HINTERGRUND
Ex-Radsportler Bert Dietz gesteht Doping: "Es war immer der Druck da - die Angst um den Job"
Der 21. Mai 2007 könnte in die Sportgeschichte eingehen. In der Nacht zum Dienstag trat der ehemalige Berufsradfahrer Bert Dietz in der ARD-Sendung "Beckmann" vor die Kameras und gab zu, in seiner aktiven Zeit über Jahre Erythropoetin (EPO) und Wachstumshormone konsumiert zu haben. Dietz ist der erste deutsche Radprofi, der sich freiwillig zu seiner Dopingvergangenheit bekennt.
Zwei Ärzte von der Uni Freiburg unter Verdacht
Aktive Unterstützung erfuhr er eigenen Angaben zufolge von zwei Ärzten, die am Freiburger Universitätsklinikum angestellt sind und schon seit Wochen unter Verdacht stehen, Beihilfe zum Doping geleistet zu haben: Dr. Lothar Heinrich und Dr. Andreas Schmid, Mannschaftsärzte des ehemaligen Radsport-Teams Telekom (heute T-Mobile). Ob die damalige Teamleitung vom Doping gewusst und dies stillschweigend toleriert hat, darüber wollte Dietz nichts sagen. Auch weigerte er sich standhaft, andere Fahrer anzuschwärzen.
Hinweise verdichten sich, dass systematisch gedopt wurde
Nach den Enthüllungen des ehemaligen Team-Telekom-Masseurs Jef d‘Hont, der in seiner Autobiografie ebenfalls die Freiburger Ärzte der Beihilfe zum Doping bezichtigt (die "Ärzte Zeitung" berichtete), verdichten sich die Hinweise, dass im deutschen Radsport über viele Jahre systematisch verbotene Substanzen zum Einsatz gekommen sind. Dietz war von 1994 bis 1998 Fahrer im Team Telekom, damals seine erste Anstellung als Profi. Er war nicht irgendein Fahrer. Mitte der 1990er Jahre galt er hinter Jan Ullrich als Nummer zwei im Team.
Gleich zu Beginn seiner Karriere habe er damit begonnen, Dopingmittel zu konsumieren, gab Dietz auf Nachfragen von Moderator Reinhold Beckmann zu. Anfangs nur Cortison, um etwas länger ohne Schmerzen an der Leistungsgrenze fahren zu können. Cortison sei damals verbreitet gewesen, da darauf kaum jemals getestet worden sei.
Dietz erinnerte sich an das Jahr 1995, als sich die Teamärzte Heinrich und Schmid im Trainingslager auf Mallorca darüber ausgelassen hätten, warum die Deutschen den Italienern und Spaniern dauernd hinterher fuhren. Eigenen Worten zufolge erfuhr Dietz damals zum ersten Mal von einer Substanz namens EPO. Wer in der Spitze mitfahren wolle, müsse dieses Mittel nehmen, hätten die Ärzte durchblicken lassen. Laut Aussagen des Ex-Radprofis erläuterten die Ärzte auch die Nebenwirkungen von EPO und Maßnahmen gegen die Blutverdickung - etwa die Gabe von ASS und regelmäßige Blutkontrollen.
Dass er ausgerechnet von Ärzten mit Dopingmitteln versorgt wurde, habe ihn nicht gewundert, so Dietz: "Wer hätte es denn sonst machen können?" Wenn sie vor Ort gewesen seien, hätten die Ärzte das EPO verabreicht, sonst die Pfleger, später habe er sich die Substanz selbst gespritzt. Erhalten habe er seine Rationen von den Ärzten oder per Post aus Freiburg, bezahlen musste er selbst.
Niemand habe ihn gezwungen, EPO zu nehmen, als Profi sei das jedoch eine existenzielle Frage gewesen, so Dietz. "Es war immer der Druck da - die Angst um den Job." Ein schlechtes Gewissen habe damals niemand gehabt, weil ein Großteil der Profis gedopt habe. Ob die Führung des Teams Telekom Kenntnis davon hatte, könne er nicht sagen. Aber der Druck sei von den Sponsoren ausgegangen, die mit guten Platzierungen in den Medien Erwähnung finden wollten.
Als der Skandal um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes öffentlich wurde, in dem neben 50 weiteren Fahrern auch der bekannteste deutsche Radprofi Jan Ullrich verwickelt ist (wir berichteten), begann in Dietz der Entschluss zu reifen, mit seinem Dopingbekenntnis an die Öffentlichkeit zu treten. Es habe ihn gestört, erzählt er, dass nur Ullrich im Zentrum der Kritik stand und alle anderen, die mit dem Fuentes-Skandal nichts zu tun hatten, so taten, als ob sie sauber seien.
Leistungssportler bricht das Kartell des Schweigens
Ohne Namen zu nennen, deutete Dietz an, dass kein Profi, der während der Tour de France oder dem Giro d‘Italia in der Spitze mitfahren wolle, ohne Doping auskomme. Alle wüssten das, doch es gebe einen Ehrenkodex, ein Kartell des Schweigens. Die aktiven Fahrer hätten Angst um ihren Job, bei den Teams und den Sponsoren gehe es ums große Geld.
Dietz plädierte in der ARD-Sendung für eine konzertierte Aktion, an der sich Politiker, Funktionäre und Sponsoren beteiligen sollten. Sie müssten den Fahrern aufzeigen, wie sie auch ohne Doping bestehen könnten. Eine Amnestie könne die Profis zudem dazu bewegen, mit ihrer Vergangenheit endgültig abzuschließen und einen Neuanfang zu wagen.
STICHWORT
EPO
Erythropoetin (EPO) gehört zu der im Sport verbotenen Wirkstoffgruppe der Peptidhormone. EPO wird vorwiegend in der Niere gebildet und stimuliert in den Knochenmark-Stammzellen die Ausreifung der Erythrozyten. Seit 1988 wird EPO gentechnisch hergestellt, wobei gentechnisch veränderte Ovarienzellen chinesischer Hamster verwendet werden. Bald danach kam die Substanz, die eigentlich zur Behandlung von Patienten mit renaler Anämie hergestellt wird, auch im Profisport zum Einsatz, vor allem in Ausdauersportarten wie Radfahren, Skilanglauf und den Langlaufdisziplinen der Leichtathletik.