Arztfehler
Zumeist falsche Verdächtigungen
Jeder vierte Verdacht entpuppt sich auch als Behandlungsfehler, zeigt die neue Auswertung der Krankenkassen. Am häufigten angeprangert wurden 2014 Orthopäden und Unfallchirurgen.
Veröffentlicht:BERLIN. Orthopäden und Unfallchirurgen wird am häufigsten ein Behandlungsfehler unterstellt. In 4687 Fällen waren Patienten 2014 in diesen Fachgebieten aktiv geworden und hatten den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) eingeschaltet.
Die Gutachten bestätigten in 26,8 Prozent der Fälle den geäußerten Verdacht.
Die Zahlen in der Orthopädie und Unfallchirurgie entsprechen damit dem Durchschnitt der MDK-Gesamtstatistik: 14.633 Vorwürfe haben Gutachter 2014 bearbeitet und quer durch alle Fachgebiete 3796 Behandlungsfehler gefunden. Rund jeder vierte Vorwurf erwies sich somit als Behandlungsfehler.
"Die Zahlen sprechen dafür, dass von einer Entwarnung keine Rede sein kann", sagte Stefan Gronemeyer, leitender Arzt und stellvertretender Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) in Berlin.
Die Medizin, so Gronemeyer, brauche eine "neue Sicherheitskultur". Er empfahl, Behandlungsfehler an einer zentralen Stelle zu registrieren. Die geplante Klinikreform, die eine qualitätsorientierte Vergütung der Kliniken vorsieht, weise in die richtige Richtung.
Die meisten Vorwürfe nach Op
Wie auch in den Vorjahren betrafen knapp zwei Drittel der Vorwürfe Behandlungen in Krankenhäusern, ein Drittel richteten sich gegen einen niedergelassenen Arzt.
Professorin Astrid Zobel, Leitende Ärztin Sozialmedizin beim MDK Bayern, betonte jedoch, dass zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor relativ gesehen kein Unterschied auszumachen sei: "Von den 5182 Vorwürfen gegenüber niedergelassenen Ärzten und den 9457 Vorwürfen im stationären Sektor bestätigte sich jeweils etwa jeder vierte Verdacht."
Mit 7845 Fällen werden die meisten Vorwürfe im direkten Zusammenhang mit einer Operation erhoben. Neben der Orthopädie und Unfallchirurgie trifft dies dann auch alle operativen Eingriffe der anderen Fächer wie etwa der Neurochirurgie oder der Gynäkologie - sowohl im Krankenhaus wie auch in ambulanten Praxen oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ).
"Patienten vermuten offenbar eher einen Fehler, wenn sich nach einer Operation nicht der erwartete Erfolg einstellt. Fehler aufgrund einer falschen Medikation sind für viele Patienten kaum erkennbar", sagte Zobel.
Die hohe Zahl an Vorwürfen lässt jedoch nicht den Rückschluss zu, dass in diesen Fachgebieten auch die meisten Fehler zu finden sind.
590 Vorwürfe gab es 2014 gegenüber der ambulanten und stationären Pflege - mehr als die Hälfte (57,8 Prozent) bestätigte sich. In der Zahnmedizin erwiesen sich 39,2 Prozent von 1419 Vorwürfen in den erstellten Gutachten als Behandlungsfehler.
Die Gutachter kamen zum Schluss, dass 155 Patienten an direkten oder indirekten Folgen eines Behandlungsfehlers starben.
Systematische Probleme ausgemacht
Dr. Max Skorning, Leiter der Patientensicherheit beim MDS, lenkte den Blick auf jene 209 registrierten Fehler, hinter denen ein "systematisches Problem und nicht das Versagen eines Einzelnen stehe".
Diese "Never Events", etwa ein schwerer Dekubitus, ein intraoperativ zurückgelassener Fremdkörper oder Eingriffe am falschen Körperteil, könnten leicht mit Routinen und Standards verhindert werden.
Kathrin Vogler, Bundestagsabgeordnete und Sprecherin der Linken für Arzneimittelpolitik und Patientenrechte, bemängelte, dass es bei den Behandlungsfehler noch eine hohe Dunkelziffer gebe.
"Die wahre Zahl liegt bedeutend höher als das, was Ärzte zugeben und Krankenkassen offiziell erheben", sagte sie in einer Stellungnahme.
Patienten könne nur eine Beweislastumkehr wirklich helfen. Zudem müsse, so Vogler weiter, endlich ein Register zur Erfassung der Behandlungsfehler aufgebaut und eine neue Kultur im Umgang mit Fehlern geschaffen werden.
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