Digitale Assistenz

Tür auf für ein neues Praxismanagement

„Integrierte Versorgung“ als Modell ist in Deutschland nicht in die Gänge gekommen. Die Digitalisierung bietet aber die Chance für einen großen Wurf, meint unser Gastautor.

Prof. Dr. Bertram HäusslerVon Prof. Dr. Bertram Häussler Veröffentlicht:
Vernetzte Versorgung – digitale Lösungen würden es organisatorisch möglich machen. Bisher fehlt aber meist der Wille dazu.

Vernetzte Versorgung – digitale Lösungen würden es organisatorisch möglich machen. Bisher fehlt aber meist der Wille dazu.

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Das Gesundheitssystem kann insgesamt nur besser werden, wenn der Versorgungsprozess jedem Patienten individuell angepasst und aus seiner Perspektive gesteuert wird.

Hierzu wird neben einem digitalen Informationssystem auch eine neue Form von Dienstleistern erforderlich werden, die für die Patienten zu Ansprechpartnern bei allen auftretenden Fragen werden und den Behandlungsprozess mit den Einrichtungen koordinieren.

Nach 15 Jahren kann man sagen, dass nicht nur die elektronische Patientenakte gescheitert ist. Verfehlt ist auch, das deutsche Gesundheitssystem zu einer „Integrierten Versorgung“ umzugestalten und die berühmt-berüchtigten Schnittstellen abzubauen.

Die Gründe mögen vielschichtig sein. Entscheidend aber ist, dass zwischen den Einrichtungen und vielfach auch innerhalb der Einrichtungen keine verlässliche Kommunikation und Zusammenarbeit aufgebaut werden konnte.

Ein ähnlich großes Problem dürfte darin bestehen, dass medizinische Einrichtungen nicht auf Beratung und Patientensteuerung spezialisiert sind. In Reformansätzen wird daher versucht, geeignetes Personal in die Versorgung zu integrieren.

Dies scheitert aber nicht selten daran, dass der Einsatz sich wirtschaftlich nur dann lohnt, wenn Beratungskräfte durch eine größere Zahl von Einrichtungen ausgelastet werden – vorausgesetzt die Leistungen werden vergütet.

Zeitraubende Prozesse

Nun bietet die Digitalisierung die Chance, den informationellen Bedarf abzudecken. Eine digitale Plattform oder elektronische Patientenakte sind dafür bestens geeignet.

Wie aber können Beratungs- und Koordinierungsbedarf bedient werden? Wir gehen davon aus, dass dies durch eine moderne Form der Zusammenarbeit mit einem Service erfolgen kann, der sich assistierend zum Arzt-Patienten-Verhältnis hinzugesellt. Wie kann man sich das konkret vorstellen? Dazu ein Fall aus dem wirklichen Leben.

Eine 72-jährige Frau wird nach dem Bruch eines Mittelfußknochens im Krankenhaus mit einem Vakuumstiefel versorgt. Ein Orthopäde soll die weitere Versorgung übernehmen und nach der Entlassung die Heilung beurteilen.

Er akzeptiert aber keine direkte Inanspruchnahme, weshalb der Hausarzt die Patientin an ihn überweisen muss. Die Patientin muss daher für beide Ärzte Termine vereinbaren, um den Anweisungen des Krankenhauses folgen zu können.

Aufgrund der schlechten telefonischen Erreichbarkeit der Praxen dauert dies sehr lange und ist mit mehrmaligen Anrufen verbunden, weil die Praxisassistenten jeweils nicht alleine entscheiden können.

Der erste Besuch beim Orthopäden ist dann praktisch umsonst, weil dieser eröffnet, dass er nur mit einem Röntgenbild die Heilung beurteilen könne. Daher solle der Hausarzt zum Röntgen überweisen, was einen erneuten Besuch bei diesem notwendig macht.

