Kausalität unklar

Hörverlust geht mit geistigem Abbau einher

Wer im Alter schlechter hört, hat offenbar auch ein höheres Risiko für kognitiven Abbau. Bloß Ursache und Wirkung dafür sind noch unklar.

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Und wie steht es um das Gedächtnis?

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© theissen / imago

BALTIMORE. Ältere Menschen, die schlecht hören, weisen laut einer US-Studie oft Zeichen beschleunigten kognitiven Abbaus auf. Unbeantwortet bleibt aber die Frage, wie eines mit dem anderen zusammenhängt.

Bei Senioren mit eingeschränktem Hörvermögen ist den Ergebnissen der Untersuchung zufolge der Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit um 30-40 Prozent beschleunigt. Das Risiko, dass sich binnen sechs Jahren eine kognitive Beeinträchtigung nachweisen lässt, ist um 24 Prozent erhöht.

Frank Lin von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore und seine Mitarbeiter hatten für ihre prospektive Beobachtungsstudie knapp 2000 Probanden im mittleren Alter von 77 Jahren untersucht (JAMA Intern Med 2013; online 21. Januar).

Im modifizierten "Mini Mental State Test" (3MS) zeigten sie keine kognitive Beeinträchtigung, ihre Punktzahlen lagen bei mindestens 80 von maximal 100 Punkten. Zugleich wurden sie einem Hörtest unterzogen, wobei die durchschnittliche Hörschwelle für Reintöne im Bereich von 500 bis 4000 Hertz (Hz) berechnet wurde.

Als Hörminderung war das Überschreiten eines Schalldruckpegels von 25 Dezibel (dB) definiert, eine Schwelle, von der ab die Kommunikation im Alltag erschwert ist.

Gemeinsame Pathomechanismen?

Die Probanden wurden sechs Jahre lang nachbeobachtet. In den Jahren drei, fünf und sechs testeten die Forscher erneut die kognitive Leistung, und zwar mit dem 3MS-Test sowie dem "Digit Symbol Substitution"-Test (DSS), bei dem in 90 Sekunden möglichst viele Zahlen (zum Beispiel von ein bis neun) durch festgelegte Symbole ersetzt werden müssen.

1162 Probanden hatten zu Beginn eine Gehörminderung aufgewiesen. Die Rate des Abfalls im 3MS-Test betrug bei ihnen 0,65 Punkte pro Jahr. Bei den normal Hörenden waren es jährlich nur 0,46 Punkte.

Im DSS betrug der Verlust für die Probanden mit Hörverlust pro Jahr 0,83 Punkte gegenüber 0,63 Punkten bei Studienteilnehmern mit erhaltener Hörfähigkeit.

Für einen Abfall um 5 Punkte im 3MS würden Senioren, die schlecht hören, rechnerisch 7,7 Jahre benötigen. Bei erhaltenem Gehör wären es hingegen 10,9 Jahre.

Wie die Hörminderung mit dem mentalen Verfall kausal zusammenhängt, lässt sich unter den Bedingungen der vorliegenden Studie nicht erklären.

Denkbar sind laut Lin und Kollegen eine Reihe von Mechanismen, die auch zusammenwirken könnten - etwa gemeinsame neuropathologische Prozesse, aufgrund des Hörverlusts abnehmende geistige Anregungen oder zunehmende soziale Isolation.

Unklar bleibt daher auch, ob auf den Hörverlust gerichtete Interventionen dem kognitiven Abbau gegensteuern würden. Studienteilnehmer, die Hörgeräte trugen, zeigten zwar einen leicht geringeren Abfall ihrer geistigen Leistungen; signifikant war der Unterschied aber nicht. (rb)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 28.01.201315:32 Uhr

Tautologie als Studienprinzip?

Ich bin überrascht: Hätte ich nicht fest damit rechnen müssen, dass ein zunehmender Hörverlust im Alter zu einer deutlichen V e r b e s s e r u n g der Hirnleistungsfähigkeit führt?

Aber Sarkasmus beiseite,"cognitive decline and incident cognitive impairment" beziehen sich auf a l l e kognitiven Sinneseindrücke wie Sehen und Erkennen, Hören und Wahrnehmen, Riechen, Schmecken und Genießen, Tasten und Erspüren bzw. deren eingeschränkte Verarbeitung im Gehirn. Die daraus folgende, geminderte geistig-seelische Ausdrucksmöglichkeit, wie in dieser US-Studie dargelegt, erinnert an behavioristische Untersuchungen, bei denen die kausalen Ursachen eingeschränkter Sehleistung mit dem Phänomen nachlassender Sehfähigkeit erkannt und begründet werden.

Nur tröstlich, dass der Hirnleistungsabbau sich durch zusätzlichen Einsatz von Hörgeräten n i c h t signifikant bessern ließ. Sonst hätten die Studienautoren auch noch in die wissenschaftliche Welt hinausposaunt, dass Hörgeräte gegen Hirnleistungsschwäche helfen könnten.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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