SARS-CoV-2-Pandemie

Wann ist eine breite Corona-Impfung möglich, WHO-Chefforscherin Swaminathan?

Ein effizienter Impfstoff könnte die Corona-Pandemie zumindest teilweise eindämmen. Doch wann könnte der so weit sein? Ein Gespräch mit der WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan.

Von Valentin Frimmer und Angelika Engler Veröffentlicht:
Die Chefwissenschaftlerin der WHO, Soumya Swaminathan, ist zuversichtlich, dass es Mitte 2021 einen Impfstoff gegen Corona gibt, der auf breiter Basis eingesetzt werden kann.

Die Chefwissenschaftlerin der WHO, Soumya Swaminathan, ist zuversichtlich, dass es Mitte 2021 einen Impfstoff gegen Corona gibt, der auf breiter Basis eingesetzt werden kann.

© Fabrice Coffrini/picture alliance/KEYSTONE

Was schätzen Sie, wann wird ein Impfstoff reif für den Einsatz sein?

Soumya Swaminathan: Im Moment sind mehr als 20 Impfstoffkandidaten in klinischen Studien. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass ein paar von ihnen funktionieren werden. Es wäre sehr viel Pech, sollten alle scheitern. Es ist möglich, dass wir Anfang 2021 Ergebnisse haben werden.

So früh im neuen Jahr könnten wir schließlich einen Impfstoff haben. Dann müsste er hergestellt und auf Masse produziert werden. Wenn wir also sehr praktisch denken, dann könnten wir Mitte 2021 über einen Impfstoff verfügen, der auf breiter Basis eingesetzt werden kann. Natürlich lässt sich das nicht vorhersagen. Wenn wir annehmen, dass es eine zehnprozentige Chance für jeden der Impfstoff-Kandidaten gibt, erfolgreich zu sein, bedeutet das immer noch, dass ein oder zwei Impfstoffe erfolgreich sein könnten – vielleicht sogar mehr.

Im Vergleich zu jeder anderen Krankheit ist dies der kürzeste Zeitplan, den wir je gesehen haben.

Soumya Swaminathan, WHO-Chefwissenschaftlerin

Werden schneller Fortschritte erzielt als Sie erwartet haben?

Es geht tatsächlich sehr schnell. Im Vergleich zu jeder anderen Krankheit ist dies der kürzeste Zeitplan, den wir je gesehen haben. Von der Veröffentlichung der Virus-RNA-Sequenz im Januar bis zum ersten Impfstofftest im März vergingen weniger als drei Monate. Das gab es noch nie zuvor. Es ist möglich, dass die Phase III-Versuche innerhalb eines Jahres nach Beginn der Impfstoffentwicklung abgeschlossen sein werden. Das wäre ein Erfolg und ein Grund zum Feiern. Aber der Abschluss von klinischen Phase-III-Studien bedeutet nicht zwingend, dass der Impfstoff wirksam, sicher und einsatzbereit ist.

Derzeit werden mehrere Impfstoffe an Menschen getestet. Sind Sie besonders optimistisch, was einen Bestimmten angeht?

Wir können nicht vorhersagen, welche dieser Impfstoffe funktionieren werden. Im Moment haben wir absolut keine Ahnung, welcher erfolgreich sein wird. Unser Ansatz ist, dass Impfstoffversuche für so viele Kandidaten wie möglich unternommen werden müssen, damit man die besten Erfolgschancen hat. Das Interesse und die Investitionen sind sehr hoch, aber wir haben bestimmte Kriterien. Es reicht nicht aus, 20 oder 30 Prozent der geimpften Menschen zu schützen – das wird diese Pandemie nicht beenden. Wir brauchen einen Impfstoff, der etwa 70 Prozent Schutz bietet und sicher ist.

Die Impfstoffe, die getestet werden, haben ziemlich unterschiedliche Ansätze. Haben Sie einen Favoriten?

