Virtueller Therapieraum
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Ein neuer Therapieansatz für Depressive spielt sich ganz in der virtuellen Realität ab. Was nach Science Fiction klingt, kann einer Studie zufolge allerdings tatsächlich funktionieren.
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Depressiven wird bei einem neuen Therapieansatz per Computer geholfen, mehr Selbstachtung zu gewinnen und Selbstkritik abzulegen.
© Getty Images / Ingram Publishing
NEU-ISENBURG. Es klingt, als wäre es der Fantasie eines Romanciers entsprungen - doch Wissenschaftler um Caroline Falconer vom University College London wollen in der virtuellen Realität tatsächlich einen Therapieort für Patienten mit Depression gefunden haben.
In einer Studie versetzten die Wissenschaftler 15 Patienten mit Depression in eine virtuelle Welt (B J Psych Open 2016; 2(1): 74-80). Dazu bekamen die Teilnehmer im Alter von 23 bis 61 Jahren ein Headset aufgesetzt, über das ihnen ein Animationsprogramm ein dreidimensionales Zimmer vorspielte.
Die Patienten - zehn Frauen und fünf Männern - rutschten nach einiger Zeit in die Rolle eines erwachsenen Avatars in dem virtuellen Zimmer und identifizierten sich mit ihm.
Daraufhin spielte das Computerprogramm den Teilnehmern ein weinendes kleines Kind vor, das sie aus der Perspektive des erwachsenen Avatars mit mitfühlenden Worten und Gesten beruhigen sollten. Viele Patienten hätten das Kind daran erinnert, an schöne Zeiten oder an eine geliebte Person zu denken, berichten die Autoren. Das Verhalten der Teilnehmer wurde währenddessen aufgezeichnet.
Nach einigen Minuten veränderte das Animationsprogramm wiederum die Perspektive der Patienten. Sie befanden sich nun in der Situation des Kindes und sahen sich dem erwachsenen Avatar gegenüber. Dieser beruhigte sie mit der eigenen, vorher erfassten Stimme.
Mehr Selbstachtung, weniger Selbstkritik
Als die Studienteilnehmer ihr eigenes, mitfühlendes Verhalten wahrnahmen, habe sich das positiv auf ihre Stimmung ausgewirkt, so die Wissenschaftler. Ihre Selbstachtung habe zugenommen, ihre Selbstkritik sei zurückgegangen. Das hätten drei verschiedene psychologische Tests ergeben.
Insgesamt 9 der 15 Patienten berichteten einen Monat nach der Therapie - die aus insgesamt drei 8-minütigen Sitzungen im Abstand von einer Woche bestand, - ihre Depressionen hätten sich deutlich verbessert. Bei vier von ihnen waren die über den sogenannten "Patient Health Questionnaire-9" (PHQ-9) ermittelten Ergebnisse klinisch signifikant. Der PHQ-9 fragt in neun Punkten die Depressivität eines Patienten ab. Verringert sich die Punktzahl, die dem Patienten mit dem Test zugeordnet werden, durch eine Therapie um mindestens fünf Punkte und in einem Follow-up um mindestens neun Punkte, weise das zuverlässig auf eine klinisch signifikante Verbesserung hin, so die Forscher.
Von der Computer- in die Alltagswelt
Mehrere Patienten erklärten nach Abschluss der Behandlung, sie hätten die Erfahrungen in der virtuellen Welt auf Alltagssituationen übertragen, in denen sie sich traurig und depressiv fühlten.
Bisweilen ist es schwer, Patienten mit einer Depression direkt zu mehr Selbstachtung zu ermutigen, so die Autoren. Oft sind die Patienten der Meinung, Mitgefühl nicht zu verdienen. Mit indirekten Erfahrungen, die sie in der virtuellen Realität machen, ließe sich das negative Selbstgefühl dieser Patienten möglicherweise überwinden.
Die Forscher geben zu bedenken, dass ihre Studie nur eine kleine Versuchskohorte und keine Kontrollgruppe umfasst habe. Die kurze Behandlungsdauer in Relation zu der oftmals langen Krankheitsgeschichte der Patienten spreche allerdings für die Behandlung. Daher sei der Ansatz einer Therapie im virtuellen Raum ein vielversprechendes Konzept für die Behandlung von Depressionen und anderen Erkrankungen, die die psychische Gesundheit beeinflussen, betonen die Wissenschaftler.