Schlafforschung
Ausgeschlafene Schüler sind nicht besser
Wenn Jugendliche sich die Nacht um die Ohren hauen und nur wenig schlafen, wirkt sich das kaum negativ auf ihr Gedächtnis und die schulischen Leistungen aus - vorausgesetzt das geht nicht über einen längeren Zeitraum. Ganz harmlos ist zu wenig Schlaf aber nicht.
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Jugendliche schlafen unter der Woche etwa eine halbte Stunde weniger als notwendig wäre.
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MAINZ. Wenn ausreichend Schlaf für die Gedächtniskonsolidierung sehr wichtig ist, dann müsste ein Schlafmangel die schulischen Leistungen von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen. Doch dies ist kaum der Fall.
Anscheinend können Schüler zumindest kurzfristige Schlafdefizite gut kompensieren. Darauf deuten Untersuchungen, die Professor Christoph Nissen von der Universität Freiburg auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin (DGSM) in Mainz vorgestellt hat.
Nissen wies darauf hin, dass es bei Jugendlichen natürlicherweise zu einer Umstellung im Schlaf-Wach-Rhythmus kommt.
Der Nucleus suprachiasmaticus, der zirkadiane Haupttaktgeber, sorgt in diesem Alter für eine Spätpräferenz: Jugendliche gehen abends spät ins Bett und schlafen dafür morgens lange.
Dies ist jedoch nicht unbedingt mit den schulischen Anforderungen kompatibel, die eine frühe Präsenz erfordern. Als Konsequenz, so Nissen, verzichten Jugendliche unter der Woche auf Schlaf.
Untersuchungen in Freiburg hatten ergeben, dass Jugendliche unter der Woche etwa eine halbe Stunde weniger schlafen als notwendig wäre, dafür am Wochenende eine Stunde mehr als empfohlen.
Rein rechnerisch bleibt dennoch ein Defizit, und dies könnte mitunter Folgen für die schulischen Leistungen haben.
Konstante Tiefschlafdauer
Forscher um Nissen prüften das in einem Experiment mit 16-jährigen Gymnasiasten. Diese wurden in fünf Gruppen eingeteilt: Die einen durften bis zu neun Stunden täglich schlafen, die anderen über vier Nächte hinweg nur jeweils acht, sieben, sechs und fünf Stunden.
Die Schlafdauer wurde per Aktimeter kontrolliert, ferner mussten die Eltern ihren Nachwuchs rechtzeitig wecken. Dies schien ganz gut zu klappen.
Anschließend absolvierten die Jugendlichen Gedächtnistests wie Spiegelzeichnen und Wortpaare lernen. Dabei zeigten sich zwischen den einzelnen Gruppen keine nennenswerten Unterschiede.
Interessanterweise deuteten die Aktimeterdaten auf vergleichbare Tiefschlafzeiten in allen fünf Gruppen. Der Schlafmangel ging also primär auf Kosten des REM-Schlafs, während die Tiefschlafdauer konstant gehalten wurde. Das mag die fehlenden Effekte auf das Gedächtnis erklären.
Bei kurzfristigen Schlafdefiziten sind danach kaum negative Auswirkungen zu befürchten. Der Freiburger Schlafforscher räumte jedoch ein, bei anhaltendem oder chronischem Schlafmangel könne die Situation eine andere sein.
So haben nach den Ergebnissen der Kölner Kinderschlafstudie etwa zehn Prozent der Schüler chronische Schlafstörungen.
In einer großen schwedischen Untersuchung hatten solche Kinder doppelt so häufig wie andere ungenügende Leistungen in mindestens einem Schulfach.
Allerdings kann der Zusammenhang hier auch ein anderer sein: Möglicherweise schlafen Kinder aufgrund ihrer mangelhaften Schulleistungen schlecht, oder es stecken hinter beiden Problemen andere Ursachen.
Überaktives Belohnungssystem
Selbst wenn Schlafdefizite das Gedächtnis und die schulischen Leistungen kaum beeinträchtigen, ganz harmlos sind sie offenbar nicht.
Darauf deuten US-amerikanische Untersuchungen zur Emotionsregulation. Wissenschaftler aus Pittsburgh hatten eine verstärkte Aktivierung des Belohnungssystems in Tests bei schlafdeprivierten Jugendlichen festgestellt.
Dies könnte die jungen Menschen zu einem riskanteren Verhalten verleiten sowie die Gefahr des Alkohol- und Drogenmissbrauchs erhöhen, sagte Nissen.
Er empfahl daher, auf ähnliche schlafhygienische Maßnahmen wie bei Erwachsenen zu achten, also möglichst keine koffeinhaltigen Getränke am Abend, regelmäßige körperliche Aktivität und Lichtexposition tagsüber. Eine weitere Empfehlung: keinen Schlaf am Mittag oder vor dem Fernseher.