Hepatologin warnt
"Eine Fettleber ist nichts Normales!"
Etwa jeder dritte Deutsche hat eine nicht-alkoholische Fettleber - und viele unterschätzen die Erkankung. Dabei ist die Behandlung denkbar einfach, findet Professor Elke Roeb. Die Hepatologin hat maßgeblich an den neuen Leitlinien mitgearbeitet.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Frau Professor Roeb, in einer Publikation (Z Gastroenterol 2015; 53: 562-567) zur Versorgungssituation von Patienten mit Nichtalkoholischer Fettlebererkrankung (NAFLD) kritisiert eine Gruppe von Gastroenterologen recht deutlich das fehlende Problembewusstsein für die Fettleber, auch unter Ärzten. Risikopatienten würden nicht regelhaft dahingehend untersucht. Welche Risikopatienten sind gemeint?
Professor Elke Roeb: Risikofaktoren für die Fettleber sind Übergewicht und Diabetes mellitus. Wir sehen hier in Gießen ebenso wie an anderen Universitätskliniken, dass zu wenige Patienten etwa von Diabetologen zur Abklärung von Leberfunktionsstörungen in die Gastroenterologie überwiesen werden.
Wünschenswert wäre eine bessere Zusammenarbeit zwischen Gastroenterologen, Endokrinologen, aber zum Beispiel auch Chirurgen, die bariatrische Chirurgie anbieten.
Wir Hepatologen brauchen außerdem die Zusammenarbeit mit Hausärzten. Frühere Auffassungen, wonach "ein bisschen Leberverfettung" ohne erhöhte Leberwerte irrelevant sei, sind überholt! Fettleber ist nicht gesund - diese Botschaft muss auch in die Bevölkerung getragen werden.
Wird nicht oft genug der Schallkopf auf den Bauch gehalten - braucht es denn unbedingt den Hepatologen, um eine Fettleber festzustellen?
Professor Elke Roeb
Position: Leiterin Schwerpunkt Gastroenterologie, Uniklinik Gießen-Marburg, Standort Gießen .
Werdegang: Studium der Humanmedizin und Health Care Management (RWTH Aachen, Rambam Hospital Haifa, Israel, und Frankfurt/Main); Forschungsaufenthalte in den Instituten für Biochemie (RWTH Aachen und Uni Göttingen); 2005 Ruf auf die Professur für Innere Medizin Schwerpunkt Gastroenterologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Engagement: Forschung zu molekularen und zellulären Mechanismen der Inflammation, Fibrogenese und Karzinogenese bei chronischen Erkrankungen der Leber und des Darms; Vorsitzende des Kuratoriums der Deutschen Leberstiftung, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Gastro-Liga und der DFG-Senatskommission für Grundsatzfragen der klinischen Forschung; 2007-2009 Wissenschaftliche Sekretärin der Deutschen Arbeitsgemeinschaft zum Studium der Leber; Koordinatorin der S2k-Leitlinie „Nicht-alkoholische Fettlebererkrankungen“ 2015.
Roeb: Prinzipiell kann die Diagnose "Fettleber" natürlich von jedem Sonografie-erfahrenen Arzt gestellt werden. Aber man muss schon gut sonografieren können und man braucht ein gutes Gerät, das preisbedingt üblicherweise kaum in einer hausärztlichen Praxis zu finden ist.
Welche Bedeutung dieser Befund im Einzelfall hat, welche Ursachen dahinter stecken könnten und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind - dazu braucht es hepatologische Kenntnisse.
Wir klären, ob eine spezielle Behandlung notwendig ist oder ob es ausreichend ist, lediglich die zugrundeliegenden Risikofaktoren therapeutisch anzugehen.
Wie häufig findet sich denn die nicht-alkoholbedingte Fettleber in der Bevölkerung und in Risikogruppen?
