Schizophrenie in den Genen

Das sind frühe Zeichen

Das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, ist zu einem großen Anteil erblich determiniert. Wie sich ein hohes genetisches Risiko bei jungen Menschen klinisch manifestiert, wurde nun in einer britischen Kohortenstudie untersucht.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Zur Entstehung einer Schizophrenie trägt eine Vielzahl unabhängiger Genloci bei.

Zur Entstehung einer Schizophrenie trägt eine Vielzahl unabhängiger Genloci bei.

© fotolia

BRISTOL. Zur Entstehung einer Schizophrenie trägt eine Vielzahl unabhängiger Genloci bei. Die bislang bekannten Einzel-Nukleotid-Polymorphismen (Single Nucleotide Polymorphisms, SNPs) können 30 bis 50 Prozent des genetisch bedingten Schizophrenierisikos erklären.

Anhand dieser SNPs lässt sich auch auf individueller Ebene eine Risikoabschätzung vornehmen: Dazu wird für jedes einzelne SNP die Zahl der Risikoallele bestimmt (0, 1 oder 2) und mit der Effektgröße multipliziert. Die Summe der gewichteten Risikoallele bildet den polygenen Risikoscore (PRS). Menschen mit einem hohen PRS haben also ein erhöhtes Schizophrenierisiko.

Hoher PRS als Kriterium

Britische Ärzte haben nun nach klinischen Zeichen einer solchen genetischen Prädisposition gesucht. Ihren Ergebnissen zufolge manifestiert sich ein hoher PRS während der Adoleszenz vor allem in Negativsymptomen und Angststörungen (JAMA Psychiatry 2016; 73: 221-228). Ein Zusammenhang mit psychotischen Erfahrungen scheint dagegen nicht zu bestehen.

Die Ärzte um Hannah J. Jones von der Universität in Bristol bedienten sich für ihre Untersuchung einer Geburtskohorte aus den Jahren 1991/92. Für 8230 Kinder waren die benötigten genetischen Daten verfügbar.

Zwischen 3676 und 5444 Kinder beteiligten sich außerdem zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr an Untersuchungen zum Vorliegen von psychiatrischen Auffälligkeiten.

Assoziation mit Negativsymptomen

Dabei zeigte sich eine eindeutige Assoziation des PRS mit dem Auftreten von Negativsymptomen, erfasst mit dem Community Assessment of Psychic Experiences Self-Report Questionnaire im Alter von 16 Jahren (Odds Ratio (OR) pro Standardabweichung (SD) im PRS: 1,21).

 Teilnehmer mit höherem PRS berichteten außerdem im Alter von 15 Jahren mit größerer Wahrscheinlichkeit über Angststörungen (OR pro SD im PRS: 1,17).

Jugendliche, deren Schizophrenie- PRS innerhalb der oberen 2,5 Prozent rangiert, haben demnach ein ungefähr um 45 Prozent höheres Risiko, bei Negativsymptomen oder Angststörungen in der obersten Dezile zu liegen. Im Gegensatz dazu fand sich in der aktuellen britischen Studie keine Evidenz für eine Assoziation des PRS mit psychotischen Erfahrungen oder Depressionen.

Frühe Manifestationen

"Angst und Negativsymptome könnten frühe Manifestationen eines genetisch bedingten Schizophrenierisikos darstellen", lautet die Schlussfolgerung von Jones und Kollegen.

Dass kein Zusammenhang mit psychotischem Erleben in der Adoleszenz gefunden wurde, "mag überraschen, steht aber im Einklang mit früheren Studien", wie die britischen Ärzte schreiben.

Möglicherweise seien psychotische Erfahrungen in jungen Jahren häufiger als später auf nicht genetische Ursachen wie traumatische Erlebnisse in der Kindheit oder Cannabiskonsum zurückzuführen.

Zwar seien Angst und Negativsymptome nur bei einer Minderheit von Schizophreniepatienten Prodromalsymptome der Erkrankung.

Bei gefährdeten Jugendlichen könne es jedoch sinnvoll sein, auf diese Störungen mehr als auf psychotische Symptome zu achten, um einen Übergang in die Erkrankung vorhersagen zu können, so die britischen Wissenschaftler.

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Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 20.04.201620:26 Uhr

so schwer ist doch nun auch nicht,

die Beobachtung (Epidemiologie) beweist eine gewisse "familiäre" also genetische Belastung,
GLEICHZEITIG zeigt aber auch das Studium eineiiger Zwillinge, die gibt es für die Schizophrenie,
dass nur etwa 60 % davon beide erkranken,
und hier sind genetische Unterschiede beim besten Willen nicht mehr zu erkennen.
Die "Genetik" reicht also ganz sicher nicht zur Erklärung der manifesten Erkrankung.
Geschlechtunterschiede in der Häufigkeit gibt es grob auch nicht, bis auf eine Zunahme nach der Menopause
Es MUSS also etwas "externes" im Leben dazu kommen.
Ganz ohne Zweifel (EEG-Untersuchung) ist Cannabis eine mögliche exogene Ursache. Und keineswegs hat jeder Erkrankte einen weiteren Fall in der Verwandtschaft aufzuweisen.
Es gibt auch ganz sicher Menschen die unsere "wertenden Psychologen" als chizoide Persönlichkeitsstörung klassifizieren, die aber ihr ganzes Leben bis zum Tode NIEMALS die Schwelle der Erkrankung überschreiten.
Unter dem Eindruck der wirklich frappierenden Wirkung von Psychopharmaka, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, auf die akute schizophrene Symptomatik innerhalb von rel. wenigen Minuten,
kann ich bei der Ursache nur einen handfesten organisch/biochemisch/funktionellen Störmechanismus vermuten.

