Schweizer Botschaft
Auf den Spuren von Theodor Frerichs
Professor Theodor Frerichs war ein Streiter für die Einheit der Inneren Medizin. Wie und wo hat er gelebt? Spurensuche in einem Berliner Botschaftsgebäude.
Veröffentlicht:BERLIN. Maximilian Broglie, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), staunte nicht schlecht.
Da rief ihn doch vor einiger Zeit eine ihm unbekannte Frau an und bedankte sich herzlich dafür, dass er seit Jahren das Grab des berühmten Professors Friedrich Theodor von Frerichs (1819-1885) auf dem Berliner St. Matthäus-Kirchhof pflegen lasse.
Die Frau war Frerichs Urenkelin. Über die Schweizer Botschaft hatte sie bei der Recherche nach der Grabstätte den Tipp bekommen, bei der Berliner Friedhofsverwaltung nachzuforschen und war dort auf Broglies Namen gestoßen.
Friedrich Theodor von Frerichs (1819-1885)
Nach seinem Studium wird er zunächst Augenarzt in seiner Geburtsstadt Aurich, später Ordinarius in Göttingen. Als Privatdozent beschäftigte er sich dort mit physiologisch-chemischen Untersuchungen.
Weitere Stationen: Uni Kiel, dann Ordinarius für Pathologie und Direktor der Medizinischen Klinik in Breslau. Ab 1859 Direktor der Medizinischen Klinik der Charité.
"Der Kongress für Innere Medizin" (ab 1920 Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin) tritt 1882 erstmals in Wiesbaden zusammen. Frerichs ist der erste Präsident.
Der erklärte ihr, dass nicht er persönlich, sondern die DGIM seit einigen Jahren die Kosten für die Pflege des Frerichs-Grabes übernommen habe.
Und das aus gutem Grund: "Die Innere Medizin in Deutschland hat diesem Mann unendlich viel zu verdanken", sagt DGIM-Generalsekretär Professor Ulrich R. Fölsch.
Frerichs ist Mitbegründer der DGIM, nach ihm ist ein renommierter Preis benannt, der Jahr für Jahr beim Wiesbadener Internistenkongress verliehen wird.
Frerichs Urenkelin wiederum konnte beim Telefonat erklären, warum ausgerechnet die Schweizer Botschaft ihr auf der Suche nach dem Grab auf die Sprünge half: Die heutige diplomatische Vertretung der Eidgenossen in Deutschland - in unmittelbarer Nähe des Bundeskanzleramts gelegen - war einst das Wohnhaus von Frerichs. Er hatte es 1869/70 für sich und seine Familie bauen lassen.
Grund genug für eine Delegation der DGIM, sich vor Kurzem direkt in der Botschaft darüber zu informieren, wie dieser Mann einst gelebt hat.
In seiner Berliner Zeit ab 1859 war er Direktor der Medizinischen Klinik der Charité - parallel dazu betrieb er später in seinem Wohnhaus eine Praxis.
Der berühmte Arzt hatte dort zuweilen nicht minder prominente Patienten. Überliefert ist, dass Fjodor Dostojewski im Juni 1874 auf Empfehlung eines Freundes zur Sprechstunde angereist war.
"Diese Leuchte der deutschen Wissenschaft lebt in einem Palast", schrieb der Schriftsteller hinterher in einem Brief an seine Frau Anna Snitkina. Allerdings habe sich Frerichs mit jedem Patienten nur "drei, allenfalls fünf Minuten" befasst.
Und um Dostojewski selbst habe er sich "gerade zwei Minuten gekümmert", seine Brust lediglich mit dem Stethoskop berührt "und ihn sogleich überwiesen" - zur Kur nach Bad Ems.
Die DGIM-Delegation konnte bei ihrem Besuch die Erfahrung machen, dass Dostojewski mit der Beschreibung "Palast" für das Frerichs-Anwesen keinesfalls daneben lag. Das Haus demonstriere anschaulich Frerichs hohes Repräsentationsbedürfnis, heißt es in einer Broschüre der Botschaft.
"Er verwirklichte mit diesem Bau das zeitgenössische Ideal des großbürgerlichen, innerstädtischen Wohnens." Anwesen vergleichbarer Größe und Wirkung waren selbst in diesem exklusiven Bereich der Stadt eine Besonderheit.
Nach Frerichs Tod wechselte das Haus die Besitzer und wurde umgebaut. Im Jahr 1919 erwarb die Schweiz das Gebäude. Die Nazis planten mehr als 20 Jahre später den Abriss, weil sie ihre Welthauptstadt Germania bauen wollten. Und die Russen starteten von dort aus den finalen Angriff auf den in Schlagweite liegenden Reichstag.
Das ist alles Geschichte. Die Verdienste von Theodor Frerichs aber bleiben. Der hatte in einer Rede beim ersten deutschen Internistentag 1882 in Wiesbaden einen flammenden Appell an seine Berufskollegen gerichtet, der bis heute an Aktualität nichts eingebüßt hat.
"Man entfernt sich mehr und mehr von der durch die Innere Medizin vertretenen Einheitsidee des menschlichen Organismus", warnte Frerichs eindringlich. "Die innere Heilkunde ist berufen, diese Einheitsidee festzuhalten und auszubauen."
Die DGIM möchte gerne eine Erinnerungsplakette am Haus Frerichs anbringen lassen. Darüber wird die Schweizer Botschaft entscheiden müssen.