Studie belegt

Paracetamol bringt bei Rückenschmerzen nichts

Schon seit Jahren gibt es Zweifel daran, ob Paracetamol bei Rückenschmerzen die richtige Wahl ist. Jetzt zeigt eine neue Analyse: Wirkung gleich null - dafür bergen die Pillen aber erhebliche Risiken.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Was hilft bei Rückenschmerzen? Paracetamol wohl jedenfalls nicht.

Was hilft bei Rückenschmerzen? Paracetamol wohl jedenfalls nicht.

© iStockphoto / Thinkstock

SYDNEY. Noch immer wird in vielen Leitlinien Paracetamol für die Ersttherapie bei Rücken- und Nackenschmerzen sowie Hüft- und Kniearthrose empfohlen. Dabei hatte bereits 2008 eine Metaanalyse Zweifel an der Wirksamkeit ergeben (Eur Spine J 2008; 17: 1423).

Dies bestätigt nun eine systematische Analyse eines Teams um Dr. Gustavo C. Machado vom George Institute for Global Health in Sydney. Ausgewertet wurden randomisierte und placebokontrollierte Studien (BMJ 2015; 350: h1225).

Primäre Endpunkte waren Schmerz, Einschränkungen der Beweglichkeit und Lebensqualität.

Langzeiteffekte nicht analysiert

In zehn Studien mit 3541 Patienten wurde die Wirksamkeit von Paracetamol bei Hüft- und Kniearthrose geprüft, in drei Studien mit 1825 Patienten bei Rückenschmerzen.

In den meisten Studien wurde das Medikament als Tablette oder Kapsel verabreicht, nur in einer Studie bei Rückenschmerz intravenös (1000 mg einmalig).

Die Dosis lag bei 3000 mg pro Tag (oral) bzw. zwischen 3900 und 4000 mg/Tag. Das Follow-up lag höchstens bei sechs Monaten. Informationen über Langzeiteffekte, also über ein Jahr hinaus, konnten aus den Studien nicht gewonnen werden.

Die Qualität der Evidenz wurde mithilfe des GRADE-Systems (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation) in vier Kategorien eingestuft, von "high quality" bis "very low quality".

Für die Beurteilung der Schmerzstärke und Beweglichkeit wurde eine Punkteskala von 0 (kein Schmerz oder keine Einschränkung der Beweglichkeit) bis 100 (stärkster Schmerz oder vollkommen eingeschränkt) verwendet.

Grundlage dafür ist die visuelle Analogskala und der WOMAC-Score (Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index). Negative Werte bei der Differenz entsprechen einem besseren Abschneiden von Paracetamol.

Aus den Ergebnissen schließen die Forscher, dass Paracetamol zur Linderung von Rückenschmerzen nicht geeignet ist. Im Vergleich zu Placebo betrug über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten die Differenz der Schmerzintensität nur -0,5 Punkte.

Beim Parameter Beweglichkeit lag die Differenz bei 0,4 Punkten. Auch die Lebensqualität war in den Verumgruppen nicht besser als in den Vergleichsgruppen. Die Evidenzqualität war jedes Mal hoch.

Etwas anders lagen die Ergebnisse bei der Auswertung der Studien zur Arthrose. Paracetamol linderte demnach die Schmerzen zwar signifikant stärker als Placebo (-3,7 Punkte) sowie die Beweglichkeit (-2,9 Punkte) - jeweils innerhalb von drei Monaten.

Doch sei dieser Effekt klinisch nicht relevant, so die Wissenschaftler, was für alle Werte unter vier Punkten auf der Skala zwischen 0 und 100 gelte.

Erhöhte Leberwerte

Ein weiteres Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit für anormale Ergebnisse von Leberfunktionstests ist während der Paracetamoltherapie deutlich erhöht.

In drei Studien mit fast 1300 Patienten stellte sich heraus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Leberfunktionswerte AST/ALN über dem 1,5-Fachen der oberen Normgrenze liegen, bei Patienten mit Paracetamolbehandlung im Vergleich zur Placebogruppe fast vier Mal höher ist.

