AOK Nordost startet E-Akte
Blaupause für vernetzte Versorgung
In einer Hausarztpraxis in Torgelow im nordöstlichen Vorpommern fiel Mitte März der Startschuss für eine digitale und standardisierte Plattform, die niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser elektronisch vernetzt. – Und die gleich noch die Patienten mit ins Boot holt. Ein Projekt, das bundesweit Schule machen soll.
Veröffentlicht:UECKERMÜNDE. Aus der Perspektive des Patienten ist medizinische Versorgung eigentlich relativ einfach: Alle Behandlungen, die ambulant möglich sind, sollten ambulant und wohnortnah erfolgen. Wird ein stationärer Aufenthalt erforderlich, dann sollten die Krankenhausärzte schon im Vorfeld optimal informiert sein, nötige Eingriffe zügig vornehmen und den Patienten dann wieder so entlassen, dass der ambulante Kollege ebenfalls sofort Bescheid weiß über das, was in der Klinik passiert ist.
Die Realität sieht anders aus. Sektorübergreifende Zusammenarbeit funktioniert im deutschen Gesundheitswesen vor allem in der Theorie. Damit sie künftig auch praktisch funktioniert, hat die AOK Nordost in über einjähriger Arbeit eine digitale Kommunikationsplattform entwickelt, die auch von anderen AOKen unterstützt wird und die den Anspruch hat, eine jener "elektronischen Patientenakten" zu werden, von denen auch die neue große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag spricht.
Arzt behält die Kontrolle
"Alle wissen, dass sie besser zusammenarbeiten müssen, aber bisher war das einfach nicht praktikabel", sagte Stefanie Stoff-Ahnis von der Geschäftsleitung der AOK Nordost. "Mit dem Ärztenetz HaffNet und dem Ameos-Klinikum in Ueckermünde zeigen wir jetzt, wie sich sektorübergreifende Versorgung mit Hilfe einer elektronischen Akte so umsetzen lässt, dass sich eine enge Zusammenarbeit auch aufrechterhalten lässt." Technisch handelt es sich bei der AOK-Akte um eine dezentrale Kommunikationsplattform, die in enger Anlehnung an die österreichische Gesundheitsakte ELGA auf internationale Standards setzt, damit möglichst alle IT-Systeme angebunden werden können.
Es gibt keinen zentralen Server, auf dem alles zusammengeführt wird. Die Daten und Dokumente bleiben vielmehr dort, wo sie erzeugt werden, im Krankenhaus oder im Ärztenetz. "Wenn ein ambulanter Arzt Einweisungsdokumente zur Verfügung stellt, dann werden diese auf einen Verzeichnis-Server des Ärztenetzes gespiegelt, damit sie 24 Stunden am Tag zugänglich sind", erläuterte AOK-Projektleiter Christian Klose die Architektur. Wird das Originaldokument in der Praxis-IT verändert, dann ändert sich auch das gespiegelte Dokument. Der Erzeuger der Daten behält also die volle Kontrolle.
Diese dezentrale Architektur ist eine der Besonderheiten der AOK-Akte. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Patienten digital eingebunden werden. Das funktioniert so: Nach einmaliger Anmeldung in der Arztpraxis oder auch von zuhause aus kann der Versicherte per Web-Browser oder mit Hilfe einer mobilen App auf seine Daten zugreifen. Er braucht dazu Nutzername, Passwort und eine für jeden Zugriff neu generierte mTAN, ähnlich wie bei manchen Formen des Online-Bankings. Der Patient sieht dann alle Dokumente, die für die elektronische Patientenakte freigegeben wurden und kann sie sich auch herunterladen, wenn er das möchte. Zusätzlich speist die AOK weitere Daten ein, die ihr zur Verfügung stehen, etwa zu stationären Aufenthalten, zu verordneten Medikamenten oder zu Impfungen. All das wird in der mobilen App übersichtlich aufbereitet.
Gute Noten von den ersten Nutzern
Bewährt sich die Akte im Versorgungsalltag? Das wird jetzt im Rahmen des Projekts im Ärztenetz HaffNet genau evaluiert. Erste Rückmeldungen der Nutzer sind sehr positiv. So betont der Hausarzt Dr. Christian Bauer, in dessen Praxis in Torgelow in Anwesenheit des Gesundheitsministers von Mecklenburg-Vorpommern, Harry Glawe (CDU), der offizielle Startschuss für das Aktenprojekt fiel, dass er im Rahmen des integrierten Versorgungsvertrags des HaffNet für Einweisungen jetzt sehr viel weniger Zeit benötige als vorher und bei Entlassungen deutlich früher Bescheid wisse.
Die technische Leistungsfähigkeit des Systems reicht ihm aus: "Wir haben eine 16Mbit-Leitung, da lassen sich normale Datensätze für eine Einweisung gut übertragen, sofern keine Bilddateien dabei sind. Der Upload läuft im Hintergrund, ich kann also ganz normal weiterarbeiten" Das Ganze funktioniert direkt aus der Praxis-IT heraus über eine Schnittstelle, die in vielen Praxen ohnehin vorhanden ist, nämlich die S3C-Schnittstelle der integrierten Versorgung.
KV ist als Partner eingebunden
Auch aus Patientensicht kann die elektronische Patientenakte überzeugen. Anthony Jyss, einer von Bauers Patienten, betonte, dass durch die Akte sichergestellt werde, dass ambulante Laboruntersuchungen bei der Klinikeinweisung vorliegen. Das erspare ihm unter Umständen eine doppelte Blutentnahme. "Ich fühle mich als Patient dadurch auch sicherer, und ich nehme stärker am Geschehen und vor allem am Informationsfluss teil."
Die elektronische Patientenakte am Stettiner Haff soll kein Regionalprojekt bleiben. Sie ist mittlerweile ein Gemeinschaftsprojekt aller AOKen, das in möglichst vielen Regionen die sektorübergreifende Vernetzung unterstützen soll. Deswegen ist es wichtig, dass Partner aufseiten der Leistungserbringer eingebunden werden. Dazu gehört etwa die KV Mecklenburg-Vorpommern, über deren Sicheres Netz der KVen (SNK) die Aktenkommunikation läuft und die die elektronische Akte jetzt für Ärzte außerhalb des Ärztenetzes HaffNet öffnen möchte.
Auch in Brandenburg ist die KV mit an Bord. Dort soll die AOK-Akte zur Plattform des gemeinsam mit den Sana-Kliniken initiierten Innovationsfonds-Projekts StimMT in Templin werden. In Berlin schließlich steht der Startschuss eines Projekts kurz bevor, bei dem sich die Vivantes-Kliniken über die elektronische Akte mit niedergelassenen Ärzten und den Patienten vernetzen.