Im Vergleich zu Erwachsenen
Kinder stecken Schlaganfall nicht besser weg
Die größere Plastizität des Gehirns sollte bei Kindern nach einem Schlaganfall von Vorteil sein. Das ist aber offenbar nicht der Fall: Die Folgen sind für Kinder ähnlich gravierend wie für Erwachsene.
Veröffentlicht:BERN. Häufig wird angenommen, dass sich Kinder nach Schlaganfällen besser erholen als Erwachsene, weil die Gehirnentwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen ist und das zentrale Nervensystem über ausgeprägtere Regenerations- und Kompensationsmechanismen verfügt.
Allerdings gibt es bislang kaum fundierte Daten aus der Praxis, die eine solche Annahme unterstützen. Schweizer Neuropädiater um Dr. Barbara Goeggel Simonetti haben daher in zwei verschiedenen Registern nachgeschaut, ob ein Schlaganfall bei Kindern und relativ jungen Erwachsenen unterschiedliche Auswirkungen auf die Lebensqualität sowie das körperliche und psychische Wohlergehen hat (Neurology 2015, online 10. April).
Die Ärzte konnten auf Angaben von 116 Kindern (1 Monat bis 16 Jahre) des Schweizerischen Neuropädiatrischen Schlaganfall-Registers sowie auf Daten von 187 relativ jungen Erwachsenen (16-45 Jahre) des Berner Schlaganfall-Registers zurückgreifen.
Alle Patienten hatten in den Jahren 2000-2008 einen arteriellen ischämischen Insult erlitten. Die Patienten oder ihre Angehörigen wurden von Goeggel Simonetti und Mitarbeitern Jahre später ausfindig gemacht und mittels strukturiertem Fragebogen telefonisch interviewt.
Insgesamt erreichten die Forscher 95 der einstigen Kinder und 154 der jungen Erwachsenen, die Befragung erfolgte im Mittel knapp sieben Jahre nach dem Insult.
Aus den Registerdaten konnten die Wissenschaftler erkennen, dass 57 Prozent der Kinder nach drei bis sechs Monaten keine bis geringe Beeinträchtigungen zeigten (mRS 0-1), 61 Prozent waren es in der Gruppe der Erwachsenen - der Unterschied war nicht signifikant.
Drei der Kinder und sechs der Erwachsenen waren unmittelbar nach dem Schlaganfall an dessen Folgen gestorben. Fünf weitere Kinder und drei Erwachsene starben in der Folgezeit.
Bei den Telefoninterviews rund sieben Jahre später waren die einstigen neuropädiatrischen Patienten im Median 15 Jahre, die Erwachsenen 45 Jahre alt.
Einen mRS-Wert zwischen 0 und 1 schafften dann noch 56 Prozent der Kinder und 54 Prozent der Erwachsenen - auch hier gab es keine statistisch belastbaren Unterschiede. Über mindestens eine Beeinträchtigung klagten 62 Prozent der Kinder und 64 Prozent der Erwachsenen.
Lähmungen wurden noch bei 55 Prozent der Kinder und 48 Prozent der Erwachsenen beobachtet, meist waren diese aber nur leicht ausgeprägt.
Sprachprobleme bei Kindern selten
Deutliche Unterschiede ergaben sich jedoch, wenn die Forscher ins Detail gingen. So hatten nur 6 Prozent in der neuropädiatrischen Gruppe Sprachprobleme, aber 27 Prozent der Erwachsenen.
Möglicherweise macht sich hier die bessere Neuroplastizität bemerkbar, allerdings haben die Forscher die Lokalisation des Schlaganfalls nicht genauer benannt.
23 Prozent der Kinder oder ihrer Angehörigen gaben an, im Jahr vor der Befragung noch Verbesserungen bei der Funktionsfähigkeit beobachtet zu haben, bei den Erwachsenen war dies nur bei 14 Prozent der Fall.
Kinder machen offenbar auch nach Jahren noch funktionelle Fortschritte. Bislang war man davon ausgegangen, dass Probleme, die sechs Monate nach dem Infarkt bestehen, auch dauerhaft persistieren.
Deutlich häufiger als bei Erwachsenen kam es bei Kindern nach dem Schlaganfall zu Verhaltensauffälligkeiten, dafür hatten Erwachsene öfter Probleme mit der Bewältigung von Alltagsaufgaben. Keine signifikanten Unterschiede gab es bei der Lebensqualität: Zwei Drittel der Befragten in beiden Gruppen beurteilten diese als ähnlich gut oder besser bezogen auf Altersgenossen ohne Schlaganfall.
Kommen Kinder nun besser mit einem Insult zurecht als junge Erwachsene? Legt man grobe funktionelle Parameter wie die mRS oder die Lebensqualität an, so zeigen sich keine klaren Unterschiede. Danach hätte ein Schlaganfall bei Kindern ähnlich gravierende Auswirkungen wie bei Erwachsenen.
Allerdings lassen sich beide Gruppen nicht gut vergleichen: Die Ätiologie der Schlaganfälle ist bei Kindern in der Regel eine andere als bei jungen Erwachsenen, von denen gut ein Viertel bis ein Drittel die üblichen kardiovaskulären Risikofaktoren aufweist.
Ein Problem ist auch die Fragebogen-Beurteilung durch Eltern und Angehörige: Diese schätzen die Symptome möglicherweise als gravierender ein als die Betroffenen - dies könnte das Ergebnis verzerrt haben, heißt es in einem Editorial zur Publikation.