Alkoholkonsum

Bei mehr als einem Bier pro Tag wird's kritisch

Ein Gläschen Wein oder Bier am Tag – schadet es oder nicht? Eine neue Analyse bestätigt: Jenseits von 150 Gramm Alkohol pro Woche nimmt das Sterberisiko deutlich zu.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Spaß am Feierabend-Bier: Müssen die deutschen Alkohol-Richtwerte überprüft werden?

Spaß am Feierabend-Bier: Müssen die deutschen Alkohol-Richtwerte überprüft werden?

© Syda Productions / stock.adobe.com

CAMBRIDGE. Wie viel Alkohol darf es denn sein? Über diese Frage wird seit je heftig gestritten, wenn es um die gesundheitlichen Auswirkungen geht. Eine große britische Analyse, publiziert im "Lancet" (2018; 392::1513-23),  legt nun nahe, dass das Sterberisiko jenseits von 150 Gramm Alkohol pro Woche drastisch steigt – das entspricht 3,75 Litern Bier und damit etwas mehr als einer Halben pro Tag oder 1,34 Litern Rotwein mit 14% Alkohol – was täglich rund ein Glas Wein mit 0,2 l ergibt.

Darunter ist die Mortalität nicht signifikant erhöht. Wer zwischen 200 und 350 Gramm Alkohol pro Woche konsumiert, hat dagegen im Alter von 40 eine um zwei Jahre verkürzte Lebenserwartung, jenseits von 350 g sind es sogar fünf Jahre weniger.

Sterberate bis zu 45 Prozent erhöht

Für die Analyse haben Forscher um Dr. Angela Wood von der Universität in Cambridge 83 prospektive Beobachtungsstudien mit insgesamt 600.000 Alkoholkonsumenten ausgewertet. In allen Studien wurde der Alkoholkonsum per Fragebogen quantitativ erfasst, zum Teil waren die Konsumenten mehrfach im Laufe der Studien befragt worden. Im Schnitt wiesen die Teilnehmer bei den Befragungen ein Alter von 57 Jahren auf, etwas mehr als die Hälfte waren Männer, rund die Hälfte gab an, mehr als 100 Gramm pro Woche zu konsumieren.

Die Wissenschaftler um Woods analysierten acht verschiedene Konsumkategorien: unter 100 ml/Woche in 25-ml-Schritten, darüber in 50-ml-Schritten. In der höchsten Kategorie mit über 350 g/Woche befanden sich immerhin 8,4 Prozent der Teilnehmer. Personen mit hohem Alkoholkonsum waren häufiger Raucher und öfter Männer, auch zeigten sie eher ungünstige Blutdruck- und Lipidwerte als Teilnehmer mit geringem Konsum. Nach im Schnitt 7,5 Jahren waren rund 40.300 der Teilnehmer gestorben, bei 39.000 wurde erstmals eine kardiovaskuläre Erkrankung festgestellt.

Verglichen mit den Teilnehmern, die am wenigsten Alkohol konsumierten (mehr als 0, aber weniger als 25 g/Woche) war die Gesamtmortalität lediglich in den obersten beiden Kategorien deutlich erhöht: um etwa 45% in der Gruppe mit mehr als 350 Gramm Alkohol pro Woche und 20 Prozent bei den Teilnehmern mit 200–350 g/Woche. Knapp signifikant um etwa fünf Prozent erhöht ist nach diesen Daten die Mortalität in der Kategorie mit 150–200 g/Woche. Für weniger als 150 g/Woche ließ sich keine erhöhte Sterberate mehr feststellen.

Bei den Berechnungen hatten die Forscher Alter, Geschlecht Raucherstatus und eine Diabeteserkrankung mitberücksichtigt.

U-Kurve für kardiovaskulärer Erkrankungen

Die Rate neuer kardiovaskulärer Erkrankungen präsentierte sich in einer typischen U-Kurve: Sie war in der Kategorie 100–150 Gramm Alkohol pro Woche am geringsten (etwa minus 8 %) und erreichte bei den Teilnehmern mit 250–350 g/Woche wieder das Niveau derjenigen mit dem niedrigsten Alkoholkonsum. Dies ließ sich vor allem auf die geringere Herzinfarktinzidenz bei einer Dosis von mehr als 100 g/Woche zurückführen. Solche Personen erlitten zu 20 Prozent seltener Herzinfarkte als diejenigen mit dem geringsten Konsum, und zwar unabhängig davon, wie viel mehr sie tranken.