Die Forscher schlagen vor, aufgrund dieser Ergebnisse die Empfehlungen für Paracetamol in Leitlinien zu überdenken. In der bis November 2015 gültigen "Nationalen VersorgungsLeitline Kreuzschmerz" etwa heißt es, dass aufgrund geringer Evidenz und möglicher Nebenwirkungen Paracetamol nicht als Mittel der ersten Wahl empfohlen werden kann.

Und: "Es kann für einen Behandlungsversuch angewendet werden, wobei eine Besserung der Schmerzen binnen einer Woche eintreten sollte."

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 06.05.201511:07 Uhr

Dazu mein Kommentar: Paracetamol-„Bashing“; publiziert im British Medical Journal (BMJ)

http://www.bmj.com/content/350/bmj.h1225/rapid-responses

PARACETAMOL-"BASHING"? - Re: Efficacy and safety of paracetamol for spinal pain and osteoarthritis: systematic review and meta-analysis of randomised placebo controlled trials

To criticize the efficacy and safety of paracetamol by publishing: "Objective - To investigate the efficacy and safety of paracetamol (acetaminophen) in the management of spinal pain and osteoarthritis of the hip or knee" is not reliable when to say in the end of the abstract: "Conclusions - Paracetamol is ineffective in the treatment of low back pain and provides minimal short term benefit for people with osteoarthritis. These results support the reconsideration of recommendations to use paracetamol for patients with low back pain and osteoarthritis of the hip or knee in clinical practice guidelines".

Simple "low back pain" can be caused by muscular discomfort, myogelosis, and misalignments, malposition of the spinal column, scoliosis, overstraining, improper behaviour, or inadequate exercises. A "spinal pain" will be caused by an irritation of the spinal nervous system, the spinal marrow, or neuralgia of the vertebral nerves. Orthopedic experts warn to neglect "red-flag-signs" when complicated spinal pain occurs.

The German guidelines recommend paracetamol only up to 3 grams in the treatment of "low to moderate acute non-specific low back pain". Paracetamol is possible to treat sub-acute and chronic non-specific low back pain. http://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/kreuzschmerz/kreuzschmerz-1au...

The hypothesis that paracetamol 500 mg up to 3 grams a day could be n o t efficient and safe in the treatment of acute non-specific low back pain was not subject of the investigation of G. C. Machado, PhD student, et al. They are concerned about the treatment, efficacy, and safety of paracetamol for (specific or unspecific) spinal pain and osteoarthritis.

They should reconsider that most of acute non-specific low back pain will abate after 5 to 7 days by regaining normal muscular activity with or without physiotherapy. Paracetamol will be helpful but is not urgently needed. Spinal pain and osteoarthritis are different themes.

Dr. med. Thomas G. Schaetzler (MD)
Family Medicine Unit
Public GP-medical office/Fachpraxis Allgemeinmedizin
Kleppingstr. 24 D 44135 Dortmund Germany
th.g.schaetzler@gmx.de
Competing interests: No competing interests

Original-Artikel: http://www.bmj.com/content/350/bmj.h1225

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Ulrich Klar 28.04.201513:06 Uhr

Paracetamol ist primär ein Antipyretikum!

Mal abgesehen ob diese Metaanalyse nun ungenau durchgefuehrt wurde oder nicht ...
Paracetamol ist primär ein hervorragendes Antipyretikum aber ein miserables Analgetikum. Von allen verfügbaren Nicht-Opioid-Analgetika hat es die mit Abstand geringste analytische Wirkung! Und das bei einer geringen therapeutischen Breite und potenziell lebensbedrohlichen Nebenwirkungen.
Als Selbstmedikation aus der Hausapotheke bei leichten Kopfschmerzen ... meinetwegen. Aber bei wirklich behandlungbeduerftiger Symptomatik: bitte ein wirkliches Analgetikum.
Mit freundlichen Grüßen!
Dr. Ulrich Klar, FA fuer Anaesthesiologie, Spanien

Dr. Thomas Georg Schätzler 27.04.201523:32 Uhr

Studienlage bei "off-label-use" von Paracetamol verwundert nicht!

