Tourette-Syndrom
Tanzen gegen Tics
Wenn Dominik tanzt, ist er in seiner Welt. Kein Gedanke an Krankheit oder peinliche Auffälligkeiten. Dass er ein Tourette-Syndrom hat, wussten lange Zeit nur wenige. Jetzt hat seine Mutter ein bewegendes Buch darüber geschrieben, wie er mit Ballett die Tics überwunden hat.
Veröffentlicht:Augen zusammen kneifen, Mundaufmachen und die Zunge rausstrecken, hüpfen und Hände hochstrecken. Eigentlich nichts, was für einen Fünfjährigen wirklich ungewöhnlich ist. Anfangs hielten die Eltern das auch noch für einen kindlichen Spleen ihres Sohnes und versuchten mit Ermahnungen, es bitte bleiben zu lassen, zu unterbinden.
"Das ist nicht schön, Dominik", sagte ich oft, "hör bitte damit auf", schreibt Admira Vaida über die Anfangszeit der Erkrankung. Doch die Auffälligkeiten wurden schlimmer.
Tiergeräusche kamen dazu, etwa die eines Pferdes, und diverse Zwänge. Dominik musste beim Gehen manchmal unbedingt drei Schritte zurück und einmal hüpfen, ehe er wieder weiter konnte. Er musste unbedingt einmal ums Haus laufen, ehe er die Wohnung betreten konnte. Oder er musste unbedingt fremde Menschen in der Straßenbahn berühren.
Erst nach zwei Jahren wurde schließlich in einem Wiener Krankenhaus die Diagnose gestellt: Tourette Syndrom. Die verschriebenen Psychopharmaka linderten zwar die Tics, aber richtig zufrieden waren die Eltern mit dem Behandlungsergebnis nicht.
Dominik litt unter Nebenwirkungen und war oft schlapp, schildert die Mutter in dem Buch "Tick – Wie mein Sohn mit Ballett das Tourette-Syndrom überwand. Aber warum gerade eine Therapie mit Ballett – bei einem Jungen?
Wie so oft war es der Zufall. "Dominik tanzte gerne. Zu Hause und wann immer es einen Anlass dazu gab", erinnerte sich die Mutter. "Da konnte ich beobachten, dass er, während er tanzte, keine Tics aufwies. Einer seiner Wünsche war auch von klein an, Tänzer zu werden", erzählt sie der "Ärzte Zeitung".
Das Buch
Titel: Tick – Wie mein Sohn mit Ballett das Tourette-Syndrom überwand
Autor: Admira Vaida
Verlag: edition a Verlag 2017, ISBN 978-3-99001-215-4
Preis: 19,95 Euro
Da er schon mit Klavierspielen seine Tics ein wenig mildern konnte, kam Admira Vaida auf die Idee, dass Tanzen nicht nur seinen Wunsch erfüllen, sondern eventuell nachhaltig die Tics bessern könnte. "Auf Ballett kam ich dann durch Zufall: In einer, in der Straßenbahn liegengelassenen Zeitung, las ich über die Aufnahme-Prüfung für das Ballett".
Tanz als Therapie war eine Idee, die sich im Nachhinein als goldrichtig erwies. Kontinuierlich sei es Dominik besser gegangen. Als erstes verschwanden die Vokalen Tics. Er wurde glücklicher. Fühlte sich in seinem Umfeld gut aufgehoben.
Seine ganze Konzentration war auf das Tanzen ausgerichtet. Nur in den Ferien, wenn er weniger tanzte, und durch den Stress während der Scheidung seiner Eltern verschlechterten sich die Tics wieder.
Für Dominik war das Wissen um seine Erkrankung dennoch lange Zeit sehr belastend. "Ich wollte nicht als behindert gelten. Ich konnte ja alles, was andere auch konnten", erklärt er auf Nachfrage der "Ärzte Zeitung". "Ich fühlte mich gesund. Nur die Tics störten! Also entschloss ich mich, mich mit meinen Tics zuerst mal abzufinden."
Über sein Leiden zu reden, vermied Dominik tunlichst: "Das war etwas Persönliches, womit nur ich belastet und ein Problem haben sollte, dachte ich. Dass meiner Mutter darunter litt, verstand ich am Anfang nicht, erst viel später" .
Reden wollte er erst dann, wenn er beweisen konnte, dass auch Tourette-Erkrankte, alles erreichen können. "Ich wollte einen Beweis dafür liefern", sagt Dominik selbstbewusst.
Und das konnte er auch. 2015 bekam er erstmals die Chance, den Wiener Opernball als Tänzer zu eröffnen. Zwar musst der dann den Auftritt unglücklicherweise absagen, da er hohes Fieber an diesem wichtigen Tag bekam. Doch 2016 ergab sich die Chance ein zweites Mal: Er tanzte am Opernball.
"Tanzen bedeutet mir sehr viel", so Dominik heute. "Das ich jetzt gesund bin, kann ich dem Ballett verdanken. Fast alle meine Freunde und sogar meine Freundin sind Tänzer/Innen. Ballett und Staatsoper sind meine Welt. Sie haben aus mir einen Sieger gemacht. Gleiches Glück wünsche ich jedem und möchte mit meiner Geschichte jeden ermutigen, es mir nachzumachen. Niemand soll wegen einer Erkrankung im Hintergrund sein, sondern in der Mitte der Gesellschaft."