Low-Fat ade

Freie Fahrt fürs Fett

Fettarme Ernährung ist gleich gesund? Von wegen! Aktuelle Empfehlungen rücken mehr und mehr davon ab. Es kommt allerdings darauf an, welche Fette man zu sich nimmt.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Gesünder als Schweinebraten und Vollmilchjoghurt: Lebensmittel mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren.

Gesünder als Schweinebraten und Vollmilchjoghurt: Lebensmittel mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren.

© Syda Productions / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Low-Fat-Produkte gelten seit den 1970er-Jahren nicht nur als schick, sondern auch als gesund und werden tonnenweise gekauft. Doch trotz der Fetthysterie sind zwei Drittel der Amerikaner zu dick. Auch in Deutschland wächst der Anteil übergewichtiger Erwachsener stetig: zwischen 1999 und 2013 von 48 Prozent auf 52 Prozent.

Explodierende Gesundheitskosten durch Folgeerkrankungen erfordern Gegenmaßnahmen. So rollen in den USA die Experten des Dietary Guidelines Advisory Committee (DGAC) das Problem alle fünf Jahre anhand der aktuellen Studienlage von Neuem auf.

Ihr Resümee in den Empfehlungen zur Überarbeitung der Ernährungsleitlinie ist ein alter Hut: Die US-Amerikaner essen zu wenig frisches Obst und Gemüse, zu wenig Vollkornprodukte, zu viel Salz, Zucker und Fett.

Doch halt - beim letzten Punkt hat das DGAC diesmal Überraschungen parat. Nach jahrzehntelanger Hysterie verliert nun das Cholesterin auf dem Teller offiziell seine Bedrohlichkeit. Die Experten begründen ihre Neueinstufung mit Studien, die zeigen, wie wenig Einfluss das Nahrungscholesterin auf das Serumcholesterin sowie das kardiovaskuläre Risiko in der Allgemeinbevölkerung hat.

Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter: Künftig kann man guten Gewissens die mit Zusatzstoffen aufgepeppten Magerprodukte in den Regalen stehen lassen und zu fetten Avocados und leckeren Nussmischungen greifen.

Vier Jahrzehnte lang wurde vor dem Überschreiten der Obergrenzen von 300 mg Cholesterin und einem Gesamtfettanteil von aktuell 35 Prozent der täglichen Kalorien in den USA (in Deutschland: 30 Prozent für Erwachsene) gewarnt, jetzt fallen diese Schranken.

Denn randomisierte Studien wie die PREDIMED-Studie haben gezeigt, dass eine Ernährungsweise, die reich an gesunden Fettsäuren ist, das Herz-Kreislauf-Risiko verringert, selbst wenn die 35-Prozent-Schranke überschritten wird.

Auf die richtigen Fette kommt es an

Still geworden ist es im aktuellen DGAC-Report auch um die Vorteile einer Low-Fat-High-Carbohydrate-Ernährung. Über 70 Prozent der US-Bevölkerung konsumieren zu viel industriell verarbeitete Getreideprodukte, beklagen nun die DGAC-Experten.

Werden aber die Fettlöcher im Speiseplan mit Kohlenhydraten gestopft, schlagen offenbar die Gefahren von Donuts, Chips und Zuckerzusätzen durch und beflügeln metabolische Fehlfunktionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Adipositas.

Die künftige Strategie der US-Experten lautet deshalb - selbst zur Prävention der Adipositas: Nicht das Gesamtfett reduzieren, sondern im Rahmen einer ausgewogenen kalorienbewussten Ernährung die richtigen Fette essen. Eine Obergrenze für Gesamtfett würde zwangsläufig auch die Zufuhr gesunder ungesättigter Fettsäuren drosseln.

Für den Wegfall der Fettgrenze plädieren auch Dr. Dariush Mozaffarian und Dr. David Ludwig aus Boston (JAMA 2015; 313: 2421). Es werde Zeit, so die Ernährungsexperten, den Leuten zu erklären, dass eine fettarme Ernährung keine Vorteile für die Gesundheit bringe. Im Gegenteil sei es sogar hilfreich, mehr als 35 Prozent der Kalorien in Form gesunder Fette aufzunehmen.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat ihre evidenzbasierte Leitlinie 2015 den neuen Erkenntnissen angepasst. Sie sieht "wahrscheinliche Evidenz" für einen "fehlenden Zusammenhang" zwischen Gesamtfettzufuhr, also dem Fettanteil der Nahrung, und dem Risiko für Typ-2Diabetes, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Krebs und Adipositas.

