Studienanalyse
Im Herbst denkt es sich besser
Die geistige Leistung von Menschen schwankt mit den Jahreszeiten, offenbart eine Analyse: Am stärksten ausgeprägt sind die Fähigkeiten des Gehirns im Herbst und Sommer.
Veröffentlicht:TORONTO. Der Geist weht, wo er will – so heißt es in Anlehnung an einen Satz aus dem Johannesevangelium. Das mag so sein.
Sofern damit die kognitiven Kräfte gemeint sind, weht der Geist aber jedenfalls nicht, wann er will.
So sind die geistigen Fähigkeiten im Sommer und Herbst am stärksten ausgeprägt. Im Winter und Frühling hingegen geht kognitiv gesehen ein deutlich laueres Lüftchen.
Gesammelt hat diese Erkenntnis eine Gruppe von Hirnspezialisten um Andrew Lim von der Abteilung für Neurologie der Universität Toronto.
Daten von mehr als 3000 Teilnehmern ausgewertet
Die Forscher hatten dafür die Daten von drei Kohortenstudien mit mehr als 3000 Teilnehmern in einem Durchschnittsalter von über 70 Jahren analysiert (PLoS Med 2018; 15: e1002647).
Es zeigte sich ein deutlicher Einfluss der Jahreszeiten auf die Kognition und ihre neurobiologischen Korrelate, und zwar sowohl bei gesunden Probanden als auch bei solchen mit einer Alzheimerpathologie.
Die Unterschiede in der geistigen Leistungsfähigkeit zwischen Sommer/Herbst und Winter/Frühling waren einer Altersdifferenz von knapp fünf Jahren äquivalent. Im Winter und Frühling stieg die Wahrscheinlichkeit, die Kriterien einer leichten kognitiven Beeinträchtigung oder Demenz zu erfüllen, um rund 30 Prozent.
Die Ergebnisse erwiesen sich als stabil gegenüber den Einflüssen von depressiven Symptomen, Schlafdauer, körperlicher Aktivität und Schilddrüsenstatus. Sie persistierten auch in Fällen mit Alzheimerpathologie.
Spitzenkonzentrationen von Beta-Amyloid 42 im Sommer
Auch auf der Ebene der harten Neurobiologie waren jahreszeitliche Schwankungen zu beobachten.
Beispielsweise wurden im Sommer Spitzenkonzentrationen von Beta-Amyloid 42 im Liquor cerebrospinalis gemessen. Das bestätigt frühere Ergebnisse, wonach hohe Spiegel dieses Amyloids mit besseren kognitiven Leistungen korrelieren.
Die Aktivität einiger mit den geistigen Fähigkeiten assoziierten Gene ergab ebenfalls ein Muster, das zu den neuropsychologischen Resultaten passte.
"Womöglich trüge es Früchte, wenn die diagnostischen, aber auch die Versorgungsbemühungen mit Blick auf Demenz im Winter und Frühjahr verstärkt würden, dann also, wenn Denken und Konzentration der Betroffenen am Tiefpunkt angelangt sind", fassen Lim und Kollegen die Bedeutung ihrer Befunde zusammen.
Und Forschungen zu den Mechanismen der sommerlichen Verbesserung der Kognition könnten helfen, neue Wege in der Alzheimertherapie zu erschließen.
(Quelle: www.springermedizin.de)