HINTERGRUND
Demenz-Patienten brauchen gezielte Hilfe, wenn auch die Harnkontrolle nicht mehr klappt
Demenz-Kranke haben oft eine Harninkontinenz. Sie ist meist mit ein Grund dafür, die Patienten im Heim unterzubringen. Therapeutische Optionen existieren, vor allem bei früher Diagnose, auch wenn die komplette Kontinenz vielfach nicht erreicht werden kann.
Unter demenzkranken Menschen ist die Inkontinenzrate mindestens doppelt so hoch wie bei altersentsprechenden nichtdementen Personen. So sind 50 bis 60 Prozent der 85-jährigen Männer und Frauen mit Demenz auch harninkontinent (Arch Gerontol Geriatr 19, 1994, 11).
Das liege daran, dass zerebrale Läsionen überwiegend eine Enthemmung des Detrusorreflexes, einem Hirnstammreflex, verursachen, berichten der Geriater Professor Ingo Füsgen aus Witten/Herdecke und Dr. Andreas Wiedemann von der Urologischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses in Witten (Notfall & Hausarztmedizin 33, 2007, 584). Das willkürliche Wasserlassen werde dadurch erschwert oder sogar unmöglich.
Weitere Ursachen tragen zur Inkontinenz bei, zum Beispiel physiologische Altersveränderungen, bestimmte Arzneimittel oder Multimorbidität. So ist ein bestehender Diabetes mellitus selbst ein Risikofaktor für das Auftreten einer Harninkontinenz. Oft bestehe zusätzlich ein Harnwegsinfekt, so Füsgen und Wiedemann.
Inkontinenz kann auch Zeichen akuter Verwirrtheit sein
Allerdings kann die Inkontinenz auch ein Symptom akuter Verwirrtheit sein - die Inkontinenz ist dann rückläufig, sobald die Ursache für die Verwirrtheit beseitigt worden ist, sei es eine Stoffwechselentgleisung oder seien es unerwünschte Wirkungen von Medikamenten.
Füsgen und Wiedemann empfehlen zur diagnostischen Klärung der Ursachen einer Harninkontinenz bei Demenz-Patienten eine erweiterte Basisdiagnostik. Diese komme in der Regel ohne technisch-invasive Maßnahmen aus. So müssen abgesehen von der urologischen Anamnese und Untersuchung zusätzlich die weiteren Erkrankungen sowie die aktuelle Medikation analysiert und der Demenzgrad bestimmt werden, und es muss eine funktionelle Einschätzung des Patienten (geriatrisches Assessment) erfolgen. Auf dieser Grundlage sei es möglich, bei 80 Prozent der Betroffenen einen konservativen Therapieversuch zu beginnen, so die Wittener Kollegen.
Am häufigsten ist das klinische Bild einer überaktiven Blase
Meist überwiegt das klinische Bild einer überaktiven Blase (neurogene Detrusorhyperaktivität). Gerade im Anfangsstadium sind Patienten mit demenzbedingter Dranginkontinenz "hervorragend zu behandeln", so die Erfahrung von Füsgen und Wiedemann. Dazu müssen die Begleit- und Grunderkrankungen mit beachtet und muss gegebenenfalls die Medikation geändert werden. Kalziumblocker, Lithium oder Sympathomimetika stimulieren beispielsweise die Blasenaktivität. Muskelrelaxantien. Alpha-Blocker und Benzodiazepine senken wiederum den Blasenauslasswiderstand.
Bei fortgeschrittener Demenz hilft ein Toilettentraining
Die nichtmedikamentöse urologische Therapie besteht in einem Miktionstraining, das vor allem bei beginnender Demenz Erfolg versprechend ist. Bei fortgeschrittener Demenz sollte eher ein Toilettentraining erfolgen, also ein regelmäßiges Aufsuchen der Toilette zu bestimmten Uhrzeiten oder in bestimmten Abständen zu den Mahlzeiten. Pflegerische Hilfestellungen sind das Geräusch fließenden Wassers oder Unterleibsmassagen.
Zur medikamentösen Behandlung bei Dranginkontinenz sollten quaternäre Amine wie Trospiumchlorid bevorzugt werden. Sie haben keine zentralnervösen Nebenwirkungen und verschlechtern nicht das cholinerge Defizit bei Morbus Alzheimer. Eine vollständige Kontinenz sei bei Demenz-Kranken oft nicht erreichbar, betonen Füsgen und Wiedemann. Haupttherapieziel sei deshalb die "soziale Kontinenz", die es den Patienten ermöglicht, noch am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Eine kleine Zahl Demenz-Kranker leidet allerdings nicht unter der Blasenüberaktivität, sondern unter einem hypoaktiven Detrusor. Hierbei ist zu beachten, dass zum Beispiel Opioide, Antidepressiva oder nichtsteroidale Antirheumatika die Blasenaktivität dämpfen können.
Bei solchen Demenz-Patienten mit verminderter Blasenaktivität ist eine intermittierende Katheterisierung oder eine transurethrale/suprapubische Dauerableitung des Harns häufig unumgänglich.
Spürsinn gefragt bei der Ursachensuche
Zur Basisdiagnostik bei Demenz-Patienten mit Harninkontinenz gehören
- eine gezielte Anamnese/Fremdanamnese, unter Umständen ergänzt durch ein Trink- und Ernährungsprotokoll
- das Erfassen einer Multimorbidität einschließlich der Polypharmakotherapie
- Bestimmung des Demenzgrades
- ein geriatrisches Assessment (Erfassung funktioneller Defizite)
- Labor: Entzündungsparameter, Kreatinin, Harnstoff, Urintestung
- sonografische Restharnbestimmung
- Blasenentleerungsprotokoll (ner)
(Quelle: Füsgen/Wiedemann, Notfall & Hausarztmedizin 33, 2007, 585)