Studien

Auch wenig Alkohol schadet Herz und Hirn

Ein Glas Bier oder Wein pro Tag schadet nichts, sondern hilft eher dem Körper, so eine weitverbreitete Auffassung. Zwei neue Studien kommen jetzt aber zum gegenteiligen Ergebnis.

Veröffentlicht:
Zu tief ins Glas geschaut? Das kann schlecht fürs Hirn sein.

Zu tief ins Glas geschaut? Das kann schlecht fürs Hirn sein.

© richkin1979 / stock.adobe.com

NEW ORLEANS/PEKING/ OXFORD. In der beim diesjährigen ACC-Kongress in New Orleans vorgestellten NHANES-Studie zu den Auswirkungen von Alkohol auf die Herzgesundheit haben Forscher der Wake Forest Universität in North Carolina die über 17.000 Teilnehmer in drei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe trank keinen Alkohol, die zweite 7–13 Drinks pro Woche und die dritte mehr als 14 Drinks pro Woche.

Das Ergebnis der Studie: Die gemäßigten Trinker hatten ein um 53 Prozent höheres Risiko für Hypertonie im Stadium 1 (130–139/  80–89 mmHg) und ein doppelt so hohes Risiko für Hypertonie im Stadium 2 (> 140 / > 90 mmHg) wie die alkoholfreie Gruppe.

Die Vieltrinker hatten sogar ein um 69 Prozent erhöhtes Risiko für Hypertonie im Stadium 1, ihr Risiko für Hypertonie im Stadium 2 war 2,4-mal so hoch wie das der Abstinenten.

Die Daten für die Studie stammen aus der National Health and Nutrition Examination Study (NHANES), eine große Untersuchung der amerikanischen Zentren für Krankheitsbekämpfung und Prävention über mehrere Jahrzehnte. Über 17.000 Erwachsene berichteten in Fragebögen über ihr Trinkverhalten, zudem wurde ihr Blutdruck gemessen.

Erhöhtes Hypertonierisiko schon bei mäßigem Alkoholkonsum

Insgesamt betrug der durchschnittliche Blutdruck bei den Nichttrinkern etwa 109 / 67 mmHg, bei den moderaten Trinkern 128 / 79 mmHg und bei den starken Trinkern 153 / 82 mmHg.

Die Studie widerspricht der Auffassung, moderater Alkoholkonsum fördere die Herzgesundheit. Studienautor Dr. Amer Aladin berichtete beim ACC-Kongress: „Ich denke, dies wird ein Wendepunkt für die klinische Praxis, die zukünftige Forschung, Aufklärung und Gesundheitspolitik in Bezug auf Alkoholkonsum sein.“

Es sei die erste Studie, die zeige, dass sowohl starker als auch mäßiger Alkoholkonsum mit einem erhöhten Hypertonierisiko einhergehe.

Nach Ansicht der Forscher könnte der Einfluss von Alkohol auf den Blutdruck auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein: Da Alkohol kalorienreich ist und den Appetit erhöht, nimmt der Körper mehr Kalorien auf, was Gewichtszunahme und damit Bluthochdruck fördert.

Schlaganfallrisiko könnte auch erhöht sein

Auch eine weitere Untersuchung attestiert dem Alkoholkonsum Folgen für die Gesundheit. Umso mehr Alkohol eine Person regelmäßig trinkt, umso höher ist das Schlaganfallrisiko. Schon geringe Steigerungen der Alkoholmenge vergrößerten das Risiko stark.

Das ist das Ergebnis einer Studie der Universitäten von Peking und Oxford sowie der Chinese Academy of Medical Science. Sie wurde bei dem Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht (doi: 10.1016/S0140-6736(18)31772-0).

Einschränkung: Die Studienteilnehmer waren ausschließlich Chinesen. Knapp 500.000 Teilnehmer beobachteten die Forscher über einen Zeitraum von zehn Jahren. Freilich muss man hierbei bedenken, dass im ostasiatischen Raum häufig eine Variation des Chromosoms 12 namens rs671 vorkommt, die bewirkt, dass bei vielen Asiaten der Ethanolabbau zu Acetat gestört ist – das löst den bekannten "Asian Flush" aus, wodurch schon geringe Mengen Alkohol Übelkeit auslöst. (sj/ajo)

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 14.04.201919:37 Uhr

"Kein Alkohol ist auch keine Lösung"?