Nun, mit einigen Konzepten für einen Impfstoff haben wir mehr Erfahrung, sodass man zumindest weiß, was man erwarten kann. Inaktivierte Virusimpfstoffe werden zum Beispiel seit vielen Jahren eingesetzt. RNA- und DNA-Ansätze sind die beiden neuen, die noch nie beim Menschen eingesetzt wurden. Wir müssen die Ergebnisse wirklich beobachten und sehen. Wir wissen nicht, wie wirksam diese neuen Plattformen beim Auslösen des Schutzeffekts sind, und kennen auch das Sicherheitsprofil nicht. Aber es ist sehr gut, dass wir so viele verschiedene Ansätze haben. Verschiedene Plattformen können möglicherweise in unterschiedlichen Bevölkerungsuntergruppen – etwa älteren Menschen, schwangeren Frauen oder Kindern – besser funktionieren.

Kürzlich haben verschiedene Studien gezeigt, dass die Antikörper-Level nach einer Infektion schnell zu sinken scheinen. Halten Sie diese Ergebnisse für besorgniserregend?

Nein, aber wir beobachten sie genau. Die Tatsache, dass neutralisierende Antikörper verschwinden, bedeutet nicht, dass die Immunität weg ist. Die verschiedenen Arten der Immunität gegen dieses Virus werden derzeit noch erforscht. Es gibt auch Berichte, die darauf hinweisen, dass die zellenvermittelte Immunantwort – die T-Zellen-Antwort – ziemlich wichtig sein könnte.

Zusätzlich entwickelt man einige Gedächtniszellen. Diese Zellen können reaktiviert werden, wenn man erneut dem Virus ausgesetzt ist – und eine Immunantwort auslösen.

Wir lernen noch dazu. Was wir von natürlichen Infektionen wissen, ist, dass die Mehrheit der Menschen Antikörper entwickelt – sie entwickeln Immunität. Es ist gut, das zu wissen. Das gibt Hoffnung, dass ein Impfstoff auch eine Immunität hervorrufen wird. Bisher haben wir noch von keinem Fall gehört, bei dem eine zweite Infektion vorliegt. (dpa)

Zur Person

Soumya Swaminathan ist ursprünglich Kinderärztin und gilt als ausgewiesene Fachfrau in der Tuberkulose-und HIV-Forschung. Insgesamt hat die aus Indien stammende Swaminathan mehr als 350 Fachartikel und Buchkapitel veröffentlicht. Seit vergangenem Jahr ist sie Chefwissenschaftlerin der WHO.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Erhebung von AOK und Deutscher Krebsgesellschaft

Mehr Versicherte nutzen Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung

Interview zur Krebsfrüherkennung

Hautkrebs-Screening: Uns fehlt ein Einladungsverfahren

Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband

Aktuelle Analyse

Positiver Trend bei der Krebsvorsorge

Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband
Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Umgang mit Multimorbidität in der Langzeitpflege

© Viacheslav Yakobchuk / AdobeStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Springer Pflege

Umgang mit Multimorbidität in der Langzeitpflege

Anzeige | Pfizer Pharma GmbH
COVID-19 in der Langzeitpflege

© Kzenon / stock.adobe.com

Springer Pflege

COVID-19 in der Langzeitpflege

Anzeige | Pfizer Pharma GmbH
Kommentare
Abb. 1: Zeitaufwand pro Verabreichung von Natalizumab s.c. bzw. i.v.

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [9]

Familienplanung und Impfen bei Multipler Sklerose

Sondersituationen in der MS-Therapie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Biogen GmbH, München
Impfungen – ob Influenza oder Reisezeit

© Springer Medizin Verlag GmbH

Impfungen – ob Influenza oder Reisezeit

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt a. M.
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Erhöhtes Thromboserisiko

Fallbericht: Lungenembolie bei einem Hobby-Bergsteiger

Lesetipps
Ein Mettbrötchen

© juefraphoto / stock.adobe.com

Tödlicher Einzeller im Hirn

Fallbericht: Amöbenenzephalitis nach Verzehr von rohem Fleisch?

Ärztin misst bei einer Patientin den Blutdruck

© goodluz / stock.adobe.com

Unter 120 mmHg

Striktere Blutdruckkontrolle bei Diabetes wohl doch sinnvoll