Hintergrund
Früherkennung von Alzheimer: Den Biomarkern gehört die Zukunft
Die Alzheimer-Demenz verläuft über Jahrzehnte beschwerdefrei. Derzeitige Behandlungsoptionen kommen somit viel zu spät. Deshalb liegt der Fokus der Alzheimer-Forschung inzwischen zunehmend auf der Früherkennung und der Prävention. Im Visier haben die Forscher dabei vor allem Biomarker.
Veröffentlicht:Es ist eine der wesentlichen Erkenntnisse zur Alzheimer-Demenz der vergangenen Jahre: Die Prozesse, die zum klinischen Bild des Morbus Alzheimer führen, sind bereits viele Jahre oder gar Jahrzehnte vorher nachweisbar. Inzwischen kann man diese frühen Hirnveränderungen feststellen, etwa mit Biomarkern.
Die neurologisch-psychiatrischen Fachgesellschaften empfehlen, Biomarker anzuwenden, wenn die klinische Abgrenzung der Erkrankung unsicher ist. So sei die Konzentration des Tau-Proteins im Liquor 5 bis 10 Jahre vor dem klinischen Krankheitsausbruch signifikant verändert, sagte Professor Harald Hampel von der Klinik für Psychiatrie an der Universität Frankfurt am Main bei einem Symposium der Hirnliga.
Dies ist ein Indikator für den Nervenzelluntergang. Ähnliches gilt für das Phospho-Tau im Liquor. Die Anheftung von Phosphormolekülen an Tau-Proteine resultiert aus Enzym-Störungen. Erhöhte Phospho-Tau-Werte werden bislang nur bei Alzheimer-Demenz beobachtet, so dass dieser Parameter differenzialdiagnostisch wichtig ist.
Aufsehen erregten auch Befunde der funktionellen Bildgebung, wonach offenbar mehrere Jahrzehnte, bevor erste Demenz-Symptome auffallen, neuronale Netzwerke zunächst deutlich überaktiviert und überlastet werden, um dann zu dekompensieren und schließlich völlig zu versagen.
Hampel bezeichnete diese Erkenntnisse als "sehr viel versprechenden Ausblick auf die Zukunft der Demenzdiagnostik". Eine Zukunft, die bereits begonnen habe.
Und schließlich sind Forschungsergebnisse aus der Genetik wegweisend. Durch Genom-weite Assoziationsstudien sind inzwischen viele Risikogen-Orte identifiziert worden.
Wissenschaftler gehen derzeit davon aus, dass 60 bis 80 Prozent des Gesamtrisikos, an Morbus Alzheimer zu erkranken, von genetischen Faktoren determiniert wird. Hampel kündigte eine demnächst erscheinende Publikation in "Nature Genetics" an, wonach zu den bisher bekannten Risikogenen noch zwei große Risikogen-Gruppen hinzukommen.
"Die Funktionen solcher Gene sind für die Pathophysiologie der Erkrankung hoch relevant", betonte der Frankfurter Psychiater, und zwar ganz besonders für den Fett- und Cholesterinstoffwechsel, den Amyloidmetabolismus sowie immunologische und entzündliche Vorgänge.
"Das hatte man bisher so nicht auf der Landkarte." Hier liegen daher womöglich die Schlüssel für künftige Therapiestrategien, und daraus werden gegebenenfalls neue biologische Marker generiert, mit deren Hilfe man das Krankheitsgeschehen erfassen kann.
Auch wenn der Fettstoffwechsel und Entzündungen eine wesentliche Bedeutung für den Krankheitsprozess haben, konnte mit der Einnahme von Cholesterinsenkern oder nichtsteroidalen Antirheumatika bei Alzheimer-Patienten keine Verbesserungen erzielt werden - eben weil diese therapeutischen Eingriffe zu spät kamen, meint Privatdozent Gunter P. Eckert, Pharmakologe an der Uni Frankfurt.
Denn epidemiologische Studien hatten ja durchaus verminderte Alzheimer-Risiken ergeben, wenn solche Mittel langfristig eingenommen worden waren. Damit rücke die Prävention des Alzheimer in den Fokus, sagte Eckert.
Es geht dabei um die Modifikation eventuell bereits ablaufender krankhafter Prozesse und um das Hinausschieben des klinischen Krankheitsausbruchs, am besten hinter die Grenze der durchschnittlichen Lebenserwartung.
Modifiziert werden können beeinflussbare Risikofaktoren wie Bluthochdruck, hohe Homocystein-Spiegel, Fettstoffwechselstörungen bereits in mittleren Jahren, Diabetes, Adipositas, Rauchen und geringe körperliche Aktivität. Eine gesunde Lebensweise über lange Zeit, etwa mit mediterraner Ernährung, viel Bewegung und geistiger Betätigung, scheinen vor Alzheimer zu schützen.
Nach Ansicht von Eckert könnten bestimmte Supplemente in der Ernährung wie Omega-3-Fettsäuren und Polyphenole diesen Effekt womöglich stützen. Allerdings ergeben die randomisierten Studien dazu derzeit alles andere als ein einheitliches Bild.
Die Ursache liegt wohl in der Komplexität des Krankheitsgeschehens. Es wird sich zeigen, ob die Zahl der Neuerkrankungen mit diesen und vielleicht weiteren verlaufsmodulierenden Maßnahmen sinkt.
Der Wissenszuwachs der vergangenen Dekade war enorm. Dennoch befinde man sich noch in der "Frühzeit der Erkenntnis", so Hampel. Mit Prognosen für die nächsten zehn Jahre - was Therapiefortschritte anbelangt - ist man deutlich zurückhaltender geworden.