Diagnose Brustkrebs

Eine Achterbahnfahrt für Patienten

Antje Rosenberger ist 42, als sie die Diagnose Brustkrebs bekommt. Von einem auf den anderen Tag wird ihr Leben von der Krankheit bestimmt. Doch sie weigert sich, aufzugeben.

Von Antje Rosenberger Veröffentlicht:
Vielen Patienten macht das Auf und Ab in der Krebsbehandlung zu schaffen.

Vielen Patienten macht das Auf und Ab in der Krebsbehandlung zu schaffen.

© pitr134 / fotolia.com

Es gibt Momente im Leben, die überrollen dich. Sie kommen ohne Vorwarnung und ziehen dich einfach mit. Wohin sie dich bringen, erfährst du erst, wenn du dich hast mitreisen lassen. Und mit der Diagnose Krebs ist das so wie auf einer Achterbahn. Meine besondere Achterbahn-Tour beginnt im Juli 2005.

Damals sitze ich in einer radiologischen Praxis, weil mein Gefühl mir sagt, irgendwas stimmt nicht mit meiner linken Brust. Ich bin eine alleinerziehende Mutter, habe meinen 42. Geburtstag im Frühjahr gefeiert und gerade mein Examen zur Erzieherin geschrieben.

Das sollte ein Neustart in ein Leben sein, in dem ich finanziell unabhängiger und sicherer sein kann. Meine Töchter sind 18 und 15, mein Sohn gerade mal zarte fünf Jahre jung.

Die Älteste hatte mir zum Geburtstag ein ganz besonders Geschenk gemacht. Sie erklärte mir, schwanger zu sein. Also hieß es für mich, ich muss noch mehr daran arbeiten, einen guten Job zu bekommen. Es gibt nämlich keinen Vater, der sich darum kümmert . . . Er glänzt durch Abwesenheit.

Mit diesem "Päckchen" gehe ich also zu meiner ersten Mammografie und hoffe auf eine ganz unspektakuläre Erklärung, vielleicht eine Brustdrüsen-Entzündung, oder etwas in der Art.

Blitz aus heiterem Himmel

Die Diagnose Brustkrebs trifft mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich werde auf den hintersten Wagen der wohl heftigsten Berg- und Talbahn meines Lebens katapultiert. Zack – unfreiwillig eingestiegen, und los geht´s im Höchsttempo.

Sofort wird alles in Bewegung gesetzt. Die Termine zu den Folgeuntersuchungen stehen, man redet mit mir, aber ich verstehe kaum etwas in meinem hinteren Wägelchen, das ohne Sicherheitsgurt und Überrollbügel durch die unbekannte Kliniklandschaft rast.

Wer kann mir hier helfen und mich unterstützen? Meine Eltern sind überfordert. Meine Kinder möchte ich schützen. Freunde können es nicht begreifen und verabschieden sich sehr schnell. Ich habe zum Glück eine Psychotherapeutin an meiner Seite und das Jugendamt hilft mit einer Familienhilfe.

Nur, wie fühle ich mich gerade auf dieser Horror Fahrt? Besonders dann wenn das Ganze auch noch im Dunkeln passiert. Der Port wird nebenbei gelegt und die erste Chemo läuft durch meine Venen.

Versuche, zu verstehen

Um ein bisschen Licht auf diesem Streckenabschnitt zu bekommen, versuche ich, mich so gut ich kann zu informieren. Nehme Kontakt zu anderen Betroffenen auf, spreche mit den Ärzten und Pflegekräften. Informiere mich übers Internet.

Man soll ja eigentlich nicht googlen. Aber es hilft ein wenig und bringt etwas Ordnung in das Chaos. Ich verstehe inzwischen die Abläufe und auch einige Begriffe in der Neuen Welt, die sich Mamma Ca nennt.

Es folgen einige Operationen und auch Bestrahlungen. Ich begreife nach und nach, dass ich auf meiner Fahrt immer wieder neue Therapien und Medikamente brauchen werde. Es wird eine Tour mit kurzen Verschnaufpausen und immer wiederkehrenden Untersuchungen.

Ich gehe nach meiner ersten Reha wieder arbeiten und bringe mein Anerkennungsjahr erfolgreich zu Ende mit einem Gehirn, das sich nicht mehr so konzentrieren kann und einem Körper, der sich morgens 20 Jahre älter anfühlt.

