2. Zuckerreduktionsgipfel
Viel zu süß: So will Deutschland den Zuckerberg bezwingen
Zu viel und zu schlecht gekennzeichnet: Zucker versteckt sich in vielen Fertigprodukten. Das erschwert eine gesundheitsbewusste Ernährung unnötig, so eine Kritik beim 2. Zuckerreduktionsgipfel. Die Politik will nun eingreifen.
Veröffentlicht:BERLIN. Aktuelle Erhebungen zeigen, dass rund 80 Prozent der Fertigprodukte in Supermärkten zugesetzten Zucker enthalten, der für Verbraucher nur schwer erkennbar ist. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung belegt wiederum, dass rund 92 Prozent der Eltern den Gesamtzuckergehalt von Lebensmitteln und Getränken gar nicht einschätzen können. Darauf verwies der Vorsitzende des AOK-Bundesverbande Martin Litsch beim 2. Deutschen Zuckergipfel.
Bereits seit einiger Zeit hat sich die AOK nach eigenen Angaben dem Kampf gegen zu viel Zucker Ernährung der verschrieben. 2017 hat der Bundesverband daher den ersten "Deutschen Zuckerreduktionsgipfel" ausgerufen, der nun in zweiter Auflage unter dem Titel "Süß war gestern" in Berlin stattgefunden hat.
Rund 200 Gäste aus Politik, Wissenschaft, Gesundheitswesen und Wirtschaft nahmen an dem 2. Treffen teil, um über Ernährungsaspekte rund um Verbraucherverhalten – vor allem im Hinblick auf den Zuckerkonsum –, Einflüsse und Manipulationsmöglichkeiten sowie Verantwortung von Politik und Industrie zu diskutieren. Zu den Gästen gehörte auch Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU). Diese hatte bereits am Dienstag eine Grundsatzvereinbarung gegen "Dickmacher" mit vielen Kalorien vorgestellt. Die Vereinbarung wurde mit mehreren Branchenverbänden geschlossen.
Für eine gesündere Ernährung sollen danach Fertiggerichte wie Tiefkühlpizza künftig schrittweise mit weniger Fett, Salz und Zucker auskommen. Bis 2025 sollen die gesetzten Ziele dann erreicht sein. Auch Portionsgrößen von Produkten sollen kleiner werden, um Übergewicht gerade bei Kindern zu vermeiden. In den nächsten Wochen müssten nun konkrete Zielvereinbarungen folgen. Der Grundsatzvereinbarung zufolge geht es darum, "auf freiwilliger Basis eine möglichst breite Mitwirkung der Wirtschaftsunternehmen zu erreichen". Belange von Handwerksbetrieben sollen im Blick behalten werden.
Gesunde Wahl erleichtern
Auf dem AOK-Kongress bekräftigte Klöckner ihr Ziel, die gesunde Wahl von Lebensmitteln zur leichten Wahl zu machen. Mit der gemeinsam mit der Ernährungswirtschaft getroffenen Vereinbarung sei man dem Ziel weniger Zucker, Fette und Salz in Fertignahrungsmitteln einen Schritt näher gekommen. "Außerdem werde ich künftig Zucker und süßende Zutaten in Säuglings-und Kindertees verbieten", äußerte sie in einer Mitteilung der AOK.
Auch die Ernährungskompetenz des Verbrauchers zu fördern – also sein Wissen, was eine ausgewogene Ernährung ausmacht – sei ihr ein wichtiges Anliegen. Daher habe sie die Schirmherrschaft für eine Studie mit der AOK zur Ernährungskompetenz übernommen, an dessen Finanzierung sich ihr Ministerium mit beteiligt.
Im Kampf gegen Dickmacher wurde am Mittwoch außerdem die „Aktion Weniger Zucker“ aus der Taufe gehoben. Sie wird getragen von der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) gemeinsam mit dem AOK-Bundesverband, foodwatch, der Deutschen Diabetes Gesellschaft und dem Ethno-Medizinischen Zentrum e.V.. Ziel ist die Verringerung des hohen Zuckerkonsums in Deutschland und die Förderung einer gesunden Ernährung durch gesundheitspolitische Entscheidungen. Dabei wollen die Gründer Politik und Industrie etwas auf die Sprünge helfen. Denn Deutschland hinke bei politischen Maßnahmen gegen Übergewicht weit hinterher, hieß es dazu in einer Pressemitteilung der DANK.
„Aktion Weniger Zucker“ fomuliert Forderungen
Die „Aktion Weniger Zucker“ orientiere sich am britischen Vorbild der „Consensus Action on Sugar“ und am Tabakrahmenübereinkommen der WHO. Ein derart konzertiertes Vorgehen sei auch im Bereich Ernährung dringend notwendig. Die „Aktion Weniger Zucker“ konzentriert sich zunächst auf das Problem des übermäßigen Zuckerkonsums durch Fertigprodukte und Softdrinks.
Das sind die vier Forderungen
- Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für zuckerreiche oder andere hochkalorische Lebensmittel (wenn das Produkt nicht dem Nährwertprofil der WHO entspricht)
- verständliche Lebensmittelkennzeichnung für alle Bevölkerungsgruppen
- steuerliche Anreize für die Lebensmittelindustrie, gesündere Rezepturen zu entwickeln
- verbindliche Standards für die Kita- und Schulverpflegung
Kritik an Industrievereinbarungen
Im Gegensatz zum AOK-Bundesverband, der Klöckners Initiative mit der Ernährungsindustrie grundsätzlich lobte, kritisierte die Verbraucherorganisation Foodwatch die Pläne und hielt Klöckner einen "Kuschelkurs" gegenüber der Branche vor. Die Vereinbarung überlasse es den Unternehmen selbst, welche Zielvorgaben sie sich setzten, und lasse ihnen dafür auch noch bis 2025 Zeit.
Auch die Grünen halten wenig von den Plänen der Ernährungsministerin und nannten die Grundsatzvereinbarung "eine Farce". Es handele sich um eine Ankündigung, dass Unternehmen etwas machen wollten, was sie längst tun und bekannt gegeben hätten. "So billig darf sich die Wirtschaft nicht aus der Verantwortung stehlen", sagte die Grünen-Ernährungsexpertin im Bundestag, Renate Künast.
Die Industrie müsse endlich ernsthaft in die Pflicht genommen werden. Nötig sei ein "ganzheitlicher Ansatz für eine Ernährungswende, damit gutes Essen im Alltag für alle einfach wird", so Künast. Dazu zählten etwa auch Verbesserungen der Gemeinschaftsverpflegung und der Ernährungsbildung sowie eine Nährwert-Kennzeichnung in den Ampelfarben auf Packungen.
Dieser Beitrag wurde am 17.10.2018 um 16 Uhr aktualisiert.
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