"Paracetamol bringt bei Rückenschmerzen nichts" kann nach dem deutschen Arzneimittelrecht kaum verwundern. In Klinik und Praxis habe ich bei orthopädisch definierter Symptomatik bisher nie Paracetamol als "first-line" Präparat angesehen oder angewandt. Der offizielle Beipackzettel für den "Klassiker" ben-u-ron® als 500 mg Tabletten definiert unter "4. Klinische Angaben - 4.1 Anwendungsgebiete - Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen und/oder Fieber".

Im "European Spine Journal" (Eur Spine J 2008; 17: 1423) wird unter dem Titel "A systematic review of paracetamol for non-specific low back pain" von R. A. Davies et al. über den "nicht-spezifischen unteren Rückenschmerz" publiziert. Schlussfolgernd werden die Evaluation von Paracetamol durch umfangreiche randomisierte, kontrollierte RCT-Studien von hoher Qualität gefordert, um die glaubwürdige Evidenz der Effektivität von Paracetamol bei Patienten mit nicht-spezifischem unteren Rückenschmerz zu erbringen und um die Validität von Empfehlungen in klinischen Leitlinien zu etablieren ["There is a clear need for large, high quality randomized controlled trials evaluating paracetamol, to provide reliable evidence of paracetamol’s effectiveness in patients with low back pain and to establish the validity of the recommendations in clinical guidelines"]. Von Nackenschmerzen sowie Hüft- und Kniearthrosen war damals nicht mal ansatzweise die Rede.

Die aktuelle Veröffentlichung im BMJ (BMJ 2015; 350: h1225): "Efficacy and safety of paracetamol for spinal pain and osteoarthritis: systematic review and meta-analysis of randomised placebo controlled trials" von G. C. Machado, PhD student, et al. (!) entlarvt sich bereits im seinem "Abstract" als Produkt spekulativer studentischer Ungenauigkeit. Anfangs heißt es noch unter Untersuchungsgegenstand: Untersuchung zur Effektivität und Sicherheit von Paracetamol (Acetaminophen) bei der Behandlung von spinalen Schmerzen und Osteoarthritis von Hüft- und Kniegelenk ["Objective - To investigate the efficacy and safety of paracetamol (acetaminophen) in the management of spinal pain and osteoarthritis of the hip or knee"].

In krassem Gegensatz ist bei den Schlussfolgerungen unverständlicherweise nur noch von Paracetamol-Ineffektivität bei der Behandlung des unteren Rückenschmerzes, spezifisch oder nicht-spezifisch blieb offen, und von minimalem Kurzzeit-Benefit bei Osteoarthritis die Rede: "Conclusions - Paracetamol is ineffective in the treatment of low back pain and provides minimal short term benefit for people with osteoarthritis. These results support the reconsideration of recommendations to use paracetamol for patients with low back pain and osteoarthritis of the hip or knee in clinical practice guidelines". Vom Management spinaler Schmerzen ["management of spinal pain"] ist auf einmal gar keine Rede mehr.

Abgesehen davon sind mir keine validen Daten bekannt, dass ausgerechnet eine Osteoarthritis des Hüft- oder Kniegelenks, auch als aktivierte Arthrose bekannt, und spinale Schmerzen n i c h t mit Cox-1 und Cox-2-Inhibitoren, NSAR wie Naproxen, Ibuprofen bzw. orthopädischerseits bevorzugt mit Diclofenac und Kortison, sondern ausgerechnet nur mit Paracetamol behandelt werden sollten? Wenn man nicht gleich zu Physiotherapie, REHA-Sport und aktivierenden, Muskel aufbauenden Maßnahmen bei gleichzeitiger Gewichts- und Risikofaktoren-Reduktion rät?

So bleibt das Paracetamol-"Bashing" vordergründig: Ob mit oder ohne Medikation, orthopädischer "Mischspritze", kraniosakraler Therapie, physiotherapeutischer Intervention, osteopathischer Manipulation; der unspezifische untere Rückenschmerz heilt in der Mehrzahl der Fälle auch spontan aus. Jeder Handwerker, der einmal in gebückter Zwangshaltung Gewerke ausführen musste, weiß davon ein Lied zu singen.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund



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