Kongo
„Menschen sterben nicht nur an Ebola, sondern auch wegen Ebola“
Der Tropenmediziner Christian Kleine hat vier Wochen vor Ort geholfen, die Ebola-Epidemie in der Demokratischen Republik Kongo in den Griff zu bekommen.
Veröffentlicht:FRANKFURT. „Menschen sterben nicht nur an Ebola, sondern auch wegen Ebola“, sagt der Frankfurter Tropenmediziner Christian Kleine, Mitarbeiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF), der gerade von einem vierwöchigen Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo zurückgekehrt ist. „Einmal kam eine junge Frau mit vaginalen Blutungen und starken Bauchschmerzen in unser Zentrum. Der erste Test auf Ebola fiel negativ aus, aber ihre Blutungen waren so stark, dass sie notoperiert werden musste. Als Ursache stellte sich eine extrauterine Schwangerschaft heraus. Wenn sie nicht zu uns gekommen wäre, wäre sie wahrscheinlich gestorben.“
Tatsächlich, so Kleine, bestätigten sich nur etwa zehn Prozent der Ebola-Verdachtsfälle, bei den anderen wiesen die Laborwerte Erkrankungen wie Malaria, Pneumonien, Typhus und Gastroenteritiden nach. Da die Maßnahmen zur Eindämmung der Ebola-Epidemie im Land enorme Kapazitäten binden, haben Patienten mit herkömmlichen, in der Regel gut behandelbaren Infektionen häufig das Nachsehen.
Zweitgrößter Ebola-Ausbruch in der Geschichte des Landes
Der aktuelle Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo ist der zweitgrößte, der je dokumentiert wurde. Nach Angaben des kongolesischen Gesundheitsministeriums sind aktuell 598 Menschen an Ebola erkrankt (davon 550 bestätigt), 363 Patienten seien gestorben. (Stand 31.12.)
Die größte Ebola-Epidemie suchte zwischen 2014 und 2016 mehrere westafrikanische Länder heim – insgesamt registrierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) damals gut 28.500 Erkrankte mit mehr als 11.000 Toten.
Er verstehe ja, dass man Ausbrüche miteinander vergleichen müsse, um ihre Tragweite einzuordnen, sagt Christian Kleine. „Aber für mich sind das nur Zahlen, wichtig ist doch jeder einzelne Patient.“
Der 42-jährige Tropenmediziner arbeitet an der Missioklinik in Würzburg, wo vor allem Fernreisende und Migranten Rat und Hilfe suchen. Für seinen Einsatz im Kongo hat ihn die Klinik freigestellt. Aufgrund seiner beruflichen Qualifikation und weil er bereits bei der großen Ebola-Epidemie 2014/2016 in Monrovia, Liberia, sowie 2017 beim Ausbruch des Marburg-Virus in Uganda Erfahrungen gesammelt hat, ist Kleine ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Filoviren.
Auf die Frage, warum es bislang weder den kongolesischen Gesundheitsbehörden noch der WHO oder Hilfsorganisationen wie MSF gelungen ist, die Epidemie wirksam zu bekämpfen, hat er eine einfache Antwort parat: „Wegen der Sicherheitslage.“
In der Region Nord-Kivu im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo tobt seit Jahren ein Bürgerkrieg. Das von mehr als 100 Rebellengruppen umkämpfte Gebiet ist reich an seltenen Mineralien, wertvollen Erzen und Öl. Im Grunde ließe sich die Epidemie mittels erprobter Hygiene- und Quarantäne-Maßnahmen rasch und wirksam eindämmen: Die Helfer sind vor Ort, das Know-how ist vorhanden, mit rVSV-EBOV steht überdies erstmals ein Impfstoff zur Verfügung, der Helfer und Kontaktpersonen vor einer Ansteckung schützt. „Aber dazu müssten die Kämpfer ihre Waffen niederlegen“, sagt Kleine. „Oder zumindest einen sicheren Zugang zu den Gebieten gewährleisten, in denen es Erkrankte gibt.“
Misstrauen in der Bevölkerung
Weit verbreitet sei zudem das Misstrauen in der Bevölkerung, das sich sowohl gegen die eigene Regierung als auch gegen internationale Organisationen richtet und manchen Patienten in die Arme traditioneller Heiler treibt. Überdies berichten Experten immer wieder davon, dass Patienten aus Isolierstationen fliehen, weil sie als Angehöriger einer Rebellengruppe deren Rache fürchten, wenn sie sich in einem „staatlich kontrollierten“ Zentrum behandeln lassen. „Manchmal passiert es auch, dass Angehörige den Leichnam eines an Ebola verstorbenen Patienten entwenden, um ihn zu bestatten, und sich dabei selbst infizieren“, so Kleine.
