Verbandmitteldefinition
Wundversorgung: Hersteller gehen auf die Barrikaden
Für bestimmte silber- oder PHMB-haltige Wundauflagen müssen Hersteller einen Nutzennachweis erbringen, um sie in der Erstattung halten zu können. Die Branche drängt auf klare Vorgaben und – pandemiebedingt – mehr Zeit.
Veröffentlicht:Berlin. Die Anbieter moderner Wundversorgungslösungen gehen angesichts der mit Inkrafttreten des entsprechenden GBA-Beschlusses zu Verbandmitteln und sonstigen Produkten zur Wundbehandlung zum 2. Dezember verengten Verbandmitteldefinition auf die Barrikaden.
Knackpunkt: Für alle vor dem 11. April 2017 bereits in den Markt gebrachten Produkte, die bislang als Verbandmittel erstattet und nun als „sonstige Produkt zur Wundbehandlung“ bezeichnet werden, wie silber- oder PHMB-haltige Wundauflagen, müssen die Hersteller – Stand jetzt – bis Anfang Dezember 2021 einen Nutzennachweis erbringen, um diese Produkte in der Erstattungsfähigkeit halten zu können. Die betroffenen Produkte, die nach dem Stichtag in den Markt eingeführt wurden, können Ärzte bereits seit dem 2. Dezember dieses Jahres nicht mehr auf Kasse verordnen.
Bei den drohenden Engpässen in der Wundversorgung durch die neue, eingeengte Verbandmitteldefinition ist nach Ansicht des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) nun der Gesetzgeber gefordert, einen klaren Rahmen zu setzen, um die Versorgung der betroffenen Patienten mit chronischen und akuten Wunden nicht zu gefährden. „Wir brauchen eine deutlich längere Übergangsfrist, die Änderung der Stichtagsregelung und klare Kriterien für die erforderlichen Studien“, so BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll.
Hunderte Produkte auf der Kippe
Die Branche hadert nämlich nicht nur mit der kurzen Zeitspanne für den Nutzennachweis und dem Stichtag, der im Rahmen des GSAV nicht angepasst wurde, obwohl hier eine Einschränkung der Verbandmitteldefinition vorgenommen wurde. Der GBA hat auch noch keinen Methodenkatalog vorgelegt, anhand dessen dieser Nutzennachweis zu führen wäre. Ergo „können die Unternehmen noch gar nicht tätig werden“, so Möll. Und ergänzt: „Dieses Vorgehen gefährdet vor allem die bisher bewährte Versorgung von Patientinnen und Patienten mit akuten und chronischen Wunden und sorgt für Unsicherheit über die künftige Behandlung“. Ende 2021 könnten damit auf einen Schlag Hunderte Produkte mit ergänzenden Eigenschaften, etwa antimikrobielle Wundverbände, aus der Verordnungsfähigkeit fallen.
Der BVMed appelliert daher an den Gesetzgeber, in diesem Bereich noch einmal tätig zu werden und setzt sich weiter für eine Verlängerung der Übergangsfrist und eine Anpassung der Stichtagsregelung ein. Außerdem ist aus Sicht des BVMed dringend ein intensiver Informationsaustausch des GBA mit den Herstellern nötig. „Wir hoffen auf praktikable Lösungen für die Nutzennachweise durch den GBA und einen konstruktiven Austausch dazu“, verdeutlicht Möll. Der BVMed setzt sich daher nun auch auf politischer Ebene dafür ein, dass die Hersteller von Wundversorgungsprodukten einen Beratungsanspruch zum Nutzennachweisverfahren erhalten, um die Studienerbringung zu vereinfachen – der Ball liege jetzt aber im Spielfeld der Gesundheitspolitik.
Auch wenn die Unternehmen willens wären, was sie durchaus sind, den Nutzennachweis zu erbringen, so würde ihnen die gegenwärtige COVID-19-Pandemie einen Strich durch die Rechnung machen. Denn unter diesen Bedingungen dürften kaum Patienten für klinische Studien zu rekrutieren sein, beleuchtet Sascha Glanemann, seit September Geschäftsführer der URGO GmbH, im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“ einen weiteren Aspekt, der die Branche umtreibt.
Studien-Designs sind sehr aufwändig
Juliane Pohl, Leiterin Ambulante Versorgung beim BVMed, pflichtet Glanemann bei: „Die erforderlichen Studien-Designs sind sehr aufwändig, weil es sich vor allem bei chronischen Wunden um ein komplexes Krankheitsbild handelt und bei den oftmals multimorbiden Patienten immer die individuelle Situation berücksichtigt werden muss. Unter den derzeit zusätzlich verschärften COVID-19-Bedingungen sind die Studien praktisch nicht zu erbringen. Auch verlässliche Vorgaben für den Nutzennachweis von Produkten zur Wundversorgung fehlen noch völlig.“
Laut Glanemann könnten klinische Studien für sonstige Produkte zur Wundbehandlung je nach Design auch mehrere Millionen Euro kosten. Angesichts der meist höchstens im einstelligen Millionenbereich liegenden Umsätze mit den einzelnen Produkten würde sich dies dann für Firmen nicht lohnen, „auch wenn sie von Innovationen getrieben sind“, so Glanemann. Aus seiner Sicht müsse ein Studiendesign als Nachweis zulässig sein, das sich statt an einzelnen Produkten an der jeweils verbindenden Technologie orientiert und somit ganze Produktgruppen umfassen würde.