Zuckerreduktionsgipfel
Ohne Sanktionen zu weniger Zucker?
Viele gängige Lebensmittel enthalten Zucker. Zu viel, warnen Ärzte, Ernährungsexperten und auch die AOK. Auf dem zweiten Deutschen Zuckerreduktionsgipfel ging es daher um Strategien, wie sich das weiße Süße in Limo, Müsli & Co. reduzieren lässt. Denn die Folgen eines zu hohen Zuckerkonsums sind alarmierend.
Veröffentlicht:BERLIN. Am Potsdamer Platz in Berlin hat die AOK unlängst für einen Tag den ersten "transparenten Supermarkt" Deutschlands eröffnet. Dem Verbraucher dürfte es dort wie Schuppen von den Augen gefallen sein, dass in vielen gängigen Lebensmitteln reichlich Zucker enthalten ist. Und damit dem Verbraucher auch wirklich klar wird, wie viel Süßes Limo, Cornflakes und Rotkohl enthalten, hat die Gesundheitskasse neben jedes der Produkte einen durchsichtigen Behälter mit der Menge an Würfelzucker gestellt, die man beim Verzehr des jeweiligen Lebensmittels zu sich nimmt.
Doppelt so viel wie empfohlen
Hochgerechnet sind es 90 Gramm Zucker, die der Bundesbürger jeden Tag konsumiert – fast doppelt so viel, wie die WHO maximal empfiehlt. Dieses Zuviel an Süßem hat Folgen, wobei der AOK insbesondere der zugesetzte Zucker ein Dorn im Auge ist. "Der zugesetzte Zucker in zahlreichen Lebensmitteln – auch herzhaften – steht in einem klaren Zusammenhang mit Adipositas, starkem Übergewicht, Karies und Diabetes", sagte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, auf dem 2. Deutschen Zuckerreduktionsgipfel, der kürzlich in Berlin stattfand und an dem zahlreiche Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft teilnahmen (wir berichteten).
Drastische Worte für das Problem fand der US-amerikanische Arzt und Wissenschaftler Robert H. Lustig. Zucker mache abhängig und sei in seiner Wirkung toxisch, so Lustig. "Für unsere Kinder ist er so schädlich wie Alkohol." Zucker verfette ihre Leber und könne sie sehr krank machen. Weltweit steige die Zahl der Diabetiker dramatisch.
Im Jahr 2014 seien mehr als 420 Millionen Menschen daran erkrankt gewesen. Diabetes schieße in den Himmel. "Und das alles passiert vor unseren Augen." Lustig schloss seinen Vortrag mit einer einfachen Botschaft: "Gute Ernährung ist Medizin, schlechte braucht Medizin."
Steuer auf Kinderprodukte?
Auch Dr. Dietrich Garlichs, Berater des Vorstands der Deutschen Diabetes Gesellschaft, warnte vor den gesundheitlichen Folgen eines zu hohen Zuckerkonsums. Ein Grund dafür seien industriell gefertigte Lebensmittel und Getränke sowie der künstlich zugesetzte Zucker darin. "Wir brauchen deshalb eine klare Kennzeichnung wie die Lebensmittel-Ampel."
Diese führe dem Verbraucher klar vor Augen, was er zu sich nimmt. Kleingedruckte Nährwert- und Kalorienangaben auf den Produkten seien für viele Menschen irreführend. Tatsächlich dürfte es vielen Verbrauchern schwer fallen, zu beurteilen, ob 15 Gramm Zucker in der 100-Gramm-Müslipackung viel oder wenig sind. Darüber hinaus müsse der Staat den Lebensmittelkonsum mittels Steuern in die gesunde Richtung steuern. "Preise wirken", betonte Garlichs – und verwies auf Großbritannien.
Dort hätten Getränkehersteller nach Einführung einer Steuer auf zuckerhaltige Softdrinks ihre Rezepturen geändert. "Scheint also zu wirken, wenn die Politik eingreift." Auch SPD-Gesundheitsexperte Professor Dr. Karl Lauterbach machte sich für eine Zuckersteuer auf Kinderprodukte stark. Die Einnahmen sollten an Schulen und Kitas fließen.
Gesunde Wahl ermöglichen
Solchem Aktionismus – insbesondere Richtung Zucker – können Vertreter der Industrie wenig abgewinnen. "Wenn wir uns nur auf den Zucker konzentrieren, kommen wir nicht weiter. Wir müssen über zu viele Kalorien reden", sagte Günter Tissen, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker.
Hauptproblem sei, dass sich die Menschen zu wenig bewegen und die Kalorien nicht abbauen würden, die sie zu sich nehmen. Selbst bei Zuckerreduktion bliebe der Kaloriengehalt mitunter gleich. Tissen nannte als Beispiel den weniger gesüßten Yoghurt. Viele sagten sich dann: "Prima, esse ich doch zwei davon." Tissens Appell: "Wir müssen uns ehrlich machen."
Eben diese richtige Balance zu finden sei ihr Ziel, betonte Bundesernährungsministerin Julia Klöckner. "Wir müssen mit politischem Augenmaß vorgehen. Es gibt nicht den einen Knopf, den man drückt und alles ist gut." Ihr Anliegen sei es, "die gesunde Wahl von Lebensmitteln zur leichten Wahl zu machen". Deshalb sei es gut, dass mit der Wirtschaft eine Vereinbarung gefunden worden sei, nach der ab 2019 weniger Zucker, Fette und Salz in Fertignahrungsmitteln verwendet werden sollen. Außerdem werde sie Zucker und süßende Zutaten in Säuglings-und Kindertees verbieten.
Nur die Spitze des Zuckerbergs
Beim AOK-Bundesverband stoßen solche Ankündigungen grundsätzlich auf Zustimmung. Vertreter der Lebensmittelindustrie hätten inzwischen das Risiko eines übermäßigen Zuckerkonsums erkannt und Reduktionsstrategien gestartet. Litsch: "Sie merken, dass man damit Geld verdienen kann." Aber, fügte der AOK-Chef hinzu: "Das kappt leider nur die Spitze des Zuckerberges." Überfällig seien "kurzfristig nachvollziehbare und messbare Reduktionsziele".
Auch Garlichs nannte die Vereinbarung zwischen Politik und Wirtschaftsverbänden einen ersten Schritt. "Die Frage ist nur, ob das ohne Sanktionsmöglichkeiten auskommt."
Dem Zucker auf der Spur
- Mehr Kompetenz: Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung belegt, dass rund 92 Prozent der Eltern den Gesamtzuckergehalt von Lebensmitteln und Getränken nicht einschätzen können.
- App hilft: Die kostenfreie App "Gesund Einkaufen" unterstützt Verbraucher beim Erkennen und Einordnen von Zucker-, Salz- und Fettanteilen in Lebensmitteln mittels Nährwert-Ampel oder einem Zuckerwürfel-Rechner. www.aok.de/apps
- Neues Bündnis: Weniger ist mehr: Dieses Anliegen hat sich die "Aktion weniger Zucker" auf die Fahnen geschrieben. Das Bündnis, dem auch der AOK-Bundesverband angehört, setzt sich unter anderem für ein Verbot des Kindermarketings für zucker- sowie hochkalorische Lebensmittel, eine verständliche Lebensmittelkennzeichnung, steuerliche Anreize für die Industrie sowie Standards für die Kita- und Schulverpflegung ein.