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Interview zu Mindestmengen

G-BA-Chef Hecken: Mindestmengen bedeuten immer auch ein Abwägen

Die Anhebung von Mindestmengen sorgt dafür, dass ab 2025 mehr komplexe und planbare Op an Krankenhausstandorten mit hohen Fallzahlen erfolgen. Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Josef Hecken, über Kriterien für die Festlegung von Mindestmengen und über derzeit laufende Diskussionen zu Untergrenzen bei weiteren Eingriffen.

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Professor Josef Hecken ist seit Juli 2012 Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Professor Josef Hecken ist seit Juli 2012 Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses.

© Rosa Reibke/G-BA

Herr Professor Hecken, die Mindestmengen für die Behandlung von Brustkrebs (50 Fälle / Jahr) und Lungenkrebs (40 Fälle / Jahr) wurden erst in diesem Jahr vom G-BA eingeführt. Sie werden im kommenden Jahr auf 100 Fälle (Brustkrebs-Op) und 75 Fälle (für thoraxchirurgische Behandlungen von Lungenkrebs) angehoben. Warum diese große Steigerung nach kurzer Zeit?

Die Mindestmengen für Operationen von Brust- und Lungenkrebs hat der G-BA im Dezember 2021 beschlossen: Bei Brustkrebs-Operationen wurde die Höhe bereits damals auf 100 pro Jahr festgelegt, bei Lungenkrebs auf 75 pro Jahr. Eine neue Mindestmenge kann aber nicht von heute auf morgen eingeführt werden, das würde nicht funktionieren. Deshalb ist die volle Höhe der genannten Mindestmengen erst ab dem Jahr 2025 einzuhalten. Übergangsweise gelten im Sinne einer gestuften Einführung Mindestmengen von 50 (Brustkrebs) beziehungsweise 40 (Lungenkrebs) pro Jahr.

Es ist also keinesfalls so, dass festgelegte Mindestmengen kurzfristig nochmals angehoben wurden. Angesichts der hohen Anforderungen, die wir bei diesem qualitätssichernden Ansatz einhalten müssen, wäre ein solches Vorgehen gar nicht möglich.

Sie hatten dafür plädiert, die Mindestmengen für die Versorgung von Früh- und Reifgeborenen mit einem Aufnahmegewicht unter 1.250 Gramm von 20 auf 25 Geburten pro Jahr anzuheben. Im laufenden Jahr hatten dadurch bundesweit mehrere Geburtsstationen ihre Versorgungsberechtigung verloren, 2025 wird sich dagegen laut AOK-Mindestmengen-Transparenzkarte die Zahl der beteiligten Standorte leicht erhöhen, von 144 auf 146. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Für die Versorgung von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm galt seit dem Jahr 2010 eine Mindestmenge von 14 pro Jahr – eine Zahl, die gerade hoch genug war, um eine Gelegenheitsversorgung auszuschließen. Nach umfangreichen Evidenzrecherchen und Folgeabschätzungen für die bundesweite Standortverteilung beschlossen wir dann im Jahr 2020 die neue Mindestmenge von 25. Auch hier sahen wir eine stufenweise Anhebung vor.

Wenn sich nun zeigt, dass es durch die Mindestmenge zu einer Umverteilung unter den Krankenhausstandorten oder auch zu Kooperationen zwischen Perinatalzentren verschiedener Level kommt, dann ist das genau das Ergebnis, das der Gesetzgeber mit diesem Qualitätssicherungsinstrument erreichen will – planbare risikobehaftete Behandlungen auf erfahrene Kliniken zu konzentrieren. Um aber die genauen Effekte und Auswirkungen der Mindestmenge empirisch überprüfen und bewerten zu können, haben wir eine Evaluation in Auftrag gegeben. Ein erster Zwischenbericht liegt uns im Februar 2025 vor.

Mit Blick auf die Frühgeborenen-Versorgung betonen Sie immer wieder den Zusammenhang zwischen einer Erhöhung der jährlichen Fallzahl um nur 10 Operationen und einer um etwa 5 Prozent sinkenden Wahrscheinlichkeit, im Krankenhaus zu versterben. Gibt es in den Studien Hinweise, worauf die Kausalität zwischen der relativ geringen Erhöhung der Fallzahl und der relativ hohen Senkung der Sterberate beruht?

