Hirn außer Lot
Lust auf Kot
Verschlingt jemand die eigenen Exkremente, hat wohl die Amygdala einen Schaden. Am häufigsten lösen Demenz und Hirntumoren eine Koprophagie aus. Wie lässt sich das Verhalten stoppen?
Veröffentlicht:ROCHESTER. Ekel ist ein tief verwurzeltes Schutzprogramm, es soll uns vor Gesundheitsgefahren bewahren. Riecht oder schmeckt etwas widerlich, kann es kaum gesund sein.
Ist das Ekelgefühl ausgeschaltet, muss schon ein essenzieller Teil des Gehirns defekt sein. Genau das ist offenbar bei Personen der Fall, die nicht davor zurückschrecken, ihren eigenen Kot zu essen.
Hier lässt sich meist eine mediale Temporallappenatrophie oder -läsion feststellen, berichten Neurologen von der Mayo Clinic in Rochester.
Ein Team um Dr. Keith Josephs hat die Datenbank der Klinik nach Patienten durchforstet, bei denen eine Koprophagie notiert worden war. Insgesamt trat dieses Problem bei zwölf Erwachsenen im Laufe von 20 Jahren auf, sechs davon waren Männer (J Neurol 2016; 263(5): 1008-1014).
Die Hälfte hat eine Demenz
Die Hälfte der Betroffenen hatte eine Demenzdiagnose. Bei einem 20-Jährigen war zuvor ein frontaler Hirntumor entfernt worden und als Komplikation ein Infarkt der vorderen Zerebralarterie aufgetreten.
Bei einem weiteren Hirntumorpatienten dürfte eine Steroidpsychose zu dem Verhalten beigetragen haben, ein anderer Patient hatte nach multiplen Infarkten schwere epileptische Anfälle entwickelt, einer litt an tuberöser Sklerose.
Nur bei zwei Betroffenen zeigten sich in der zerebralen Bildgebung keine Auffälligkeiten – sie hatten jedoch geistige Behinderungen, Epilepsien und/oder Psychosen.
Begleitet wurde die Koprophagie häufig von einem Verschmieren des Stuhls, aggressivem Verhalten, sexueller Hyperaktivität oder dem Verlangen, jegliche Art von Gegenständen zu verschlingen. Ein Patient gab an, er wollte sich mit seinem Kot umbringen.
Bei den Demenzpatienten zeigte sich in der Bildgebung durchweg eine moderate bis schwere mediale Temporallappenatrophie, auch der Frontallappen war geschrumpft, wenngleich deutlich weniger. Bei drei von ihnen hatten die US-amerikanischen Wissenschaftler eine frontotemporale Demenz diagnostiziert, die übrigen zeigten Symptome einer Alzheimerdemenz.
Die Neurologen um Josephs gehen davon aus, dass bei den Demenzpatienten infolge der medialen Temporallappenatrophie auch die Amygdala geschädigt wurde. Damit fehlt möglicherweise das Ekel- und Angstgefühl, das normalerweise eine Koprophagie verhindert. In diese Richtung deuten auch Primatenexperimente: Durch gezielte Amygdalaläsionen lässt sich die Koprophagie induzieren.
Extremer Stress
Für einen Schaden im Mandelkern spricht auch die fehlende Angst bei vielen der Patienten. Ein Patient mit Hirntumor wollte aus einem fahrenden Autos springen, eine demenzkranke Frau warf sich immer wieder aus dem Rollstuhl.
Bei der Therapie ließen die Ärzte kaum ein Psychopharmakon aus: Sie probierten Benzodiazepine, diverse Klassen von Antidepressiva und Antikonvulsiva, doch nur mit Haloperidol (1-3 mg/d) konnten sie die Koprophagie beenden.
Das Antipsychotikum wurde vier der Patienten verabreicht, alle vier hatten auf diese Behandlung angesprochen Mit Quetiapin hatten die Ärzte hingegen keinen Erfolg, ebenso wenig mit einem der anderen Präparate.
Bei dem Patienten mit Steroidpsychose ging der Appetit auf den eigenen Kot zurück, nachdem die Dexamethason-Dosis gesenkt wurde. Bei einem anderen versuchten es die Therapeuten, indem sie ihn in einen einteiligen Anzug inklusive Fausthandschuhe steckten. Der Patient zerbiss jedoch die Fäustlinge und fuhr mit seinem Verhalten fort.
Rascher Therapieerfolg ist wichtig
Nach den bislang eher dürftigen Erkenntnissen sei noch am ehesten Haloperidol als Therapeutikum vorzuschlagen, schreiben die US-Neurologen. Ein rascher Therapieerfolg sei jedoch äußerst wichtig, da die Koprophagie extremen Stress unter den Betreuern verursacht.
Josephs und Mitarbeiter weisen außerdem auf die Gefahren für die Patienten hin: Es seien durchaus schon Todesfälle nach Verzehr der eigenen Exkremente beschrieben worden.