde in den USA mit 150.000 Dollar veranschlagt und sei mit 9000 Dollar am günstigsten in Malaysia zu erhalten gewesen. Weniger Ersparnis habe es zum Beispiel bei Brustimplantaten gegeben: Hier führte Singapur mit 8000 Dollar die Liste vor den USA mit 6000 Dollar an, in Kuba kostete der Eingriff im Schnitt 1248 Dollar.
Kein Wunder also, dass immer mehr Länder im offiziellen Werben um Auslandspatienten auf die Kostenvorteile bei elektiven Eingriffen abheben - verbunden mit einem touristischen Angebot im Anschluss an den Eingriff.
Schönheits-Op und Urlaub als Gewinn
Auf die Spitze treibt es derzeit Thailand, das das Ziel verfolgt, in Asien Destination Nummer eins zu werden, wenn es um Medizintourismus geht. Um den Medizintourismus anzukurbeln, sponsert die Regierung im Rahmen der Aktion "Thailand Extreme Makeover" derzeit sogar Schönheits-Operationen.
So können drei Patienten aus dem Ausland im Zuge einer Verlosung je eine plastisch-chirurgische Op sowie eine anschließende Reise durch Thailand gewinnen.
Wie die deutsche Außenhandelsagentur Germany Trade & Invest (gtai) beobachtet hat, tätigen vor allem die privat betriebenen Kliniken in Thailand massive Investitionen in gut ausgebildetes Personal und Medizintechnik, um auf das im internationalen Vergleich höchste Niveau zu kommen.
Etwas mehr Seriosität als Thailand legt Südkorea an den Tag. Unter dem Motto: Visit Medical Korea wirbt die Korea Tourism Organization um Medizintouristen. Inhaltlich geht es um hochwertige medizinische Eingriffe sowie Behandlungen mit Traditioneller Koreanischer Medizin.
Seit dem offiziellen Start des Programms im Jahre 2009 seien binnen fünf Jahren 634.969 Touristen für eine medizinische Behandlung in Korea gewonnen worden, davon allein 211.218 im Jahre 2013.
Obamacare als Impulsgeber
In den nächsten Jahren könnte der weltweite Medizintourismusmarkt noch eine erhebliche Dynamik erfahren - durch die Obamacare genannte Gesundheitsreform in den USA.
Wie die Medical Tourism Association (MTA) - nach eigenen Angaben die erste und einzige internationale Non-Profit Handelsvereinigung für den Medizintourismus - prognostiziert, wird Obamacare, die eine massive Ausdehnung des Versicherungsschutzes anstrebt, zu einer deutlichen Erhöhung der monatlichen Beiträge für die Versicherten führen.
Da lohne es sich für US-Bürger immer mehr, eine Strafsteuer statt Prämien zu zahlen und das Ersparte anzusammeln - um sich zum Beispiel in Costa Rica einer wesentlich kostengünstigeren, aber qualitativ gleichwertigen Behandlung zu unterziehen.
Zertifizierung als Orientierungshilfe
Eine große Herausforderung bei der Auswahl des Krankenhauses respektive des behandelnden Arztes im Ausland stellt die Qualität der Leistungserbringer dar.
Die US-Seuchenbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) rät potenziellen Medizintouristen zum Beispiel, sich zu erkundigen, ob die ausgesuchte Einrichtung international anerkannt zertifiziert sei - beispielsweise mit dem Zertifikat der unabhängigen amerikanischen Joint Commission International (JCI).
Die Non-Profit-Organisation zertifiziert Gesundheitseinrichtungen in den USA. Für Kliniken außerhalb der Vereinigten Staaten finden sich auf der JCI-Website derzeit 763 Einträge zertifizierter Häuser. In Deutschland sind dies nur vier: das Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz, die DRK Kliniken Berlin, das Klinikum Chemnitz sowie das Kreiskrankenhaus Greiz.
Skepsis gegenüber offiziellen Zahlen
Auch Deutschland setzt - mit Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums - auf Patienten aus dem Ausland.
Unter der Überschrift "Medizinreisen nach Deutschland: höchste Kompetenz bei Kliniken und Rehabilitation", finden sich auf dem 2011 anlässlich des vom Deutschen Tourismusverband ausgerufenen Jahres des Medizintourismus etablierten Online-Portal Germany Travel in mehreren Sprachen für die verschiedensten Indikationen spezialisierte Ärzte und Krankenhäuser.
Wie Juszczak schätzt, ließen sich 2013 mehr als 97.000 Patienten aus 177 Ländern stationär und rund 144.000 ambulant in Deutschland behandeln. Bei Zahlen gibt sich der Medizintourismusforscher allerdings kritisch: "Eigentlich gibt es keine verlässlichen Zahlen zum globalen Medizintourismusgeschäft".
