Diabetes
Die versteckte Gefahr von Süßstoffen
Künstliche Süßstoffe in hohen Dosen können bei Mäusen und Menschen offenbar die Glukoseintoleranz begünstigen - und so das Diabetes-Risiko erhöhen. Israelische Wissenschaftler fanden auch die Ursache heraus.
Veröffentlicht:REHOVOT. Was israelische Wissenschaftler um Dr. Jotham Suez in der renommierten Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht haben, dürfte so manchem auf den Magen schlagen und einmal mehr eine Diskussion um Nutzen und Gefahren von beliebten künstlichen Süßmitteln wie Saccharin oder Aspartam vom Zaun brechen.
Die Forscher haben herausgefunden, dass große Mengen an Süßstoff den Stoffwechsel verändern, den Blutzuckerspiegel erhöhen und zu einer Glukoseintoleranz führen, was Diabetes begünstigt. Auch die Ursache dafür konnten sie dingfest machen: Offenbar beeinflussen Süßstoffe nachhaltig die Darmflora (Nature, online 17. September 2014).
Zunächst erscheint die Verbindung zwischen Süßstoffen, Darmflora und Diabetes nicht gerade einleuchtend. Eigentlich verspricht man sich von einer Saccharose- und Glukose-reduzierten Ernährung das Gegenteil: Wenn Süßstoffe gewöhnlichen Zucker ersetzen, sollte das doch für Patienten mit Diabetes, metabolischem Syndrom oder Übergewicht viele Vorteile haben - gerade auch mit Blick auf die Glukosetoleranz.
Doch die Forscher vom Weizman-Institut in Rehovot legen einen anderen Schluss nahe. Und dafür haben sie gleich eine ganze Reihe von Hinweisen in ihrer Publikation vorgelegt.
Zum einen haben sich die Forscher gewundert, dass es einerseits den meisten Menschen trotz einer Süßstoff-haltigen Diät nicht gelingt, abzuspecken und den Glukosestoffwechsel zu verbessern.
Andererseits nimmt die Prävalenz von Diabetes und Adipositas stetig zu. Nun muss beides nichts mit Süßstoffen zu tun haben, doch zumindest einige - wenn auch nicht alle epidemiologischen Studien - deuteten auf einen Zusammenhang zwischen Süßstoffkonsum sowie Gewichtszunahme und Diabetes hin.
Glukoseintoleranz durch Süßstoff-Diät
Da es in solchen Studien auch bei Berücksichtigung vieler Begleitfaktoren nur schlecht möglich ist, Ursache und Wirkung klar zu unterscheiden, ist das Team von Suez einen anderen Weg gegangen: Die Forscher schauten in Experimenten mit Mäusen und Menschen, was genau passiert, wenn hohe Mengen Süßstoff konsumiert werden.
Dabei experimentierten sie vor allem mit den Süßstoffen Saccharin und Aspartam sowie der in Deutschland wenig verbreiteten Sucralose. Zunächst kippten sie die kommerziell erhältlichen Süßstoffe in das Trinkwasser von Labormäusen, und zwar weit unterhalb der toxischen Dosis.
Im Vergleich zu Kontrollgruppen mit ungesüßtem oder zuckergesüßtem Wasser hatten die Tiere in allen drei Süßstoffgruppen nach elf Wochen eine ausgeprägte Glukoseintoleranz entwickelt, hingegen gab es keine Unterschiede zwischen Mäusen mit Glukose-gesüßtem und ungesüßtem Trinkwasser.
Da der Effekt mit Saccharin-basierten Süßstoffen am stärksten ausgeprägt war, experimentierten die Forscher nun mit reinem Saccharin weiter. In einem weiteren Versuch bekamen Mäuse eine besonders fetthaltige Diät, um die Ernährung adipöser Menschen zu simulieren. Zu trinken gab es Glukose- oder Saccharin-haltiges Wasser.
Der Saccharin-Gehalt im Wasser wurde so berechnet, dass die Tiere bezogen auf ihr Körpergewicht genau diejenige Saccharin-Dosis bekamen, die für Menschen gerade noch als unbedenklich gilt (5mg/kg Körpergewicht).
Das genügte wiederum, um bereits nach fünf Wochen eine Glukoseintoleranz zu induzieren, während die Mäuse mit dem Glukosewasser gesund blieben. Die Experimente führten bei unterschiedlichen Mäusestämmen stets zu ähnlichen Ergebnissen.
Das Ergebnis verblüffte die Forscher, schließlich werden Süßstoffe kaum verstoffwechselt, sie passieren weitgehend unverändert den Magen-Darm-Trakt.
Allerdings stoßen sie aus diesem Grund im Darm auf Bakterien, die wenig mit den künstlichen Substanzen anfangen können. Liegt also dort der Schlüssel für die ungünstige Wirkung auf die Blutzuckerspiegel?
