WHO-Studie
Hitzestabile Arznei könnte nach der Entbindung viele Leben retten
Eine neue Formulierung eines Arzneimittels zum Schutz vor starken Blutungen nach der Entbindung könnte Tausenden Frauen in ärmeren Regionen das Leben retten. Das lässt sich aus den Ergebnissen einer aktuellen WHO-Studie ableiten.
Veröffentlicht:GENF. Derzeit empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Oxytocin als Mittel der ersten Wahl zum Schutz vor schweren Blutungen nach der Entbindung. Oxytocin muss jedoch bei 2 bis 8 Grad Celcius gelagert und transportiert werden.
Diese Vorschrift lässt sich in vielen Ländern nur schwer einhalten, so dass vielen Frauen der Zugang zu diesem lebensrettenden Medikament verwehrt bleibt, teilt die WHO mit. Erhalten Frauen das Arzneimittel trotzdem, besteht die Gefahr, dass es aufgrund von zu hohen Temperaturen weniger wirksam ist.
Es gibt aber offenbar eine Lösung des Problems: Eine neuartige Substanz, und zwar hitzestabiles Carbetocin, hat sich in einer Studie als ebenso sicher und effektiv erwiesen wie Oxytocin, was den Schutz vor postpartalen Blutungen betrifft.
Die CHAMPION (Carbetocin HAeMorrhage PreventION)-Studie, die die WHO in Zusammenarbeit mit den Unternehmen MSD und Ferring gemacht hat, ist vor Kurzem im "New England Journal of Medicine" publiziert worden (NEJM 2018; online 27. Juni)..
Studie mit fast 30.000 Frauen
Ergebnisse der CHAMPION-Studie
Die intramuskuläre Injektion von hitzestabilem Carbetocin wurde mit der Injektion von Oxytocin – direkt nach der vaginalen Entbindung – verglichen.
14,5 Prozent der Frauen in der Carbetocin-Gruppe und 14,4 Prozent der Frauen in Oxytocin-Gruppe erlitten einen Blutverlust von mindestens 500 ml oder benötigten zusätzliche uterotonische Mittel.
Die Nichtunterlegenheit der neuen Carbetocin-Formulierung gilt als nachgewiesen.
Diese neue Formulierung von Carbetocin erfordert nicht die Aufbewahrung im Kühlschrank und behält ihre Wirkung für mindestens drei Jahre, wenn das Mittel bei 30 Grad Celsius und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 75 Prozent aufbewahrt wird, heißt es in der Mitteilung der WHO.
"Das ist eine wirklich ermutigende neue Entwicklung, die unser Vermögen, Mütter und Kinder am Leben zu erhalten, revolutionieren könnte", wird Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO, in der Mitteilung zitiert.
Jährlich sterben etwa 70.000 Frauen infolge von postpartalen Blutungen und erhöhen damit das Risiko, dass auch ihre Kinder innerhalb eines Monats sterben.
Die klinische Studie ist nach Angaben der WHO die größte ihrer Art: Nahezu 30.000 Frauen mit vaginaler Entbindung in zehn verschiedenen Ländern (Argentinien, Ägypten, Indien, Kenia, Nigeria, Singapour, Südafrika, Thailand, Uganda und Großbritannien) nahmen an der Untersuchung teil.
In der randomisierten, doppelblinden Nichtunterlegenheitsstudie wurde die intramuskuläre Injektion von hitzestabilem Carbetocin (in einer Dosierung von 100 µg) mit der Injektion von Oxytocin (in einer Dosierung von 10 IU) direkt nach der vaginalen Entbindung verglichen.
Beide Arzneimittel wurden bei einer Temperatur von 2 bis 8 Grad Celsius aufbewahrt, um die doppelte Verblindung zu ermöglichen. Es gab zwei primäre Endpunkte: Der Anteil der Frauen mit einem Blutverlust von mindestens 500 ml oder der Gebrauch von zusätzlichen uterotonischen Substanzen, sowie der Anteil der Frauen mit einem Blutverlust von mindestens 1000 ml.
Carbetocin versus Oxytocin
Die Ergebnisse: 14,5 Prozent der Frauen in der Carbetocin-Gruppe und 14,4 Prozent der Frauen in Oxytocin-Gruppe erlitten einen Blutverlust von mindestens 500 ml oder benötigten zusätzliche uterotonische Mittel.
Somit ist laut WHO die Nichtunterlegenheit der neuen Carbetocin-Formulierung nachgewiesen. Einen Blutverlust von mindestens 1000 ml hatten 1,51 Prozent der Frauen in der Carbetocin-Gruppe und 1,45 Prozent in der Oxytocin-Gruppe erlitten.
Der Gebrauch von zusätzlichen uterotonischen Mitteln, Maßnahmen zum Blutungsstillen und unerwünschte Wirkungen unterschieden sich nicht signifikant in den beiden Studiengruppen.
Da beide Arzneimittel in der Studie bei Temperaturen gelagert wurden, die eine maximale Wirkung von Oxytocin garantieren, könnte der Nutzen von hitzestabilem Carbetocin unter Alltagsbedingungen mit oft höheren Temperaturen unterschätzt worden sein, so die WHO.