Gegen das Misstrauen setzen die Helfer von Ärzte ohne Grenzen Aufklärung und Transparenz. Sowohl die von MSF betriebenen Behandlungszentren in Mangina, Butembo und Tchomia als auch das Transitzentrum in Beni, wo Kleines Einsatzort war, sind offene Einrichtungen – jedermann steht es frei zu gehen, es gibt keine Mauern, sondern durchsichtige Zäune, darüber hinaus Besucherzentren, in denen sich Patienten und Angehörige unterhalten können. Die Helfer werben unermüdlich für Akzeptanz und bieten traumatisierten Opfern eine psychosoziale Betreuung.
Die aktuelle Epidemie ist bereits der zehnte Ebola-Ausbruch, den die Demokratische Republik Kongo seit Entdeckung des Virus 1976 erlebt. Noch im Sommer war man sicher gewesen, die Lage nach einem ersten Ausbruch im April dieses Jahres in der Equateur-Provinz im Westen unter Kontrolle zu haben. Am 24. Juli erklärten das Gesundheitsministerium und die WHO die dortige Epidemie für beendet. Nur eine Woche später, am 1. August, vermeldeten Behörden dann einen weiteren Ausbruch im Nordosten des Landes.
Der Verdacht, das Virus könne durch einen Reisenden 1200 Kilometer östlich in die Provinz Nord-Kivu gelangt sein, wurde durch eine Sequenzierung der Virus-DNA widerlegt. Dennoch handelte es sich in beiden Fällen um das Zaire Ebolavirus, das mit einer Letalitätsrate von 60 bis 90 Prozent die gefährlichste Spezies aus der Familie der Filoviren darstellt.
Viele Kinder betroffen
Aktuell sind ungewöhnlich viele Babys und Kleinkinder unter den Ebola-Erkrankten. Laut Unicef ist jeder zehnte Infizierte jünger als fünf Jahre. Experten vermuten, dass Mütter das Virus während der Geburt oder über die Muttermilch oder über den engen Kontakt auf das Neugeborene übertragen. Viele Kinder mit Symptomen der Erkrankung müssen zunächst von ihren Eltern getrennt werden. „In den Zentren haben wir zum Glück große Unterstützung von Ebola-Überlebenden, die protektive Antikörper entwickelt haben und sich liebevoll um die Kinder kümmern“, sagt Christian Kleine.
Das Management der WHO und der kongolesischen Behörden sei vorbildlich gewesen, lobt der Frankfurter Arzt. Bislang wurden 48 000 Menschen geimpft. Der anhaltenden Kämpfe wegen fürchtet Kleine dennoch eine Ausweitung der Epidemie. Noch immer gebe es in vielen Gegenden „rote Zonen“, die für Helfer nicht zugänglich seien. Besonders alarmierend sei die Tatsache, dass die Epidemie bereits in große Städte wie Butembo oder Katwa angekommen sei. Kleine: „Nicht zuletzt haben wir auch die Befürchtung, dass es rund um die Wahlen Ende Dezember Unruhen gibt und die Lage dadurch noch schwieriger werden könnte.“