Klavierspielen baut Hirn um
Das Hirn wächst mit den Aufgaben: Wer zwei Wochen lang regelmäßig Klavier spielen übt, ist danach nicht nur nachweislich geschickter - auch sein Gehirn hat sich messbar verändert, wie italienische Studien zeigen.
Veröffentlicht:PRAG (eb). Offenbar wächst das Gehirn mit der Herausforderung: Je komplexer die Aufgabe, desto größer die Veränderung.
So sind Testpersonen ohne musikalische Vorerfahrung, die zwei Wochen lang regelmäßig Geläufigkeitsübungen auf einer Keyboard-Tastatur absolvieren, danach nicht nur nachweislich geschickter - auch ihr Gehirn hat sich messbar verändert.
Das haben Studien am Universitätshospital San Raffaele in Mailand ergeben, die beim Europäischen Neurologenkongress in Prag vorgestellt wurden.
Bewegungskoordination wird verbessert
Das Training mit beiden Händen führt bereits nach kurzer Zeit zu einer ausgeglicheneren Aktivität und besseren Zusammenarbeit der Gehirnhälften sowie zu einem feineren Ansprechen der Fingermuskulatur auf Nervenreize.
Die musikalischen Impulse haben zudem Umbauten der grauen Substanz in jenen Hirnregionen zur Folge, die für die Bewegungskoordination zuständig sind - je komplexer die Aufgabe, desto mehr.
Eine erst in letzter Zeit eingehender erforschte Fähigkeit des Gehirns ist es, sich je nach den gestellten Aufgaben selbsttätig derart so umzugestalten, dass seine innere Struktur und Organisation den Anforderungen am besten entspricht.
Diese "Neuroplastizität" funktioniert nach klaren Grundsätzen: Gehirnregionen, die häufig genutzt werden, vernetzen sich besser, von weniger genutzten werden gleichsam Ressourcen abgezogen.
Den beiden neuen Studien zufolge katalysieren musikalische Übungen die Selbstoptimierung bestimmter Gehirnleistungen besonders wirksam.
Zehn Übungseinheitenvon jeweils 35 Minuten Dauer
In der ersten Versuchsanordnung absolvierten zwölf musikalisch unerfahrene Probanden innerhalb von zwei Wochen zehn 35-minütige Übungseinheiten auf einer elektronischen Klaviertastatur.
Vor Beginn und nach Abschluss des Trainings wurden die Bewegungsfunktionen der Hand untersucht. Mit einem 32-Kanal-EEG (Elektroenzephalogramm) und transkranialer Magnetstimulation (TMS) erfolgten neurophysiologische Tests.
Die Ergebnisse der Tests lauteten: Alle Versuchspersonen hatten ihre motorischen Leistungen durch das Training stark verbessert, wobei vor allem die Angleichung der Leistungsfähigkeit beider Hände auffiel: Ein beidhändiges Bewegungstraining bei Rechtshändern bedeutet: Die Geschicklichkeit der linken Hand verbessert sich signifikant.
Ähnliches werde auch von professionellen Musikern berichtet, schreiben die Mailänder Wissenschaftler. Zehn Tage mit einem sachkundig gelenkten Bewegungstraining reichen offenbar aus, um die kortikale Plastizität auszulösen.
Strukturelle Plastizität der grauen Masse beeinflusst
In der anderen Studie wurden 45 musikalisch unerfahrene Testpersonen aufgefordert, mit ihrer rechten Hand auf einer computer-modifizierten Tastatur eine vorgegebene Tonfolge zu spielen, wobei sie rhythmisch den Einsätzen eines Metronoms folgen sollten.
Eine Gruppe hörte nur die Einsätze des Metronoms, die zweite zusätzlich einen musikalischen Einsatz im gleichen Rhythmus wie das Metronom und die dritte, als schwierigste Aufgabe, einen musikalischen Einsatz in einem rascheren Rhythmus als das Metronom. Eine Übungssitzung dauerte 30 Minuten.
Alle Probanden durchliefen innerhalb von zwei Wochen zehn Sitzungen.
In allen drei Gruppen hatte sich die Geschicklichkeit verbessert. Zwar hatten die Klavierübungen die Architektur der weißen Substanz des Gehirns nicht nachweisbar beeinflusst, aber die graue Substanz in Gehirnbereichen, die Bewegungen koordinieren, hatte ihr Volumen signifikant verändert, wie Messungen mit funktioneller MRT ergaben.
In jener Gruppe, die mit einem rascheren musikalischen Rhythmus als dem vom Metronom vorgegebenen zurechtkommen musste, veränderte sich das Volumen der grauen Masse in noch größerem Ausmaß.
Musikalische Stimulation während eines Bewegungstrainings verbessere also die motorische Leistungsfähigkeit und beeinflusse die strukturale Plastizität der grauen Masse, resümieren die Forscher. (ENS Abstract O 316, ENS Abstract O 318, ENS Abstract P 780).