Roeb: Gut etablierte Studien zur Prävalenz haben ergeben, dass diese zum Beispiel in Italien bei 26 Prozent liegt, in Griechenland bei 46 Prozent und in Deutschland bei 30 Prozent - ähnlich wie in den USA. Von den Patienten mit einem Diabetes mellitus haben bis zu 70 Prozent eine Fettleber, unter Menschen mit morbider Adipositas sind es sogar bis zu 90 Prozent!
Bei Kindern und Jugendlichen sind besonders Jungen betroffen: Bis zu 42 Prozent der übergewichtigen Jungen haben eine Fettleber, nach der Pubertät sind es sogar über 50 Prozent. Unter übergewichtigen Mädchen sind es 17 Prozent.
Die Fettleber ist also eine echte Volkskrankheit. Dennoch empfehlen Sie und Ihre Kollegen in der aktuellen NAFLD-Leitlinie kein Screening. Warum?
Roeb: Für ein populationsbasiertes Screening auf Fettlebererkrankungen müssten bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: Eine Sammlung praktikabler Diagnosekriterien, allgemeingültige Schwellenwerte für eine Intervention, breit anwendbare therapeutische Verfahren. Über all dies verfügen wir im Moment leider nicht.
Viele Patienten mit einer Fettleber haben normale Leberwerte, die Sensitivität der Sonografie für das Vorhandensein einer Fettleber liegt lediglich bei 60 Prozent.
Angesichts der erforderlichen Ressourcen für entsprechende Screenings und dem zu erwartenden Nutzen können wir daher kein Screening der Gesamtbevölkerung empfehlen. Eine gezielte Evaluation in den genannten Risikogruppen sollte dagegen unbedingt vorgenommen werden.
Es scheint eine relativ starke genetische Komponente bei der Entstehung der NAFLD zu geben. Müssen Angehörige von Fettleber-Patienten systematisch untersucht werden?
Roeb: Außer den genetischen Faktoren gibt es noch entscheidende Umwelteinflüsse, so spielen zum Beispiel der sozioökonomische Status eine Rolle oder das Essverhalten der Eltern.
Wir verfügen im Moment noch nicht über ausreichend Daten, die den Sinn eines familienbasierten Screenings stützen würden, ohne zuvor nach den bekannten Risikofaktoren zu schauen.
Anders ist das, wenn Verwandte eines Patienten mit Fettleberhepatitis selbst an Diabetes leiden oder übergewichtig sind. Diese Menschen sollten auf das Vorhandensein einer Fettleber hin untersucht werden.
Ist das als Aufforderung an die Hausärzte zu verstehen?
Roeb: Die Hausärzte sind die einzigen, die das leisten können. Sie kennen diese Familien und sie wissen, ob genannte Risikofaktoren bei weiteren Angehörigen eines Patienten mit NAFLD vorliegen.
Sind denn ethnische Unterschiede in der Prävalenz der Nichtalkoholischen Fettlebererkrankung versorgungsmedizinisch bedeutsam?
Roeb: Es gibt tatsächlich Unterschiede je nach Ethnizität. Diese sind zurückzuführen auf Unterschiede im Lipidmetabolismus und in der Körperfettverteilung. So ist zum Beispiel im asiatischen Raum die Prävalenz der Adipositas deutlich geringer als bei uns, dem entsprechend sind auch Fettlebererkrankungen dort seltener.
Untersuchungen aus den USA haben ergeben, dass spanischstämmige US-Amerikaner eine deutlich höhere NAFLD-Prävalenz aufweisen als weiße Amerikaner.
Interessanterweise haben die Afroamerikaner die niedrigste Fettleber-Prävalenz. Für Deutschland haben wir aus diesen ethnischen Studien noch keine Konsequenzen gezogen.
In der Leitlinie wird eine risikoadaptierte, stufenweise Diagnostik empfohlen. Wie sieht diese aus?
Roeb: Zunächst geht es um die Frage: Liegt eine Fettlebererkrankung vor, ja oder nein? Diese Frage wird primär mit Hilfe des Ultraschalls beantwortet.
