Regress
Wirtschaftlichkeitsgebot greift auch ohne bindende Regel
Eine Ärztin muss Regress leisten, weil sie Blutermedikamente nicht direkt beim Hersteller bezog. Eine Pflicht dazu besteht nicht. Der Gesetzgeber hat diesen Vertriebsweg mit der Absicht ermöglicht, Kosten zu sparen. Das genügt dem Bundessozialgericht.
Veröffentlicht:KASSEL. Ärzte müssen umfassend wirtschaftlich verordnen und handeln. Die gesetzlichen Krankenkassen können das auch in solchen Fällen verlangen, für die es keine klaren Regeln oder Verbote gibt. So entschied jetzt das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.
Das Wirtschaftlichkeitsgebot sei "unmittelbar verpflichtend". Für den konkreten Fall heißt das, erfahrene Ärzte müssen Blutermedikamente ohne Umweg über die Apotheke direkt an ihre Patienten abgeben.
Eine Allgemeinärztin aus Sachsen-Anhalt muss nun über 16.000 Euro Regress bezahlen. Sie hatte einem Patienten mehrfach den Gerinnungsfaktor VIII Inters 1000 DFL verordnet.
Dabei hatte die Ärztin das Arzneimittel nicht selbst direkt beim Hersteller bestellt, sondern der Patient beschaffte es sich über eine öffentliche Apotheke.
Direktbezug seit 1998 möglich
Über die Dauer von vier Quartalen verursachte allein der Apotheken-Vertrieb Mehrkosten in Höhe von über 4000 Euro je Quartal.
Auf Antrag der Krankenkasse setzte der Prüfungsausschuss einen Regress von insgesamt 16.312 Euro fest. Der Beschwerdeausschuss bestätigt das.
Dagegen zog die Ärztin vor Gericht. Für einen solchen Regress gebe es keine rechtliche Grundlage.
Es gebe schließlich keine gesetzliche Pflicht, dass Ärzte Blutermedikamente direkt beim Hersteller bestellen. Umgekehrt gebe es auch keine Verpflichtung der Hersteller, Ärzte direkt zu beliefern.
Hintergrund des Regress-Streits ist eine 1998 ins Arzneimittelgesetz eingefügte Vorschrift. Demzufolge dürfen Pharmahersteller Gerinnungsfaktorenzubereitungen im Rahmen der ärztlich kontrollierten Selbstbehandlung von Blutern auch direkt an "hämostaseologisch qualifizierte Ärzte" abgeben.
Ziel des Gesetzgebers war es, Einsparungen bei diesen sehr teuren Medikamenten zu ermöglichen, indem die Handelsstufen Pharmagroßhandel und Apotheke außen vor bleiben.
Eine Pflicht für Ärzte, den Direktbezug zu wählen, ist allerdings gesetzlich nirgends festgeschrieben.
Erstinstanzlich noch im Recht
Erstmals hatten die Sozialgerichte daher nun zu entscheiden, ob Ärzten allein aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ein rechtlich grundsätzlich zulässiger Arzneimittel-Vertriebsweg verschlossen bleibt, weil es eine kostengünstigere Alternative gibt.
Das Sozialgericht Magdeburg hatte dies erstinstanzlich bejaht, das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt in Halle dagegen verneint. Es war dem Argument der Ärztin gefolgt, für den Regress gebe es keine rechtliche Grundlage.
Der Vertragsarztsenat des Bundessozialgerichts hob dieses Urteil nun wieder auf. Der Arzneimittel-Regress sei rechtmäßig, "weil die klagende Ärztin gegen das unmittelbar verpflichtende Gebot der Wirtschaftlichkeit verstoßen hat".
Die Ärztin habe umfassende Erfahrung mit der Behandlung von Blutern gehabt. Daher habe sie - auch für sie selbst erkennbar - die im Arzneimittelgesetz für den Direktbezug geforderte Qualifikation gehabt.
Weiterbildung kein Kriterium
Die heute mögliche formelle Zusatzweiterbildung Hämostaseologie gab es damals noch nicht. Nach dem Kasseler Urteil wäre sie auch heute wohl nicht Voraussetzung für den Direktbezug.
Denn der Gesetzgeber habe den Direktbezug nicht an eine Weiterbildung knüpfen können, die zum Zeitpunkt der Gesetzgebung noch gar nicht zu erwerben möglich war, so der Gedanke der Kasseler Richter.
Die Krankenkasse habe die Ärztin auch "ausdrücklich auf die Möglichkeit des Direktbezugs hingewiesen", betonten die BSG-Richter.
Besondere Umstände, die den Vertrieb über die Apotheke rechtfertigen könnten, lägen ebenfalls nicht vor. Daher war die Ärztin verpflichtet, den Direktbezug als "erheblich kostengünstigeren Bezugsweg zu wählen", urteilte das BSG.
Bundessozialgericht Az.: B 6 KA 18/14 R