Denn zum einen würden nicht in allen Ländern Statistiken so akribisch erhoben wie in Deutschland. Zum anderen sei die Datenbasis fraglich. Denn auch in Deutschland hätten es die Kliniken selbst in der Hand, anzugeben, wie viele Patienten sie aus dem Ausland behandelt haben. Und so zählten viele Fälle von vor Ort verunfallten Patienten zu den Medizintouristen, obwohl der betreffende Eingriff nicht geplant gewesen sei.
Mangelnde Transparenz?
Ein potenzieller Schwachpunkt beim Werben deutscher Kliniken um Patienten aus aller Welt ist nach Ansicht des global ausgerichteten Think Tanks Diplomatic Council (DC) die mangelnde internationale Transparenz bei der Zertifizierung.
Eine Klinik-Zertifizierung nach den Kriterien der Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen (KTQ) bedeute international eben wenig.
Darauf weist die 2012 erstellte, interne Studie "Medical Tourism" des DC hin, die der "Ärzte Zeitung" vorliegt. "Die hiesigen Kliniken sind noch zu wenig auf internationale Patienten eingestellt", attestierte Dr. Bettina Horster, Vorsitzende des International Health Forum im DC, seinerzeit im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
Um potenziellen ausländischen Medizintouristen eine Orientierung zu geben, hat das DC in Zusammenarbeit mit dem international tätigen Krankenhauszertifizierer Temos das kostenlos erhältliche "Hospital Directory for international Patients in Germany" zur Verfügung gestellt. Für mehr als 150 Kliniken aus dem gesamten Bundesgebiet wird detailliert dargestellt, auf welche Fachgebiete sie spezialisiert und für welche ausländischen Patienten sie geeignet sind.
Das DC vergibt zwei Zertifizierungen für medizinische Einrichtungen mit einem Fokus auf internationale Patienten: "DC Preferred Partner Hospital" als höchste Qualifizierungsstufe, für die Fachleute eine Klinik nach in der Regel mehrmonatiger Abstimmungs- und Vorbereitungszeit über mehrere Tage hinweg ausführlich begutachten, und das "Approved for International Patients" basierend auf der qualifizierten Selbstauskunft einer Klinik.
Gedämpfte Euphorie bei Kliniken
Juszczak gibt weniger auf internationale Zertifizierungen zum Anwerben von Medizintouristen: "Eine KTQ-Zertifizierung sagt genug aus über die Qualität der Klinik. Das muss dem potenziellen Patienten nur adäquat vermittelt werden."
Zum einen sieht er somit Defizite der Kliniken, aber auch Vermittler, wenn es um die Aufklärung über die medizinische Exzellenz in Deutschland geht.
Zum anderen vernimmt er bei vielen Krankenhäusern auch eine gedämpfte Euphorie, die sich im Laufe der Jahre eingestellt habe. So seien viele Kliniken nicht mehr so aktiv in der Patientenakquise als noch vor zehn Jahren.
Das hat laut Juszczak zwei Ursachen: Auf der einen Seite hätten die meisten deutschen Kliniken inzwischen aus der Vergangenheit gelernt und würden sich nicht mehr auf Kostenübernahmeerklärungen von zum Beispiel Konsulaten verlassen.
Vorkasse statt Kostenübernahme
Hier habe es zum Teil besonders bei Patienten aus dem arabischen Raum, die oft über staatliche Institutionen, die auch die Kosten zu tragen hätten, zur Op ins Ausland verschickt werden, massive Probleme mit der Rechnungsbegleichung gegeben.
Nun setzten die meisten Anbieter auf Vorkassevereinbarungen, die im Kostenvoranschlag zur Behandlung niedergelegt seien.
Auf der anderen Seite schwebt nach Juszczaks Ansicht mit DRG und GOÄ ein strukturelles Problem wie ein Damoklesschwert über deutschen Kliniken. "Ein qualitativ hochwertiger Eingriff ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sogar recht günstig".
Denn in Deutschland werden Kliniken für die Behandlung inländischer Patienten genauso honoriert wie für die von Medizintouristen - auf Basis von DRG und GOÄ. Und das bei einem höheren Personalaufwand, den Medizintouristen verursachten.
Er habe hier sehr vorsichtige Schätzungen vorgenommen und sei auf 30 Prozent gekommen, die die Auslandspatienten den Kliniken an zusätzlichen Kosten generierten. Eine Servicepauschale, die das kompensieren könnte, sei bei der Abrechnung aber streng genommen tabu.
Die Schweiz zum Beispiel erlaube einen Zuschlag für die Behandlung von Medizintouristen. Länder wie Thailand regelten den Markt über eine komplett freie Preisbildung. So zahlten einheimische Patienten für denselben Eingriff nur ein Bruchteil dessen, was ein Auslandspatient zu berappen habe.