Dauerstress
Mit den Überstunden steigt das Schlaganfall-Risiko
Berufstätige, die viele Überstunden anhäufen, haben ein deutlich höheres Schlaganfall-Risiko. Forscher fordern: Chefs müssen darauf reagieren.
Veröffentlicht:LONDON. Wer exzessiv Überstunden ansammelt, erkrankt offenbar eher an Herz und Gefäßen; hierfür gibt es mittlerweile zahlreiche Hinweise aus großen Studien. Zwei Metaanalysen fanden ein substanziell erhöhtes Risiko für eine koronare Herzerkrankung im Vergleich zu Arbeitnehmern, die sich an die regulären Arbeitszeiten hielten (Am J Epidemiol 2012; 176: 586; J Occup Environ Med 2012; 54: 532).
Den Zusammenhang vor allem mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko legt eine aktuelle Metaanalyse nahe (Lancet 2015; online 20. August). Hier war allerdings die Korrelation mit dem Risiko einer koronaren Herzkrankheit weniger ausgeprägt.
Referenz lag bei 35 - 40 Stunden
Die Forscher um Professor Mika Kivimäki vom University College London hatten beide Entitäten getrennt analysiert. Als Referenz galt eine reguläre Wochenarbeitszeit von 35 - 40 Stunden. Überstunden ("long working hours") waren in den meisten der 25 ausgewerteten Studien als wöchentliche Arbeitszeiten von mindestens 55 Stunden definiert.
Für die KHK-Analyse wurden Daten von 603.838 zunächst asymptomatischen Männern und Frauen aus 24 verschiedenen Kohorten aus Europa, USA und Australien zusammengefasst. Im Laufe der durchschnittlich 8,5-jährigen Nachbeobachtung entwickelten 4768 Teilnehmer entweder ein tödliches oder ein nicht tödlich verlaufendes Koronarereignis.
Für Arbeitnehmer, die Überstunden anhäuften, wurde gegenüber regulär arbeitenden Beschäftigten ein um relative 13 Prozent erhöhtes Risiko, eine KHK zu entwickeln, registriert.
Anders sah das beim Schlaganfall aus: Hier waren 55 Wochenstunden und mehr mit einer signifikanten Risikoerhöhung um relative 33 Prozent assoziiert. In die Schlaganfallanalyse waren die Daten von 528.908 Arbeitnehmern ohne Insult in der Vorgeschichte eingeflossen, die über durchschnittlich 7,2 Jahre nachbeobachtet worden waren.
In dieser Zeit waren 1722 Ereignisse (tödliche und nicht tödliche Schlaganfälle) aufgetreten. Diese relativ niedrige Ereignisrate hing möglicherweise mit dem Durchschnittsalter der Teilnehmer zusammen: Letztere waren zum Ende der Nachbeobachtung im Schnitt noch unter 50 Jahre alt.
Kivimäki und sein Team hatten eine Reihe von möglichen Einflussfaktoren herausgerechnet: außer Alter und Geschlecht vor allem auch körperliche Aktivität, Bluthochdruck, BMI, Rauchen und Alkoholkonsum. Außerdem hatten sie Teilnehmer ausgeschlossen, bei denen das Ereignis in den ersten drei Jahren des Follow-up stattgefunden hatte.
Damit sollte ein Verzerrungsrisiko minimiert werden, welches dadurch entsteht, dass Angestellte, die bereits unter einer Herzerkrankung leiden, des Öfteren schon Jahre vor einem Ereignis ihre Arbeitsstunden reduzieren.
Dosisabhängiger Zusammenhang
Während sich für die KHK kein linearer Trend ergab, fanden die Forscher beim Schlaganfall einen dosisabhängigen Zusammenhang: Wer 41 bis 48 Wochenstunden zusammenbrachte, hatte ein um relative 10 Prozent erhöhtes Schlaganfallrisiko, bei 49 bis 54 Stunden lag der relative Risikoanstieg bei 27 Prozent.
Hinweise auf einen umgekehrten Zusammenhang gab es den Wissenschaftlern zufolge keine, zudem waren die Unterschiede zwischen Männern und Frauen gering.
Der Zusammenhang zwischen Überstunden und erhöhtem Schlaganfallrisiko ist nach Kivimäki und Kollegen biologisch plausibel: So sei in Studien gezeigt worden, dass Schlaganfälle die Folge einer Stressreaktion auf ein zu hohes Arbeitspensum darstellen könnten; beim plötzlichen "Tod durch Überarbeitung" spiele dies des Öfteren eine Rolle.
Wer viele Überstunden macht, sitzt zudem länger; auch dies kann ein vaskuläres Ereignis begünstigen. Drittens neigen Workoholics zu vermehrtem Alkoholkonsum - auch das ist ein Risikofaktor für Schlaganfälle jeden Typs. Letztlich stehen Beweise für einen kausalen Zusammenhang noch aus.
Die Metaanalyse ist dadurch eingeschränkt, dass die Teilnehmer ihre Arbeitszeit selbst einschätzten. Nach Kivimäki et al. wird das Problem dadurch aber wohl eher unter- als überschätzt.