Ähnlich ist es ja mit der "genuinen Epilepsie" bei der das genaue "warum" (noch) unbekannt ist.

Dr. Sibylle Schünemann-Wurmthaler 20.04.201612:00 Uhr

Oberflächlich, fachlich undifferenziert

Leider reicht meine Zeit für eine differenzierte Kritik gerade nicht aus. Ich kann nur ausdrücklich und in allen Punkten dem Beitrag von Herrn Hürten zustimmen!
Vielen Dank, dass Sie sich für diese kompetente Stellungnahme Zeit genommen haben.
Dr.rer.med.Sibylle Schünemann-Wurmthaler, Dipl.-Psych.

Clemens M. Hürten 15.04.201610:54 Uhr

Fortsetzung in Sachen fachlicher Arroganz

Es erscheint ein Forschungsergebnis oder eine Studie und schon werden deren Ergebnisse in den Medien (incl. Ärztezeitung) so dargeboten, als würde es sich bereits um erwiesene Fakten handeln. Ein gleiches Muster sehe ich in den Fachbüchern, vor allem in den psychiatrischen. Da werden z.B. Mutmaßungen über die Ätiologie einer Störung (wie z.B. Schizophrenie oder ADHS) geäußert. Einem kritischen Leser würden die gewundenen Formuliereungen auffallen wie z.B. "aufgrund bisheriger Erkenntnisse ist davon auszugehen..." oder "die Symptome lassen eindeutig darauf schließen, dass..." oder "es ist bei dieser statistischen Häufung nahe liegend, dass..." und so weiter und so weiter.
Aber dann wird mit voller Überzeugung z.B. die medikamentöse Therapie angeboten (für etwas, das man zuvor lediglich gemutmaßt und sich letztlich aus den Fingern gesogen hat!) Das Prinzip ist leider immer das Gleiche: Fakten werden mit Meinungen und Interpretationen sowie Schlussfolgerungen vermischt, sodass am Ende der Eindruck entsteht, etwas sei nun endgültig wissenschaftlich bewiesen. Darin sehe ich eine narzisstisch-selbstgefällige Überhöhung der Autoren solcher Texte und oft auch der Forscher selbst, wenn diese solche Vermischungen vornehmen, um den Wert ihrer Arbeit aufzuwerten.

Schon die Behauptung im ersten Absatz steht auf wackligen Beinen:
"Zur Entstehung einer Schizophrenie trägt eine Vielzahl unabhängiger Genloci bei. Die bislang bekannten Einzel-Nukleotid-Polymorphismen (Single Nucleotide Polymorphisms, SNPs) können 30 bis 50 Prozent des genetisch bedingten Schizophrenierisikos erklären."

Was wird konkret ausgesagt? Der Verdacht, dass es eine genetische Komponente gibt, ist nichts Neues. Dann wird ausgesagt, dass bestimmte Indikatoren angeblich ein erhöhtes Schizophrenie-Risiko bedeuten KÖNNEN (!!!). Es ist also nichts als eine Annahme, eine Vermutung! Und was wird uns da als "neu" verkauft? Eine Binsenweisheit! Zudem dürfte jedem Psychotherapeuten klar sein, dass alle psychischen Probleme multifaktoriell bedingt sind und verletzende oder gar traumatisierende Erlebnisse in Kindheit und Jugend viel eher Auslöser sein können.

Im zweiten Abschnitt heißt es: "Ihren Ergebnissen zufolge manifestiert sich ein hoher PRS während der Adoleszenz vor allem in Negativsymptomen und Angststörungen." — Was sagt das konkret aus? Wenn ich sehe, unter welch extremem Leistungsdruck Kinder und Jugendliche heutzutage in der Schule und Ausbildung stehen und man ihnen ihre unbeschwerte spielerische Kindheit stiehlt, weil Politik und Wirtschaft nur daran interessiert sind, dass Kinder und Jugendliche so früh wie möglich zur Wertschöpfung / Monetarisierung der Wirtschaft beitragen, dann würde ich als Kind oder Jugendlicher vermutlich ebenfalls Angststörungen bekommen.
Aber solche Tatsachen werden weder in der ICD-10 noch von solchen Forschern "aus dem Elkefenbeinturm" berücksichtigt. Denn dann müsste auch Systemkritik mitschwingen. Geht aber nicht! Denn es gilt natürlich auch dort: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!

Im letzten Abschnitt heißt es dann: "Möglicherweise seien psychotische Erfahrungen in jungen Jahren häufiger als später auf nicht genetische Ursachen wie traumatische Erlebnisse in der Kindheit oder Cannabiskonsum zurückzuführen."
Endlich werden auch andere Ätiologien angeführt, dann aber so vage gehalten, dass sie im mengenmäßigen Proporz des Gesamt-Textes wenig Beachtung finden. Zudem fehlt eindeutig die psychosoziale Betrachtung, die ich gerade oben anstellte (gestohlene Kindheit)!

Es gibt solche Berichte immer wieder. Aber dieses Mal hat meine Zeit gerade ausgereicht, mal dazu einen Kommentar zu schreiben.

Clemens M. Hürten
Heilpraktiker der Psychotherapie
Rottweil

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