Telemonitoring

Unsanfte Landung im Establishment

Die vorläufige Nutzenbewertung des IQWiG zum Telemonitoring kardialer Implantate ist neutral ausgefallen. Für Ärzte ergeben sich daraus je nach Lesart zwei Zukunftsszenarien, wie die telemedizinische Versorgung aussehen könnte.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Telemonitoring: Puls aus der Ferne.

Telemonitoring: Puls aus der Ferne.

© Syda Productions / Fotolia

Die vorläufige Nutzenbewertung des IQWiG zum Telemonitoring kardialer Implantate legt den Finger in einige klaffende Wunden der Telemedizinforschung. Die entscheidenden Fragen beantwortet das Dokument aber nicht. Kann es auch nicht.

Seit Kurzem gibt es eine Nutzenbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zum Telemonitoring unter Einsatz kardialer Implantate, also ICD- und CRT-Systemen.

Ein Grund zum Jubeln? Tatsächlich ist das noch vorläufige Papier eine Art Ritterschlag. Zum ersten Mal überhaupt durchläuft ein ambulantes telemedizinisches Verfahren das "volle deutsche HTA-Programm" und steht damit gleichberechtigt neben Tabletten und therapeutischen Medizinprodukten. Im Establishment angekommen, wenn man so will.

Die "Landung" geriet aber etwas unsanft. Der IQWiG-Vorbericht findet hinsichtlich fast aller Endpunkte – unter anderem Mortalität, Dekompensation, Herzinfarkt/Schlaganfall, Hospitalisierung und ICD-Schockabgabe – keine Vor- oder Nachteile des Telemonitorings mit Implantaten.

Das ist keine Überraschung: Jüngst fielen mehrere große Studien wie die deutsche OptiLINK-Studie, die italienische MORE-CARE-Studie oder die – im IQWiG-Bericht noch nicht berücksichtigte – britische REM-HF-Studie mehr oder weniger neutral aus. Angesichts dessen bräuchte es schon eine Megastudie, um große, hinsichtlich der Telemonitoring-Methodik indifferente Metaanalysen ins Positive zu drehen.

Kleinere positive Studien wie die deutsche IN-TIME-Studie, die im primären Endpunkt einen signifikanten Vorteil einer mit klaren Aktionsalgorithmen hinterlegten Multiparameter-Überwachung von ICD-/CRT-Patienten gezeigt und Hinweise auf eine Senkung der Sterblichkeit gefunden hatten, fallen wegen zu geringer Patientenzahlen in der Gesamtschau nicht ins Gewicht.

Kein Ruhmesblatt für die Studienleiter

Deutlich enttäuschender als die neutrale Gesamteinschätzung sind die inhaltlichen Lücken und Qualitätsdefizite der bewerteten Studien. Obwohl es mit vier von sieben Herstellern schriftliche Vereinbarungen zur Übermittlung von Studiendaten gab, hatte das Institut erhebliche Probleme, an die nötigen Daten zu kommen.

Peinlich ist vor allem, dass es bei den Investigator-initiierten Studien keinen Deut besser aussah. Das geplante Vorgehen wurde regelmäßig nicht veröffentlicht, Studienprotokolle fehlten, und zwei von vier unabhängigen Studienleitern hatten nicht einmal auf die IQWiG-Anfragen reagiert.

Das alles ist weder für Hersteller noch Studienleiter besonders ruhmreich. Die Frage ist, was das deutsche Gesundheitswesen mit den Ergebnissen dieses in einigen Monaten dann endgültigen Berichts macht und ob das Ganze als Blaupause für die Bewertung weiterer telemedizinischer Verfahren taugt.

Hier wird es kompliziert: Man kann sich einerseits auf den Standpunkt stellen, dass das Telemonitoring so zu behandeln ist wie Medikamente: Wenn es "on top" zur üblichen Versorgung, also ICD/CRT ohne Netzanschluss, eingesetzt wird, dann müsste es in dieser Lesart einen Zusatznutzen demonstrieren, um erstattungsfähig zu sein.