Antibiotika verhindern Glukoseintoleranz
Die Forscher wiederholten nun ihre Experimente, gaben einem Teil der Mäuse aber Breitspektrum-Antibiotika, und siehe da - trotz Süßstoff- oder Saccharin-Diät entwickelten diese Mäuse keine Glukoseintoleranz.
Als Nächstes schaute das Team um Suez, ob sich die Glukoseintoleranz übertragen lässt, wenn man keimfrei aufgezogenen Mäusen Kot von betroffenen Artgenossen ins Futter mischt.
Tatsächlich entwickelten solche Tiere, die bislang keine eigene Darmflora hatten, ebenfalls eine Glukoseintoleranz, wenn sie Faeces von Tieren zu fressen bekamen, die eine Süßstoff-haltige Diät erhalten hatten, nicht aber bei Kot von gesunden Mäusen.
Für Suez und Mitarbeiter ist das der Beweis, dass Süßstoffe über eine veränderte Darmflora die Glukoseintoleranz begünstigen.
Nun schauten sich die Forscher die Darmflora der Tiere genauer an. Sie fanden bei den Mäusen mit Süßstoffen ähnliche Veränderungen der Darmflora, wie sie zuvor auch bei adipösen Mäusen dokumentiert worden waren. Interessant ist zudem die Beobachtung, dass sich auch bei dicken Menschen eine veränderte Darmflora nachweisen lässt.
Insgesamt ist die Diversität der Darmbewohner bei Adipösen offenbar verringert, zugleich haben sie einen höheren Anteil von Bakterien aus dem Stamm der Bacteroidetes, dafür weniger Firmicutes. Die meisten Darmbakterien gehören zu diesen beiden Stämmen.
In Kulturexperimenten konnten die Israelis nun zeigen, dass Saccharin ebenfalls das Gleichgewicht aufseiten der Bacteroidetes verschiebt. Wurde eine solche mit Saccharin in vitro behandelte Darmflora auf keimfrei aufgezogene Mäuse übertragen, ergab sich erneut das gleiche Bild: Auch sie entwickelten eine verstärkte Glukoseintoleranz.
Im nächsten Schritt analysierten die Forscher Daten von über 380 Menschen ohne Diabetes in einer laufenden Ernährungsstudie. Bei Teilnehmern mit vergleichbarem BMI hatten solche mit hohem Süßstoffkonsum eine deutlich höhere Gewichtszunahme in den vergangen Monaten zu verzeichen.
Zudem höhere Nüchtern-Blutzuckerwerte und ungünstigere Werte im Glukosetoleranztest - und sie hatten eine deutlich andere Zusammensetzung der Darmflora.
Wie bei Mäusen, so bei Menschen
Schließlich entschlossen sich die Forscher zu einem Experiment, bei dem sie sieben gesunde Menschen wie den Mäusen zuvor die maximal zulässige Saccharin-Dosis verabreichten (5mg/kg/d). Alle hatten zuvor keine Süßstoffe genommen.
Nach nur sieben Tagen zeigten vier der sieben eine signifikant schlechtere Antwort beim Glukosetoleranztest als zu Beginn der Studie, bei den übrigen drei Teilnehmern war die glykämische Antwort weitgehend unverändert.
Wie zu erwarten, hatte sich bei den Teilnehmern mit reduzierter Glukosetoleranz auch die Darmflora im Vergleich zum Studienbeginn verändert, nicht so hingegen bei Teilnehmern mit unverändert guter glykämischer Antwort. Wurde nun Stuhl der Testpersonen auf Mäuse ohne eigene Darmflora übertragen, so entwickelten nur diejenigen Tiere eine Glukoseintoleranz, die Kot von Menschen mit schlechter glykämischer Antwort erhalten hatten.
"Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Süßstoffe sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen eine Glukoseintoleranz begünstigen und diese durch Veränderungen der Darmflora vermittelt wird", schreiben die Studienautoren.
Allerdings: Auch wenn das Team um Suez recht beeindruckend belegen konnte, das viel künstliche Süße das Diabetesrisiko fördert, so bleibt doch die Frage, ob die im Alltag verzehrten Süßstoffmengen dafür ebenfalls genügen (siehe auch Stellungnahme des Süßstoff Verbandes). Um die in den Experimenten verwendeten Dosierungen zu erreichen, wären etwa 20 Süßstofftabletten täglich nötig oder ein bis mehrere Kilogramm künstlich gesüßter Lebensmittel.
Unklar ist auch, wie Süßstoffe die Darmflora beeinflussen, ob sie das Wachstum bestimmter Bakterien direkt hemmen oder die Vermehrung anderer indirekt fördern, etwa solcher, die in Ermangelung geeigneter Kohlenhydrate verstärkt Fett aus der Nahrung abbauen.