Patienten ab 60

Sinn und Zweck jeder dritten Arznei ist vielen unklar

Ältere Patienten, die dauerhaft fünf oder mehr Medikamente nehmen müssen, verlieren leicht mal den Überblick, wozu die Mittel eigentlich gut sind.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Fehlender Überblick bei mehr als vier Medikamenten? Das kommt bei älteren Patienten häufig vor.

Fehlender Überblick bei mehr als vier Medikamenten? Das kommt bei älteren Patienten häufig vor.

© Özgür Donmaz / photos.com

MAASTRICHT. Eine steigende Zahl an Medikamenten führt in der Regel zu einer sinkenden Therapieadhärenz. Fehlendes Wissen über den Zweck eines Medikaments wirkt in dieselbe Richtung. Bei älteren Patienten treffen Polypharmazie und Unkenntnis oft zusammen.

An dieses Problem erinnern Ärzte der Uni Maastricht. Sie haben in einer Studie herausgefunden, dass nur 15 Prozent der Hausarztpatienten ab 60 mit Multimedikation von jedem verordneten Mittel wissen, wozu sie es anwenden.

Die 754 Probanden im mittleren Alter von 73 Jahren waren der niederländischen Sprache mächtig und konnten sich selbst versorgen. 8,4 Prozent erhielten fünf Medikamente, die für die Studienaufnahme erforderliche Mindestzahl. Bei 42 Prozent waren es zehn und mehr, im Mittel waren es 9,2 verschreibungspflichtige Präparate.

Die Frage nach der Indikation einer Arznei galt als korrekt beantwortet, wenn die Patienten Zweck oder Organsystem zutreffend benennen konnten; bei einem Statin war also "für mein Cholesterin" ebenso richtig wie "für mein Herz".

Durchschnittlich konnten die Patienten für 65 Prozent ihrer Medikamente die Indikation korrekt bezeichnen. Bei 32 Prozent gaben sie an, den Zweck nicht zu kennen, bei 4 Prozent nannten sie eine falsche Indikation.

Zu 100 Prozent richtig lagen nur 113 Patienten (15 Prozent); immerhin 75 Prozent ihrer Medikamente korrekt zuordnen konnten 366 Patienten (48,5 Prozent) (Age and Ageing 2016; 45: 402-408).

Das Verständnis für die Therapie sank mit steigender Zahl der Medikamente und mit zunehmendem Alter. So kannten zum Beispiel 48 Prozent der Patienten mit fünf Medikamenten alle Indikationen, aber nur 4 Prozent der Patienten mit mindestens zehn Arzneien.

Patienten mit Partnern im Vorteil

Von den Patienten zwischen 60 und 69 traf das auf 18 Prozent zu, von den Patienten ab 80 aber nur noch auf 9 Prozent.

Außerdem waren Männer seltener in der Lage, sich den Zweck aller Medikamente zu merken (adjustierte Odds Ratio, aOR 0,53). Patienten, die mit einem Partner zusammenlebten, waren im Vergleich zu Alleinlebenden im Vorteil (aOR 2,11). Das Bildungsniveau hatte überraschenderweise keinen Einfluss auf den Kenntnisstand.

Das fehlende Wissen kann nach Einschätzung der Studienautoren um Donna Bosch-Lenders zu mangelnder Therapietreue und Anwendungsfehlern führen.

Um dies zu verhindern, sei es wahrscheinlich hilfreich, den Patienten einfache Erklärungen zu geben oder auch die Medikamentenbehältnisse mit gut erkennbaren Informationen oder Markierungen zu versehen.

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Wochenkolumne aus Berlin

Glaskuppel zum Koalitionsvertrag: Grau ist alle Theorie

Kommentare
Thomas Georg Schätzler 08.08.201612:13 Uhr

Fachärztliche Polypharmazie verwirrt nicht nur ältere Patienten, sondern auch Hausärzte!

Wenn im Mittel bei 9,2 unterschiedlichen verschreibungspflichtigen Medikamenten in den Niederlanden die Patienten nur für 65 Prozent ihrer Medikamente die Indikation korrekt bezeichnen können, ist das beim mittleren Alter von 73 Jahren eine intellektuelle Höchstleistung und der DemTecTest ist bestanden.

Dass dies bei 32 Prozent der Medikamente nicht zutraf und der Zweck der Medikation nicht bekannt war, liegt vielleicht schlicht und ergreifend daran, dass wie z. B. auch in Deutschland auf den meisten Packungen nicht mal korrekt aufgedruckt steht, wofür oder genauer wogegen diese Mittel eigentlich wirken sollen. 6 bis 12 Medikamente verwirrten besonders Patienten/-innen über 80 Jahre und allein lebende Männer.

In dieser Altersgruppe wüssten allerdings auch manche Ex-Regierungsmitglieder und -Bundestagsabgeordnete (von Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer mal abgesehen) nicht mehr, in welcher Partei und wofür oder wogegen sie eigentlich sind.

Insofern sind die Schlussfolgerungen ["Conclusion: among older patients using ?ve or more prescribed drugs, there was little understanding of the indications for their drugs, especially among patients taking the highest number of drugs, patients aged 80 or over, and men. Patients living independently with a partner were more knowledgeable than others"] von Jugendwahn und Überheblichkeit gegenüber dem Senium geprägt.

In Deutschland haben wir zusätzlich als spezielles Problem klinisch und ambulant unkoordinierte Facharztverordnungen ohne adäquate Rückmeldungen an den koordinierenden Hausarzt.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ein Hausarzt lädt in seiner Praxis Dokumente in eine elektronische Patientenakte.

© Daniel Karmann/dpa

Elektronische Patientenakte

Harte Sanktionen bei ePA-Nichtnutzung zunächst ausgesetzt