Prozesse im Gesundheitssystem oftmals schlecht organisiert

Nachdem die Aufnahme fertig ist, muss das Bild abgeholt und zum Orthopäden transportiert werden. Doch die Patientin ist mehr oder weniger immobilisiert zu Hause und kann die Praxisbesuche nicht selbst erledigen. Ihre eigenen Versuche, das Geschehen zu koordinieren scheitern praktisch daran, dass sie per Telefon in den Praxen nichts erreichen kann.

Wenn sich nicht ihr Sohn persönlich um die Koordination kümmern würde, würde diese relativ simple Behandlungskette aufgrund rein organisatorischer Gründe abreißen.

Dieser noch harmlose, aber nicht ungewöhnliche Fall macht deutlich, wie schlecht oftmals Prozesse im Gesundheitssystem organisiert sind. Hohe Hürden verhindern eine sachgerechte Inanspruchnahme. Das medizinische Ergebnis kann darunter massiv leiden. So sieht die Wirklichkeit der „Integrierten Versorgung“ aus.

Wie könnte dies anders verlaufen? Zunächst einmal wäre da die elektronische Plattform, auf der alle den Behandlungsplan der Klinik finden würden. Dies reicht aber nicht aus, weil die Vermittlung zwischen den Einrichtungen nicht organisiert ist.

Wenn man dies nicht dem Zufall einer kompetenten und hilfsbereiten Familie überlassen, muss dafür eine neue, fachkundige Organisation geschaffen werden: ein professioneller Assistenz-Service. Erste Modelle dafür gibt es schon, ob sie nun „Concierge“, „MedGate“ oder „TeleClinic“ heißen.

Selbstverpflichtung zur Kooperation

Entscheidend wird sein, dass die Einrichtungen, die an einem digitalen Gesundheitssystem mitarbeiten, sich zur Kooperation mit dem Dienst verpflichten und für die Kommunikation mit ihm einen digitalen Kanal nutzen und einen Sprachkanal freihalten.

Der Assistent-Service würde im beschriebenen Fall alle Arzttermine sinnvoll koordinieren. Das Röntgenbild wird auf die Plattform hochgeladen, wo der Orthopäde den Entlassungsbericht mit Hinweisen zum Modell des Vakuumschuhs findet.

Der Kurzbericht des Orthopäden erscheint noch während der Konsultation auf der Plattform und steht damit für den Hausarzt bereit. Er kann Physiotherapie verordnen, die der Assistenz-Service organisiert.

Eine Kontrollkonsultation kann entfallen, wenn das weitere Röntgenbild ohne Befund ist. Die Befundung kann online erfolgen. Der Assistenz-Service wird einen Termin für eine Wiederholungsaufnahme organisieren und dafür sorgen, dass die Patientin diesen wahrnehmen kann. So könnte es funktionieren.

Schnittstellen würde man dabei nicht mehr wahrnehmen. Die Nerven aller werden geschont. Die berufstätigen Kinder der Patientin könnten sich auf Besuche bei der Mutter konzentrieren, wo es um andere Dinge geht als um den Kampf gegen Widrigkeiten.

Über kurz oder lang kann es nur ein solches System mit den zunehmenden Qualitäts- und vor allem Verfügbarkeitsproblemen des Gesundheitssystems aufnehmen, auch und gerade in weniger gut versorgten Gebieten. Auch die konventionelle Versorgung würde davon erheblich profitieren.

Es würde die Einrichtungen von einer Inanspruchnahme entlasten, die nicht der Gesundheit und nicht einmal der sozialen Kohärenz dienen, was von Verfechtern des Status quo oftmals als dessen große Leistung zugeschrieben wird. Ärzte könnten sich wieder um das kümmern, wofür sie ausgebildet sind: um die Gesundheitsprobleme ihrer Patienten.

Professor Bertram Häussler ist seit 2006 Vorsitzender der Geschäftsführung des Berliner IGES Instituts.

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