Der G-BA hat für seinen Beschluss verschiedene Studien und Analysen herangezogen, die auf das Gewicht der Kinder von 1.250 Gramm abstellen und aus dem deutschen Versorgungskontext stammen. Sie zeigen in der Tat, dass eine Erhöhung der Fallzahl um 10 das Risiko der Kinder zu sterben um etwa 5 Prozent senkt. Es geht aber nicht nur um die Verringerung des Sterberisikos, sondern auch darum, schwerere Komplikationen und lebenslange Einschränkungen zu reduzieren oder sogar zu verhindern. Aus medizinischen Fachkreisen wurde im Beratungsverfahren teilweise ja gefordert, die Mindestmenge nicht nur von 14 auf 25 zu erhöhen, sondern auf 50 oder 60 pro Jahr.

Der G-BA muss aber zwischen dem Ziel der Qualitätssicherung und der flächendeckenden Versorgung abwägen. Auch wenn wir bei Mindestmengen immer über planbare Behandlungen sprechen, dürfen sich aus verlängerten Fahrt- und Wegstrecken keine zusätzlichen Risiken ergeben, die durch den Zugewinn an Qualität und Sicherheit für Mutter und Kind aufgewogen werden.

Bei Kniegelenk-Endprothesen beträgt die vom G-BA festgelegte Mindestmenge jährlich 50 Op pro Klinikstandort. Andere Experten empfehlen ein Minimum von 120 Operationen. Woraus resultieren aus Ihrer Sicht die differierenden Bewertungen?

Die Mindestmenge für Kniegelenk-Endoprothesen war die erste, die vom G-BA beschlossen wurde, sie gilt seit dem Jahr 2006. Seitdem haben sich die Versorgungsangebote für Kniegelenk-Indikationen verändert und damit auch die Studienlage. Die Frage, ob die Mindestmenge in Höhe von 50 pro Jahr angepasst werden muss, wird derzeit im G-BA beraten – unter Berücksichtigung unikondylärer Schlittenprothesen und Knieprothesenrevisionen.

Wie bei allen Mindestmengen prüfen wir im ersten Schritt die aktuelle Studienlage: Wie stark ist der Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Behandlungsqualität? Steigt der Zusammenhang linear an oder gibt es irgendwann einen sog. Bruchpunkt, an dem sich das Ergebnis nicht weiter verbessert? Im zweiten Schritt ist dann auch hier die beschriebene Folgenabschätzung notwendig, um zusätzliche Transport- und Verlegungsrisiken zu vermeiden.

Über Mindestmengen welcher weiteren, bislang noch nicht berücksichtigten Operationen berät der G-BA derzeit?

Ende November werden wir die Beratungen zu Mindestmengen bei der chirurgischen Behandlung des Kolon- und Rektumkarzinoms abschließen. Weitere Beratungen, die aber noch nicht so weit fortgeschritten sind, betreffen die Major-Leberresektion sowie Operationen von Karzinomen des Magens.

Werden die vom G-BA festgelegten Mindestmengen überflüssig, wenn im Zuge der Krankenhausreform Leistungsgruppen eingeführt werden, die ihrerseits Mindestmengen beinhalten?

Die von Ihnen angesprochenen Mindestvorhaltezahlen stellen nach der Systematik in § 135f SGB V (neu) lediglich auf die Messung und Abbildung der Quantität von Leistungen innerhalb einer Leistungsgruppe ab – nur bei Erfüllung der Mindestvorhaltezahlen soll ein Krankenhaus in einer zugewiesenen Leistungsgruppe ein Vorhaltebudget erhalten.

Es geht bei den Mindestvorhaltezahlen aber nicht um die Qualitätssicherung einer ganz konkreten hochkomplexen Behandlung. Im Vergleich haben wir es mit ganz unterschiedlichen Zielsetzungen und Auswirkungen zu tun.

Vielen Dank für das Gespräch!

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