Im Widerspruch zur hier in der Ärzte Zeitung sehr gut dargestellten, aber methodisch schlecht gemachten NHANES-Studie zu den Auswirkungen von Alkohol auf die Herzgesundheit (s.o.) und der aus genetisch-geografischen Gründen total irreführenden Publikation "Conventional and genetic evidence on alcohol and vascular disease aetiology: a prospective study of 500 000 men and women in China" von Iona Y Millwood et al.
https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(18)31772-0/fulltext
gibt es in puncto Alkohol auch ganz andere Studienergebnisse:
"Dietary patterns during adulthood and cognitive performance in midlife - The CARDIA study" von Claire T. McEvoy
https://n.neurology.org/content/92/14/e1589

Drei angeblich "herzgesunde" Diäten wurden im Kopf-an-Kopf-Vergleich über 20 Jahre geprüft und verglichen:

- Die Mittelmeerdiät ("mediterranean diet") mit Vollkorn, Obst, Gemüse, ungesättigten Fettsäuren, Nüssen, Hülsenfrüchten und Fisch, begrenzt rotem Fleisch, Geflügel, Vollmilch und moderatem Alkoholkonsum (Rotwein).

- Die „A Priori Diet Quality Score“-Diät (APDQS) aus den USA mit Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, fettarmen Milchprodukten, Fisch und moderatem Alkoholkonsum; frittierte Lebensmittel, salzige Snacks, Süßigkeiten, fettreiche Milchprodukte und mit Zucker versetzte Softdrinks sollen nur sehr wenig und selten konsumiert werden.

- Die "Dietary Approaches to Stop Hypertension", diätetischer Ansatz zum Stopp von Hypertonie (DASH) Diät empfiehlt Getreide, Gemüse, Obst, fettarme Milchprodukte, Hülsenfrüchte und Nüsse mit Begrenzung von Fleisch, Fisch, Geflügel, Gesamtfett, gesättigten Fettsäuren, Süßigkeiten und Natrium bzw. dem völligen Verzicht auf Alkohol.

Dazu die Leiterin der Untersuchung Dr. Claire McEvoy:

- „Wir wissen zwar noch nicht, welche Nährstoff- und Lebensmittel-Kombinationen für das Gehirn am zuträglichsten sind, doch für das Herz kann den Patienten eine Kost, die reich an Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen ist, empfohlen werden, wenn sie dazu noch mäßig viel Fisch, fettarme Milchprodukte und Alkohol enthält und nur wenig Fleisch und verarbeitete Lebensmittel enthält“

- „Es ist möglich, dass mäßiger Alkoholkonsum als Teil einer gesunden Ernährung für die Gehirngesundheit im mittleren Alter eine Rolle spielen könnte, aber es bedarf weiterer Untersuchungen, um eine solche Annahme zu bestätigen“.

Es bleiben jede Menge offener Fragen.
Welche Rolle spielt insbesondere bei der DASH-Diät eine dabei wohl häufiger zu antizipierende, ergänzende Pharmakotherapie der (prämorbiden) Hypertonie?

Welche Alkoholmengen sind bei mediterraner Diät bzw. bei der so akademisch klingenden APDQS-Diät gemeint und wären tolerabel?

Was ist mit Morbiditäts- und Mortalitätsdaten nach 20 Jahren Beobachtungsdauer?

Von den mediterranen Ländern habe ich seit 1968 (Italienfahrt mit dem ersten selbstverdienten Geld) das damalige Jugoslawien, Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland, Slowenien z.T. mehrfach bereist. In keinem einzigen dieser Länder isst man Vollkorn-Produkte, sondern Weißbrot, Pasta, Pizza, polierten Reis (Risotto). Traditionell werden keinerlei Teigwaren mit Vollkornmehl zubereitet. Extra Nüsse stehen auf keiner Speisekarte.

Und was den moderaten Alkoholkonsum angeht, "versetzt der Glaube an die mediterrane Diät offensichtlich Weinberge". In diesen Ländern ist die Lebenserwartung selbst bei Menschen mit niedrigem ökonomischem Status (Griechenland-Krise) im europäischen Vergleich weitaus höher als in den Ländern nördlich der Alpen (Ausnahmen Schweiz und Frankreich). Zugleich ist der Weinkonsum im mediterranen Raum weltweit am höchsten.

Da stimmt doch etwas nicht!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Isabella Jonas 13.04.201920:34 Uhr

Genussgifte

Das Leben an sich ist tödlich und die Menge macht das Gift. Ich spreche im Bekanntenkreis häufiger an, dass auch schon als gering empfundene Mengen Alkohol nachgewiesenermaßen einen negativen Effekt auf die Gesundheit haben können.

Ich will niemandem seinen Genuss vermiesen, ich trinke selbst gelegentlich gerne mal ein gutes Glas Rotwein. Dennoch sollte man sich der Fakten bewusst sein, eben um verantwortungsvoll damit umgehen zu können. Die meisten Menschen blocken meinen Erfahrungen nach aber direkt ab, wenn man sie darauf hinweist und wiegeln ab, dass zwei Bier doch quasi eh nichts wären. Naja, dann Prost!

