Akzeptabel oder nicht?

Wenn Ärzte vor Patienten weinen

Jeder zweite Arzt weint gelegentlich am Arbeitsplatz, jeder vierte sogar vor Patienten. Ist das schlimm? Das hängt von den Umständen ab.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Der Beruf des Arztes ruft immer wieder mal starke Emotionen hervor.

Der Beruf des Arztes ruft immer wieder mal starke Emotionen hervor.

© fotodesign-jegg.de / fotolia.com

TILBURG. Der Arztberuf kann sehr an die Nieren gehen. Eine Behandlung schlägt vielleicht fehl, ein Patient stirbt, eine furchtbare Diagnose wird gestellt.

Die Arbeit ruft entsprechend starke Emotionen hervor - nicht selten kullern dabei die Tränen.

Wie häufig das Ärzten passiert, haben klinische Psychologen um Kim Janssens von der Universität in Tilburg untersucht. Sie gewannen für ihre Umfrage 776 Ärzte über soziale Medien und Fragebögen, die sie an Kliniken schickten.

Insgesamt 48 Prozent der Teilnehmer gaben an, innerhalb des vergangenen Jahres am Arbeitsplatz geweint zu haben, knapp 26 Prozent taten dies sogar vor Patienten.

Frauen ließen dabei mehr als doppelt so häufig wie Männer ihren Tränen Lauf (58 versus 25 Prozent), dafür hielten sie sich vor Patienten etwas besser zurück - hier weinten sie seltener als Männer (23 versus 27 Prozent) (Medisch Contact 2015; 50: 2442-4).

Von den männlichen Ärzten weinten die Chirurgen am seltensten (13 Prozent), gefolgt von den Hausärzten (17 Prozent).

Unter den Frauen war der Anteil bei den Chirurginnen jedoch am höchsten (75 Prozent), gefolgt von Gynäkologinnen und Kinderärztinnen (69 Prozent).

Tränen werden unter Kollegen meist akzeptiert

Dürfen Ärzte vor Patienten weinen?

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Die meisten der befragten Ärzte sehen solche emotionalen Reaktionen nicht als Schwäche und halten sie auch nicht für unprofessionell - sie haben Verständnis dafür, dass starke Emotionen zu Tränen führen können.

Mehr als die Hälfte der Ärzte findet es sogar akzeptabel, dass ein Arzt manchmal in Anwesenheit eines Patienten weint. Sie sehen dadurch den Ruf des Arztes nicht beeinträchtigt, auch befürchten sie deswegen keine negativen Konsequenzen für die Therapie.

Als akzeptable Gründe gelten das Leid der Patienten oder eine Situation beim Patienten, die sie an persönliche Erlebnisse erinnert. Dagegen werden Tränen vor Patienten aufgrund persönlicher Umstände oder Probleme bei der Arbeit als inakzeptabel betrachtet.

Häufigste Gründe für den Tränenfluss waren in der Tat Trauer und Frustration sowie ein Gefühl der Hilflosigkeit bei der Arbeit mit Patienten. Mitgefühl mit den betroffenen Familien, aber auch Stress zu Hause oder bei der Arbeit spielten ebenfalls eine Rolle.

Die meisten der weinenden Ärzte stießen bei ihren Kollegen auf Verständnis, fühlten sich selbst anschließend aber wenig wohl: Sie sahen ihr eigenes Verhalten als Mangel an Professionalität und als Schwäche, viele schämten sich wegen ihrer Tränen.

Auch ein Gefühl der Verletzlichkeit und der Angst blieb oft zurück, schreiben die Psychologen um Janssens.

"Mitfühlen, aber nicht mitleiden"

Eine ähnliche Umfrage hat die Bloggerin Anne Gulland vom British Medical Journal vor einiger Zeit gewagt. Sie stellte in einem Ärzteforum die Frage, ob es in Ordnung ist, vor Patienten zu weinen.

Von 530 Teilnehmern der Umfrage fanden es fast zwei Drittel o.k. - abhängig von den Umständen. Die eine oder andere Träne aus Mitgefühl wurde akzeptiert, nicht aber unkontrolliertes Heulen.

Ein Viertel der britischen Ärzte war dagegen der Meinung, dass ein Doktor unter keinen Umständen vor Patienten weinen darf.

"Ein Arzt sollte seine Gefühle von den Patienten fernhalten. Diese erwarten Lösungen und aufmunternde Worte von einem Doktor. Ärzte brauchen Taktgefühl und Übung, um mit solchen Situationen klarzukommen", schrieb ein Teilnehmer. "Wir sollten mitfühlen, aber nicht mitleiden", bemerkte ein anderer.

Einige der Teilnehmer hielten es dagegen für unmöglich, ständig die Emotionen unter Kontrolle zu halten, viele fanden ein paar Arzttränen so lange in Ordnung, wie diese den Patienten trösten.

Hat der Patient jedoch das Gefühl, der Arzt brauche Trost, weil ihm sein Schicksal oder das eines Angehörigen näher geht als ihm selbst, dann sei das Weinen eher unangemessen.

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