Immer wieder das Ziel vor Augen: Du musst einen guten Job bekommen, um für deine Kinder zu sorgen. Und du musst unbedingt gesund werden. Die Achterbahn wird zum Hamsterrad.

Der Krebs kommt zurück

Eigentlich unglaublich, dass genau zu diesem Zeitpunkt ein Mann in mein Leben tritt. Es sind inzwischen vier Jahre seit meiner Erstdiagnose vergangen, die Älteste ist ausgezogen und hat eine wunderbare Tochter geboren.

Die Mittlere steht kurz vor ihrem Fachabitur und mein Sohn ist inzwischen neun geworden. Ich habe jetzt einen guten Job und kann langsam aus dem Hamsterrad aussteigen.

Wir planen unsere Hochzeit und alles scheint perfekt. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Blutwerte auffällig werden und man der Sache auf den Grund gehen muss. Ich habe zunehmend Rückenschmerzen und ein MRT gibt die Gewissheit. Der Krebs ist zurück.

Er hat sich in meinen Knochen ausgebreitet und ich gelte nun als chronisch krank. Die zweite Runde Achterbahn ist eingeläutet. Allerdings sitzt nun mein Mann mit im Waggon. Hatten wir doch gerade erst unsere Liebe gefeiert, da rast die Bahn schon wieder mit Vollgas drauflos. Metastasiertes Mamma Ca heißt der neue Streckenabschnitt.

Die Knochen schmerzen und die Bestrahlung beginnt erneut. Eine weitere Reha soll mich wieder auf die Füße bringen. Aber wie lebt es sich frisch vermählt und sehr verliebt mit solch einer Diagnose?

Es heißt nun, ich bin unheilbar. Ich bin eine Palliativ-Patientin. Mein Onkologe meint, ich könne froh sein, dass es nur Knochenmetastasen sind. Es kämen Patienten zu ihm, die schon seit 15 Jahren damit leben würden.

Aha. Ich rechne, versuche zu verhandeln. Zehn Jahre hätte ich gerne noch — mindestens. Denn dann ist mein Sohn volljährig. Wenigstens das möchte ich erreichen.

Ich möchte noch so viel mehr

Aber eigentlich möchte ich noch viel mehr. Ich möchte meine Liebe genießen. Ich möchte meinen 50. Geburtstag feiern. Ich möchte die Konfirmation von meinem Jüngsten erleben. Ich möchte auf den Hochzeiten meiner Töchter tanzen. Ich möchte noch mehr Enkelkinder. Ich möchte reisen. Ich möchte einfach leben.

So sieht das also aus im Sommer 2010. Ich lasse mich ein auf eine neue Tour mit ungewissem Ausgang. Heilung ist nicht mehr das Ziel. Der gute Job ist unwichtig geworden. Das einzige, was zählt, ist die Familie und gute Freunde. Es sind zum Glück neue Freundschaften entstanden, die mir viel bedeuten. Ich werde kämpfen für all das, was mir so viel bedeutet. Und die Aussichten sind ja laut Onkologen nicht die Schlechtesten.

Mein Leben besteht aus Therapien, Untersuchungen und wieder neuen Therapien, wenn die Ergebnisse nicht wünschenswert ausfallen. Meine Blutwerte werden regelmäßig kontrolliert, der Tumormarker — für mich Terrormarker — bestimmt mein Leben. Alle drei Monate werden CTs gemacht, um neue Metastasen auszuschließen.

Die zweite Runde der Achterbahnfahrt hat neue Dimensionen angenommen. Ich steige aus dem Jobrädchen aus und gehe in Rente. Auf Minijob Basis betreue ich noch Kinder in Familien. Die wechselnden Therapien hinterlassen ihre Spuren.

Ich habe nicht mehr mein volles Haar wie früher. Ich nehme täglich Schmerzmittel, damit ich mich einigermaßen schmerzfrei bewegen kann. Ich bin oft müde und schlapp und muss öfters Pausen einlegen. Ich bin nicht mehr so belastbar und kann mich oft nicht anhaltend konzentrieren. Ich bin vergesslich und schusselig. Dinge, die mir früher leicht von der Hand gingen, werden zum Gewaltakt. Alles ist insgesamt mühseliger geworden.

Verarbeitung auf dem Blog

Und doch bin ich glücklich. Ich genieße mein Leben in vollen Zügen. Ich mache Sport und tanze, wenn es mir gut geht. Ich verwirkliche meine Träume. Unternehme Reisen mit meinem Mann, besuche Konzerte und gehe gern auf Oldtimer-Ausstellungen.