Wer das so sieht, kann jetzt methodisch argumentieren und sagen, dass Telemonitoring nicht gleich Telemonitoring ist. Es gibt Hinweise, zum Beispiel aus der Metaanalyse TRUE-COIN, dass ein zentralisiertes Multiparameter-Monitoring sehr wohl das Outcome verbessern könnte (Eur Heart J 2017; 38: 1749).

So etwas wird gerade von Helios aufgebaut, mit dem Herzzentrum Leipzig als Einrichtung, in der die Daten zusammenlaufen. Hier bräuchte es nochmals eine stringente Multicenter-Studie, um die Outcome-Verbesserung, insbesondere die postulierte Senkung der Sterblichkeit, wirklich zweifelsfrei zu belegen.

Für pauschale Statistiken bedingt geeignet

Das ist Sichtweise jener, die evidenzbasierte Medizin zur alles entscheidenden Grundlage von Erstattung machen wollen: Bezahlt wird, was im statistischen Durchschnitt besser ist, sonst nichts. Nun ist das Telemonitoring für pauschale Statistiken aber nur bedingt geeignet.

Sind Rhythmologen knapp, kann der Nutzen der Implantat-Überwachung auch dann erheblich sein, wenn es keinen "Zusatznutzen" im Vergleich zum Leitlinienstandard gibt, sei es, weil dem Patienten unnötige Anreisen erspart bleiben sei es, weil die Versorgung auf Leitlinienniveau angehoben wird.

Das ist Versorgungssicht, und aus dieser heraus ist die IQWiG-Aussage, wonach das Implantat-Telemonitoring weder nutzt noch schadet, genau genommen, völlig ausreichend: Es funktioniert, lässt sich also dort, wo die Versorgungslage den persönlichen Arztbesuch nicht sinnvoll erscheinen lässt, bedenkenlos einsetzen – und sollte dann auch erstattet werden.

Damit ergäbe sich folgendes, theoretisches Erstattungsszenario: Es gibt eine "versorgungspolitisch motivierte" Basisfinanzierung, und zusätzlich eine umfangreichere Erstattung für aufwändigere Methoden, sofern für diese der Nachweis eines Zusatznutzens mit großen Studien (und einer separaten Nutzenbewertung) gelingt.

Der Teufel im Detail

So weit, so einigermaßen politisch stimmig. Tatsächlich gibt es in Deutschland ja seit Anfang 2016 mit der EBM-Ziffer 13554 eine Art Basisabrechnung des Implantat-Telemonitorings. Alles gut also? Ball wieder bei der Industrie?

Der Teufel liegt in den Details, und diese Details lassen das Telemonitoring in Deutschland zu einem versorgungspolitischen Albtraum werden, in dem das IQWiG-Papier nur das nächste in einer langen Reihe von Monstern ist.

Denn die Ziffer 13554 bezieht sich, wie die IQWiG-Bewertung, nur auf ICD/CRT. Schrittmacher können nicht abgerechnet werden. Es gibt natürlich überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass das IQWiG-Urteil "nutzt nicht, schadet nicht" nicht auch für Schrittmacher gelten sollte. Danach haben die Auftraggeber aber nicht gefragt.

Das dürfte bewusst geschehen sein, denn sonst wäre man ja Gefahr gelaufen, erklären zu müssen, warum man bei einem neutralen IQWiG-Urteil die ICD-/CRT-Abfragen, nicht aber die Schrittmacherabfragen erstattet. Vermutlich wird es in ein paar Jahren irgendwann die Schrittmacher-Nutzenbewertung geben.

Vermutlich wird auch die neutral ausfallen. Und vermutlich wird das Schrittmacher-Telemonitoring dann irgendwann auch erstattet. So stottert sich das deutsche Gesundheitswesen bei Innovationen voran.

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