Bundesverfassungsgericht

Suizidwunsch eines Häftlings ist ernsthaft zu prüfen

Das Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben gilt auch für Gefängnisinsassen, so jetzt das Bundesverfassungsgericht: Ein Antrag eines Häftlings müsse genau begutachtet werden.

Veröffentlicht:
Suizidwunsch eines Häftlings

Umfasst das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch eine menschenwürdige Art und Weise, es wahrzunehmen? Darüber wird auch vor den Gerichten noch gestritten.

© lettas / stock.adobe.com

Karlsruhe. Auch für Strafgefangene gilt das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“. Das geht aus einem aktuell veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hervor. Danach müssen Justizvollzugsanstalten und Gerichte einen diesbezüglichen Antrag eingehend prüfen.

Der zu zweifach lebenslänglichen Strafen verurteilte Beschwerdeführer ist seit über 35 Jahren in Haft. Er führt an, seine Haftsituation sei perspektivlos und ein „unerträgliches Leiden“. Resozialisierungsmaßnahmen in Form eines offenen Vollzugs würden ihm nicht gewährt. Er sei nur noch „bloßes Objekt staatlichen Handelns“. Weiterleben wollte er deshalb nicht mehr.

Im März 2020 beantragte er bei der Justizvollzugsanstalt (JVA), ihm ein selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen. Ihm solle gewährt werden, „auf eigene Kosten an die zum Sterben notwendigen Medikamente“ zu gelangen.

„Staatliche Leibeigenschaft“

Der Gefangene verwies dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020. Darin hatten die Verfassungsrichter klargestellt, dass das Grundgesetz ein „Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben“ gewährleistet. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schließe „die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte damit das strafbewehrte Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber müsse sicherstellen, „dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt“.

Im aktuellen Fall hatte der Häftling betont, dass er aus freiem Willen sterben wolle und keine psychische Erkrankung habe. Er wolle nur, dass ihm die todbringenden Medikamente ausgehändigt werden, damit er seine „staatliche Leibeigenschaft“ beenden könne.

Mit diesem Wunsch hatte er sowohl bei der Gefängnisleitung als auch vor Gericht keinen Erfolg. Es gebe zwar ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Ein Anspruch auf Aushändigung der Medikamente gebe es aber nicht. Denn dies müssten die Gefängnismitarbeiter tun, die das Ansinnen aus Gewissensgründen ablehnen könnten. Von staatlichen Stellen könne keine Suizidhilfe beansprucht werden.

Zu schnell abgebügelt

Doch so einfach durfte der Antrag des Mannes nicht abgelehnt werden, befand das Bundesverfassungsgericht. Es verwies das Verfahren zur weiteren Aufklärung an das Landgericht Kleve zurück. Der Häftling sei wegen einer unzureichenden Prüfung seines Antrags in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden.

Das Landgericht habe sich nicht einmal mit der Ernsthaftigkeit des Suizidverlangens befasst. Auch sei ungeklärt, wie sich der Strafgefangene seine Selbsttötung vorstellt und wie er an die hierfür notwendigen Medikamente zu gelangen gedenkt. Nur dann werde aber deutlich, in welchem Umfang eine Beteiligung der Gefängnis-Bediensteten überhaupt nötig würde.

Ungeklärt sei auch, ob der Häftling eine solche Mitwirkung überhaupt verlange. Zudem müsse sich das Landgericht mit der rechtlichen Frage befassen, ob sich die JVA und deren Personal überhaupt auf eine Gewissensentscheidung berufen können. (fl/mwo)

Bundesverfassungsgericht, Az.: 2 BvR 828/21

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Kommentar zum Pneumo-Impfstoffregress

Die (späte) Einsicht der Krankenkassen

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

S2k-Leitlinie

Husten – was tun, wenn er bleibt?

Lesetipps
Viele gesunde Lebnesmittel, darunter Gemüse, Lachs und Sesam, liegen auf einem Tisch.

© aamulya / stock.adobe.com

Leckere und gesunde Ernährung

Remission bei Morbus Crohn: Das glückt auch mit einer rein oralen Diät

Moderne Grafik eines Gehirns und eines Darms nebeneinander. Der Hintergrund ist mehrfarbig.

© KI-generiert watz / stock.adobe.com

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Psychische Erkrankungen begünstigen CED-Schübe

Ein Modell eines Herzens steht auf einem Tisch.

© Jonima / stock.adobe.com (Generi

DGK-Jahrestagung

Präzisionsmedizin: Die Kardiologie ist auf dem Weg