Dr. Thomas Georg Schätzler 08.04.201915:09 Uhr

Hypertonie-Entwicklung w ä h r e n d, nicht weil Alkohol konsumiert wird!

Die essenzielle, idiopathische Hypertonie ist und bleibt multikausal. Die wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Ursachenforschungen sind trotz weltweiter Forschungsanstrengungen nach wie vor lückenhaft.

Im Zusammenhang mit geringem, moderatem, hohem und exzessivem Alkoholkonsums bis zur Abhängigkeitserkrankung ist die essenzielle Hypertonie ein Surrogat-Parameter für ein offenkundig Lebensstil-abhängiges, Demografie-, Ernährungs- und Verhaltens-bedingtes Krankheitsgeschehen u. a. mit Auswirkungen im Herz-Kreislauf-Bereich.

Deshalb ist die Einteilung bei der NHANES-Sekundär-Studie zu den Auswirkungen von Alkohol auf die Herzgesundheit viel zu ungenau. Forscher der Wake Forest Universität in North Carolina haben die über 17.000 Teilnehmer in drei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe trank keinen Alkohol, die zweite 7–13 Drinks pro Woche und die dritte mehr als 14 Drinks pro Woche. Damit wurden auch exzessive- und "binge"(Intervallsaufen)- Trinker inkludiert, deren Risikoprofile toxische Alkoholwirkungen aufweisen. Ob die Vergleichsgruppe mit völliger Alkoholabstinenz demgegenüber statistisch überhaupt randomisier- und verwertbar war, sei dahingestellt.

"Das Ergebnis der Studie: Die gemäßigten Trinker hatten ein um 53 Prozent höheres Risiko für Hypertonie im Stadium 1 (130–139/ 80–89 mmHg) und ein doppelt so hohes Risiko für Hypertonie im Stadium 2 (> 140 / > 90 mmHg) wie die alkoholfreie Gruppe" berücksichtigt nicht, ob zumindest beim Stadium 2 therapeutische Maßnahmen mit/ohne antihypertensiver Medikation ergriffen wurden. Denn das Hypertonie-bedingte Herz-Kreislauf-Risiko ("CVD-risk") wird doch gerade durch Antihypertensiva in puncto Herzinfarkt und Schlaganfall ganz entscheidend gesenkt.

Wie bereits erwähnt, ist für den Alkoholabbau in der Leber die Acetaldehyddehydrogenase (ALDH) erforderlich. Etwa 50 Prozent der Menschen aus dem pazifischen Raum, aus Japan oder China, haben dieses Enzym aufgrund ihrer genetischen Veranlagung nicht. Die Publikation "Conventional and genetic evidence on alcohol and vascular disease aetiology: a prospective study of 500 000 men and women in China" von
Iona Y Millwood et al.
Published:April 04, 2019DOI:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)31772-0
https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(18)31772-0/fulltext
entführt uns damit ins "Land der Mitte". Doch offensichtlich wird hier "Conventional and genetic evidence" im Titel mit "Genetic epidemiology" in der Interpretation verwechselt.

"Interpretation - Genetic epidemiology shows that the apparently protective effects of moderate alcohol intake against stroke are largely non-causal. Alcohol consumption uniformly increases blood pressure and stroke risk, and appears in this one study to have little net effect on the risk of myocardial infarction.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Wolfgang Walter 08.04.201913:17 Uhr

Motalstudie

Sieht wieder einmal nach einer zweifelhaften eindimensionalen Studie aus und das auch noch auf Basis einer Fragebogen-Erhebung!

Einem Weinliebhaber sollte man mit solchen Studien nicht sein Glas Rotwein am Tag vermiesen.

Auch ein schlechtes Gewissen kann krank machen!

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Formulierung der Einladung zum Darmkrebs-Screening

iFOBT: Rückgabefrist macht TEMPO

Lesetipps
Übergabe der Petition

© HÄV / Marco Urban

„Sensationelles Ergebnis“

Gegen das Praxensterben: 600.000 unterzeichnen Bundestagspetition

Figuren stehen Hand in Hand vor einer Weltkugel.

© Vladislav / generiert mit KI / stock.adobe.com

Kolumne „Hörsaalgeflüster“

Gemeinsam statt gegeneinander – die IFMSA in Verantwortung

Im Vordergrund stehen ein paar Gläser und Flaschen. Im Hintergrund ist schematisch der Körper eines Menschen zu sehen, dessen Organe sichtbar sind.

© freshidea / stock.adobe.com

Pathomechanismen ungeklärt

Schlechteres Lipidprofil bei Alkohol-Abstinenz