Zudem stehe die Cholesterinzufuhr mit "wahrscheinlicher Evidenz" in keinem Zusammenhang mit den Konzentrationen von HDL-Cholesterin und Triglyzeriden im Plasma.

Auch gesundes Fett macht fett

Es geht also nicht darum, die Ernährung fettarm zu gestalten. Vielmehr sollen gesättigte Fettsäuren statt gegen Kohlenhydrate gegen vielfach ungesättigte Fettsäuren ausgetauscht werden. Noch immer wird in Deutschland der höchste Energieanteil (14 bis 17 Prozent) von gesättigten Fettsäuren geliefert, während mehrfach ungesättigte nur 4,8 bis 7,6 Prozent ausmachen.

Neue Ziele für die Allgemeinbevölkerung sind den DGAC-Experten zufolge: Der Anteil gesättigter Fettsäuren an den Tageskalorien soll unter 10 Prozent, an Zuckerzusätzen maximal 10 Prozent betragen.

Trotz aller Berechnungen und Verschiebungen darf allerdings eines nicht vergessen werden: Fett ist ein Geschmacksträger, und je besser eine Mahlzeit schmeckt, desto mehr wird gegessen.

Dass größere Portionen und Nachschläge zwangsläufig die Bäuche schwellen lassen, ist eine simple Rechnung. Demnach machen auch gesunde Fette fett, wenn die Kaloriensumme über das Ziel hinausschießt.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 07.07.201511:57 Uhr

Der Mensch ist, was er isst!

Man könnte es fast "Schweinezyklus" nennen (Begriff aus der Agrarwissenschaft: Periodische Schwankung auf der Angebotsseite, wie sie exemplarisch ursprünglich auf dem Markt für Schweinefleisch von Arthur Hanau in seiner Dissertation über Schweinepreise 1927 dargestellt wurde)
http://de.wikipedia.org/wiki/Schweinezyklus

"Low fat", "low carb", "high fat", "high carb", viel Protein, wenig Protein, Cholesterin adé oder auch nicht; es gibt keine ernährungsphysiologische "Sau", die nicht schon mal durchs Dorf getrieben wurde.

Wenn ich durch einen riesigen Supermarkt in Dortmund gehe, weil es dort den frischesten Fisch, die beste französische Käseauswahl und u. a. Bio-Frischeprodukte gibt, fällt mir bei den Einkaufsgewohnheiten meiner Mitbürger und potenziellen Patienten immer wieder auf: Der schnelle Griff zu Fertigprodukten und -Mahlzeiten, zu vorfabriziertem und weiterverarbeitetem "Convenience-Food", zu gezuckerten, Glucose-, Fruktose- und Kohlenhydrat-angereicherten, übersalzenen, extrem fettigen und Kalorien-lastigen Speise- und Getränkeangeboten.

Über 90 Prozent des deckenhoch gestapelten Angebotes ist für eine gesunde ausgewogene Ernährung völlig ungeeignet. Dennoch gibt es eine direkt proportionale Beziehung zur Füllung des Einkaufswagens speziell mit diesen Produkten und dem Bauchumfang der Menschen und ihrer Kinder, die selbigen zur Kasse schieben.

Ist der "Input" höher als der "Output", lassen sich das aktuelle Körpergewicht und der Bauchumfang nicht halten. Je mehr ein Nahrungsmittel industriell be- und verarbeitet ("processed nutrition") oder angereichert bzw. aromatisiert wurde, desto schädlicher ist meist sein Konsum.

Bei der mediterranen Frischkost sind tatsächlich ein hoher Anteil an primär ungesättigten pflanzlichen Fettsäuren positiv beteiligt. Extra Portionen Nüsse und Olivenöl wurden in der Studie von R Estruch et al. ["Primary prevention of cardiovascular disease with a Mediterranean diet"] frei Haus geliefert [NEJM 2013; 368: 1279]. Damit wurde eine signifikante Senkung des kardiovaskulären Risikos bei der Primärprävention von spanischen Patienten mit weniger ausgeprägten Grundkrankheiten um bis zu 30 Prozent niedrigeren Risikoprofilen erreicht.

Zum in der Bildunterschrift inkriminierten "Vollmilchjoghurt": Er offenbart typische Schwächen empirischer Ernährungsforschung mit rein retrospektiven Ernährungsfragebögen. Reine Milch- und Milchprodukte o h n e industrielle Zusätze (Voll-Milch, Butter, Rahm, Sahne, Sauermilch, Quark, Joghurt, Kefir etc.) haben k e i n e signifikant erhöhten Risiken. Entscheidend sind Lebensmittelzusätze und mit hohem Milchfettkonsum parallel e i n h e r g e h e n d e schlechte Ernährungsgewohnheiten.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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