Staatsanwalt: Betrug an DRK-Kliniken war gut geplant

Wenn die Vorwürfe der Staatsanwälte stimmen, beläuft sich der Schaden in Berlin auf rund 25 Millionen Euro. Die KV Berlin erwartet mittlerweile weitere Enthüllungen in anderen MVZ.

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Im Fadenkreuz von Polizei und Staatsanwaltschaft: die Berliner DRK-Kliniken.

Im Fadenkreuz von Polizei und Staatsanwaltschaft: die Berliner DRK-Kliniken.

© dpa

BERLIN (af). Der Abrechnungsskandal um die DRK-Kliniken und ihre Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zieht weite Kreise. Einen Tag nach der Großrazzia in allen Einrichtungen der DRK-Kliniken, bei der DRK-Schwesternschaft und in vielen Privatwohnungen (wir berichteten) wird darüber spekuliert, ob der Verbund die Gemeinnützigkeit verlieren könnte. Dann müssten für mehrere Jahre Steuern nachgezahlt werden.

Die Staatsanwaltschaft wirft der früheren Geschäftsführung der Kliniken und der MVZ banden- und gewerbsmäßigen Betrug vor. Als im Juni die Kliniken das erste Mal durchsucht wurden, ging es um Abrechnungsbetrug. Von Assistenzärzten erbrachte Leistungen ließen sich die MVZ den Vorwürfen zufolge mit Chef- und Oberarzthonoraren entlohnen. Die Hinweise darauf waren von einer früheren Ärztin gekommen, die bei der Mauschelei nicht mitmachen wollte.

Seit gestern geht es auch darum, dass die Beschuldigten organisiert vorgegangen sein sollen. "Ich bin erstaunt, dass die Verantwortlichen eines großen Krankenhausträgers sich derart gezielt ein Extrabudget verschafft haben", so Oberstaatsanwalt Frank Thiel. Die Vorfälle spielen sich an der Sektorengrenze des Gesundheitswesens ab. Seit 2004 das GKV-Modernisierungsgesetz in Kraft getreten ist, dürfen Krankenhäuser MVZ gründen.

Im November des Jahres 2004 nahm das erste MVZ der DRK-Kliniken in Berlin-Mitte seine Arbeit auf. Für die Beschuldigten war dies der Zeitpunkt, ein System zu ersinnen, um aus den MVZ mehr herauszuholen, als eigentlich geht. Das wirft ihnen jedenfalls Thiel vor. Wenn es stimmt, was die Ermittler bisher zusammengetragen haben, dann haben sie das Gesundheitssystem um 20 bis 25 Millionen Euro betrogen.

Dafür brachten sie niedergelassene Ärzte, die zum Beispiel ihre Praxis aus Altersgründen aufgeben wollten, dazu, ihre Vertragsarztsitze in ein MVZ zu verlegen und sich dort anstellen zu lassen. Dieses Verfahren ist nicht unüblich. Die Gremien der Selbstverwaltung erhalten einen Antrag und den Anstellungsvertrag. Die Zulassungsausschüsse der ärztlichen Selbstverwaltung nicken den Wechsel dann ab.

Tatsächlich traten die Ärzte ihren Dienst offenbar gar nicht an. Dafür wollen die Ermittler bereits Beweise gefunden haben, schriftliche Nebenabreden, aus denen hervorgeht, dass die Arbeitsverträge nur zur Täuschung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) geschlossen wurden. "Das war für die Ermittlungsbehörden eine dankbare Situation", sagte Thiel.

Der zweite Teil des Betrugs war es offenbar, Fachärzte aller medizinischen Fachrichtungen aus den Kliniken als Vertragsärzte in den MVZ zu beschäftigen - oder dies jedenfalls gegenüber der KV so darzustellen. Möglicherweise wurde vor dem Inkrafttreten des neuen Arztrechts im Oktober 2006 Fachärzten gekündigt, damit sie zum Schein einen Vertragsarztsitz in einem der MVZ übernehmen konnten.

Der Betrug bestand dann darin, dass die MVZ über die Arztnummern der vermeintlich niedergelassenen Ärzte abgerechnet haben, während die Leistungen tatsächlich von oft dafür nicht einmal qualifizierten Jungärzten erbracht wurden.

Die Ermittler wollen nun nachweisen, dass die MVZ der DRK-Kliniken nie eine kassenärztliche Zulassung gehabt haben, weil die Betreiber von Anfang an darauf aus gewesen seien, ungerechtfertigte Honorare zu erschleichen. Gelinge dies, seien seit der Eröffnung des ersten MVZ zumindest bis Mitte des Jahres alle Honorare jeden Quartals als Betrugsschaden zu werten, sagte Thiel.

Mit Enthüllungen, dass bei anderen MVZ das Vertragsarztrecht ähnlich gebeugt wird, ist zu rechnen. Die KV Berlin hat zumindest in einem weiteren Fall bereits Anzeige erstattet.

Für Burkhard Bratzke, Vorstandsmitglied der KV Berlin, ist klar, dass MVZ mit angestellten Ärzten eigentlich nicht wirtschaftlich zu betreiben sind. Mehr als sein Gehalt könne ein angestellter Arzt im GKV-Bereich aufgrund der Einschränkungen durch das Individualbudget kaum erwirtschaften.

Lesen Sie dazu auch: Großrazzia in Berliner DRK-Kliniken und MVZ

Lesen Sie zu den Vorgängen im Juni: KV Berlin droht MVZ nach Razzia mit Zulassungsentzug Klinikchefs nach Großrazzia in Berlin verhaftet

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