Schlaganfälle und eine Herzinsuffizienz traten jedoch bei starken Trinkern (über 200 g/Woche) signifikant häufiger auf. Insgesamt war auch die kardiovaskuläre Sterberate in den beiden Kategorien mit über 200 g/Woche signifikant erhöht.

Interessanterweise ergab sich für Männer und Frauen ein ähnlicher Zusammenhang, was Zweifel an den unterschiedlichen Grenzwerten sät. Legten die Forscher ein etwas gröberes Raster an und bildeten 100-Gramm-Kategorien, dann zeigten auch schon Personen mit einem Alkoholkonsum zwischen 100 und 200 g/Woche einer erhöhte Gesamtmortalität: Ein 40-Jähriger würde danach etwa sechs Monate kürzer leben als jemand, der weniger als 100g/Woche trinkt.

Vielleicht kommen die Studienautoren um Wood deshalb zu dem Schluss, dass es besser wäre, weniger als 100 g/Woche zu trinken und die Richtwerte für einen unschädlichen Alkoholkonsum an diesem Wert zu orientieren, obwohl ihre feiner gerasterten Daten eigentlich nahelegen, dass ein erhöhtes Sterberisiko erst jenseits von 150 g/Woche zu erwarten ist.

Ein großes Manko solcher Studien ist zudem, dass sie auf Selbstauskünften beruhen: In Umfragen schätzen die Teilnehmer ihren Alkoholkonsum notorisch zu niedrig ein – meist um den Faktor zwei. So kam der Epidemiologische Suchtsurvey (ESA) auf einen durchschnittlichen Alkoholkonsum in Deutschland von 12 g/Tag. Verkauft wird jedoch eine Menge, die mehr als dem Doppelten entspricht. Insofern hätten die in Deutschland geltenden Richtwerte (140 g/Woche für Männer, 84 g/Woche für Frauen) noch einen guten Sicherheitspuffer.

Die Studie in Kürze

Fragestellung: Wo beginnt der kritische Alkoholkonsum?

Antwort: Jenseits von 150 g/Woche steigt das Sterberisiko deutlich

Bedeutung: Der Alkoholkonsum sollte eine Flasche Bier oder ein Glas Wein pro Tag nicht überschreiten.

Einschränkung: Der Alkoholkonsum beruhte auf Selbstauskünften.

"Hohe Aussagekraft"

"Diese Studie hat durch ihre Stichprobengröße eine hohe Aussagekraft", sagt Privatdozent Dr. Hans-Jürgen Rumpf von der Universität Lübeck, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie.

Dr. Michael Roerecke von der University of Toronto, der ebenso wie Rumpf nicht an der Studie beteiligt war, verweist darauf, dass Alkohol viele Gesundheitsgefahren birgt: "Jeglicher Alkoholkonsum ist mit einem Risiko verbunden, und weltweit überwiegt der negative Einfluss bei Weitem.

Speziell bei Frauen ist mit jedem Konsum ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs verbunden. Das erhöhte Krebsrisiko, nicht nur für Brustkrebs, aber auch für Mund- und Speiseröhrenkrebs, ist vielen nicht bewusst."

Dr. Cornelia Lange vom Robert Koch-Institut (RKI) betont, die Studienergebnisse sollten "als Anregung dienen, die deutschen Empfehlungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten".

Nach einer Analyse des aktuellen Jahrbuchs Sucht konsumieren Bundesbürger über 15 Jahre im Schnitt 10,7 Liter reinen Alkohol im Jahr. Das entspricht rund 165 Gramm pro Woche.

Wir haben den früheren Beitrag gegen eine korrigierte Fassung ausgetauscht. So hatte sich die Angabe von 100 g Alkohol/Woche als Grenze in der ersten Fassung als nicht richtig erwiesen. (Die Onlineredaktion, 28.5.2018)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 14.04.201809:54 Uhr

Publizistisch-wissenschaftliche Bankrotterklärung ausgerechnet im "Lancet"?