Lautet die Antwort "ja", geht es nun darum, eine sekundäre Steatose auszuschließen, also all jene Fettlebererkrankungen, die nichts mit dem metabolischen Syndrom zu tun haben, sondern zum Beispiel auf dem Boden einer Hepatitis C, medikamentöser Toxizitäten oder eines Alkoholismus entstehen.
Im dritten Schritt wird die unmittelbare Gefährdung des Patienten ermittelt: Liegt bereits eine höhergradige Leberverfettung vor, eine Fettleberhepatitis, eine Fibrose oder gar Leberzirrhose?
Der Schweregrad der Fettlebererkrankung bestimmt, ob und welche Therapie sowie mit welcher Dringlichkeit diese Behandlung notwendig ist.
Welche Behandlungsziele werden verfolgt?
Roeb: Liegt bereits eine Entzündung mit erhöhten Leberwerten vor, sollte dringend eine Behandlung erfolgen mit dem Ziel, die Insulinresistenz zu reduzieren.
Damit verringert man die Wahrscheinlichkeit von Folgeschäden wie Leberzirrhose oder hepatozelluläres Karzinom. Zugleich wird damit das erhöhte kardiovaskuläre Risiko gesenkt. Und all das wirkt sich günstig auf die Lebenserwartung des Patienten aus.
Reduktion der Insulinresistenz heißt also in erster Linie: Veränderung des Lebensstils?
Roeb: Richtig! Die Kalorienzufuhr wird reduziert, das tägliche Bewegungspensum wird dagegen erhöht.
Bekanntlich funktioniert das in der Praxis nicht so gut...
Roeb: Sicher, die Patienten machen das nicht so gerne mit. Eine Pille gegen die Fettleber gibt es aber nicht. Und genau genommen ist die Therapie doch denkbar einfach: Sich mehr zu bewegen und weniger zu essen ist meiner Meinung nach jedem beizubringen. Wir reden über nichts anderes, als über eine gesunde Lebensweise. Dazu müssen wir bereits Kinder und Jugendliche erziehen.
Wir Ärzte allein sind mit dieser Aufgabe freilich überfordert. Die Prophylaxe des metabolischen Syndroms, des Übergewichts, des Typ-2-Diabetes und damit auch von Fettlebererkrankungen ist auch eine erzieherische Aufgabe, die unter anderem bereits in Kindertagesstätten und Schulen angegangen werden muss.
Die Problematik dieser Krankheiten muss noch viel mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung dringen. Als behandelnde Ärzte können wir unsere Patienten dazu bringen, ein Tagebuch über ihre Lebensstilveränderungen zu führen. Darin können Gewicht, die Reduktion erhöhter Leberwerte oder auch die Ergebnisse sonografischer Befunde dokumentiert werden, Therapieerfolge wie Misserfolge.
Schafft man es, die Patienten an sich zu binden, sind sie meist auch gut motiviert. Selbst wenn sporttreibende Patienten kein Gewicht verlieren, wandeln sie Fett- in Muskelmasse um. Auch das reduziert den Leberfettgehalt.
Für die multidisziplinäre Versorgung von Adipositas-Patienten werden ja zunehmend Strukturen geschaffen. Muss dort das Thema Fettleber verstärkt etabliert werden?
Roeb: Diese Strukturen werden ja für Patienten in extremen Situationen geschaffen. Was wir brauchen, sind Strukturen, die greifen, bevor es zu derartigen Komplikationen kommt. Ich rede von Patienten, die noch nicht zum Arzt gehen oder nicht beim Hepatologen auftauchen.
Wir müssen die Fettleber bei unseren Patienten rechtzeitig erkennen und sie darüber aufklären, dass dieser Zustand ihr Risiko erhöht, an den erwähnten Folgen zu erkranken und vorzeitig zu sterben.
Und es muss uns allen klar sein: Eine Fettleber ist nichts Normales!