Ich stricke, häkle und nähe und habe mich kreativ an Lampenschirmen ausprobiert. Nicht umsonst habe ich in früheren Jahren eine Damenschneider-Ausbildung abgeschlossen und lange im Modebereich gearbeitet.

Meine heftige Achterbahnfahrt verarbeite ich, indem ich einen Blog, auf Facebook schreibe. Er dient zum Austausch von Betroffenen und zur Information über den Verlauf einer metastasierten Erkrankung.

Es ist ein Unterschied, ob ich mit einer Krebserkrankung erstmalig konfrontiert werde oder ob die Erkrankung wiederkehrt und chronisch wird. Oftmals wird davon gesprochen, dass gerade Brustkrebs heutzutage gut heilbar ist. Es werden in der Tat viele geheilt.

Die Statistik spricht jedoch von einer fortschreitenden Erkrankung bei 30 Prozent aller Betroffenen – und das ist nicht gerade wenig. Ich möchte dazu beitragen, dass metastasierter Brustkrebs mehr in die Öffentlichkeit rückt und besser verstanden wird, wie man mit solch einer chronischen Erkrankung lebt.

Meinen Blog habe ich "METAVIVA – und jetzt erst recht" genannt. Es soll darin der Trotz zum Ausdruck kommen, den ich tagtäglich meiner Diagnose samt Prognose entgegensetze.

Eine liebe Freundin stirbt

Das Jahr 2016 wird mir viel abverlangen. Gleich in der Neujahrsnacht muss ich den Tod einer mir lieb gewonnenen Freundin verkraften, die an den Folgen ihrer Lebermetastasen verstirbt. Es ist für mich eine schwere Zeit, die mich auch über meinen eigenen Tod zum Nachdenken bringt.

Ich habe eine Patientenverfügung erstellt und mich auch mit dem Gedanken befasst, zum gegebenen Zeitpunkt in ein Hospiz zu gehen. Das wäre für mich ein Weg, den ich vor allem für meine Familie gehen würde.

Sie leben weiter, wenn ich am Ende meines Lebens stehe, und sollen in unserem gemeinsamen Zuhause einen Ort der Ruhe und Entspannung erleben und nicht mit Krankheit und Tod rund um die Uhr beschäftigt sein.

Da ich mich schon im Gespräch mit einer Hospizleitung ausgetauscht habe, könnte ich mir meinen letzten Abschnitt dort gut vorstellen. Bestattet werden möchte ich in einem Friedwald. Es ist mit meinen Liebsten alles soweit geklärt. Aber gestorben wird zuletzt.

Kampf gegen Kunigunde

Die dritte Runde Achterbahn beginnt im Februar 2016, als ein Routine-CT einen neuen Herd in der Leber aufdeckt. Diese erneute Diagnose verschlechtert meine Situation enorm und meine Karten werden neu gemischt. Da ich mich jedoch nicht von Statistiken bestimmen lassen möchte, habe ich "Kunigunde", so nenne ich meine Lebermetastase, den Kampf angesagt.

Es ist eine anstrengende dritte Runde mit einer fehlgeschlagenen Therapie zu Beginn , einer misslungenen Biopsie und vielen Tränen. Nur mein Glaube, der mich immer wieder aufrichtet, und die Geburt meines zweiten Enkelkindes geben mir die Kraft, weiterzumachen.

Ich habe gerade aktuell viel Mut und Hoffnung für das Jahr 2017 tanken dürfen, da meine Blutwerte sich wunderbar entwickelt haben und mein letztes CT einen Rückgang der Metastasen anzeigt. Und jetzt stehe ich vor dem nächsten Abschnitt meiner Tour.

Ich habe Hoffnung, ich werde auf der Hochzeit meiner ältesten Tochter tanzen und freue mich auf ein weiteres Wunder in Gestalt meines dritten Enkelkindes. Das Leben ist schön.

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Kommentare
Wolfgang P. Bayerl 11.02.201710:37 Uhr

eine sehr schöne Schilderung

... für diese spezielle Tumorerkrankung.
Dem damit beruflich Beschäftigtem demonstriert das wieder die alte Grundregel,
schon bei der ersten Aufklärung diese "Achterbahn" zu vermeiden und der Patientin lieber nahezulegen (gut) "mit dem Tumor zu leben", das geht ja wirklich oft sehr gut, statt vorschnell von einer definitiven Heilung zu sprechen, was man verständlicherweise lieber hören möchte.

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