Diese Studie ist ein Musterbeispiel für undiszipliniertes, chaotisches Denken, vorgefasste Ergebnisformulierungen, methodisch irregeleitetes Vorgehen, waghalsige Extrapolierungen und wissenschaftliche Unredlichkeit.

In "Risk thresholds for alcohol consumption: combined analysis of individual-participant data for 599 912 current drinkers in 83 prospective studies" von Angela M. Wood et al. werden völlig unbewiesene Behauptungen aufgestellt, weil jegliche Vergleichsgruppen fehlen.

Um die Ausgangshypothese: "To define thresholds associated with lowest risk for all-cause mortality and cardiovascular disease, we studied individual-participant data from 599 912 current drinkers without previous cardiovascular disease" nicht zu gefährden, wurden Nicht-Trinker als mögliche Vergleichsgruppe gegenüber "current drinkers" komplett ausgeschlossen, was allerdings äußerst kryptisch formuliert wird: "Of the 786 787 participants with sufficient information for inclusion in this consortium, 186 875 (19%) reported not drinking at baseline, leaving 599 912 current drinkers without a history of cardiovascular disease at baseline who were eligible for the prespecified principal analysis."

Von diesen 599.912 "current drinkers" wurden allerdings nur 152.640 serielle Alkoholmessungen bei lediglich 71.011 Teilnehmern in 37 Studien gemacht: "...using 152 640 serial alcohol assessments obtained some years apart (median interval 5·6 years [5th–95th percentile 1·04–13·5]) from 71 011 participants from 37 studies." Pikant dabei, das "some years apart" bezieht sich auf 1964 bis 2016!
http://www.thelancet.com/action/showFullTableImage?tableId=tbl1&pii=S014067361830134X

In Ermangelung von Morbiditäts- und Mortalitäts-Basiszahlen ohne regelmäßigen Alkoholkonsum bzw. von jeglichen Vergleichsangaben zur allgemeinen Morbidität und Mortalität ("Leben gefährdet Ihre Gesundheit") wurde in der vorliegenden Studie u.a. auf massive Trinkgewohnheiten bis zum chronischen Äthylismus/Alkoholabhängigkeit abgehoben. Wenig überraschend, dass in der höchsten Alkoholkonsum-Stufe sich die Lebenserwartung im Alter von 40. Jahren bei mehr als 350 g reinem Alkohol pro Woche (das sind mehr als 18,2 Kilogramm pro Jahr!) um 4-5 Jahre verkürzte: "In comparison to those who reported drinking >0–=100 g per week, those who reported drinking >100–=200 g per week, >200–=350 g per week, or >350 g per week had lower life expectancy at age 40 years of approximately 6 months, 1–2 years, or 4–5 years, respectively."

Die Ungenauigkeiten und Unsicherheiten des Autorenteams bei ihren "Interpretationen" (nicht Schlussfolgerungen!) sprechen Bände: Nicht nur, dass der Schwellenwert von max. 100 g reinem Alkohol pro Woche bemerkenswert vage formuliert wurde. Die Myokardinfarkt-Häufigkeit blieb von jeglicher Alkoholkonsum-Höhe unbeeindruckt. Auch für alle anderen Untergruppen kardiovaskulärer Krankheiten habe es keinen deutlich niedrigeren Risiko-Schwellenwert gegeben, unterhalb dessen geringerer Alkoholkonsum aufhört, mit geringerem Krankheitsrisiko assoziiert zu sein: "Interpretation - In current drinkers of alcohol in high-income countries, the threshold for lowest risk of all-cause mortality was about 100 g/week. For cardiovascular disease subtypes other than myocardial infarction, there were no clear risk thresholds below which lower alcohol consumption stopped being associated with lower disease risk."

Der Nachweis, dass die Studiendaten niedrigere Grenzwerte beim Alkoholkonsum unterstützen, als in den meisten aktuellen Leitlinien empfohlen ["These data support limits for alcohol consumption that are lower than those recommended in most current guidelines"] konnte m.E. nicht mal ansatzweise erbracht werden.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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