Kinesio-Tapes

Psychodoping, Kraftverstärker oder Show?

Qietschbunt sind Schultern, Beine, Bäuche und Rücken der Athleten bei der diesjährigen Olympiade. Ein Modegag oder die neue Art legalen Dopings?

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Rosa Po: Kinesio-Tapes der deutschen Beach-Volleyballerin Ilka Semmler in London.

Rosa Po: Kinesio-Tapes der deutschen Beach-Volleyballerin Ilka Semmler in London.

© Neil Munns / EPA / dpa

LONDON. Nicht erst seit den olympischen Spielen in London tauchen die elastischen Pflaster auf: Kinesio-Tapes. Erfunden wurde das Taping bereits in den 1970er-Jahren.

Damals testete der japanische Chiropraktiker Kenzo Kase die zunächst hautfarbenen Bänder erstmals an Sumo-Ringern. Bei den olympischen Spielen 2008 wurde es dann schon etwas bunter.

Spätestens seit Italiens Superstar Mario Balotelli bei der diesjährigen Fußball-EM sein Hemd lupfte und auf seinem Rücken drei riesige türkisfarbene Streifen sichtbar wurden, fragt sich die halbe Welt, ob es sich dabei um eine neue Show oder irgendeine medizinische Maßnahme handelt.

Der Chef-Physiotherapeut des deutschen Olympia-Teams Klaus Eder schätzt, dass mittlerweile zwischen 30 und 40 Prozent der Olympiateilnehmer auf die bunten Aufkleber schwören.

Auch er selbst verwendet sie bei den Spielern der deutschen DFB-Auswahl seit zehn Jahren sowohl präventiv als auch in der Rehabilitation.

Wirkt wie eine Dauermassage

Den Angaben der Hersteller sowie den Schwärmereien der Anwender zufolge muss es sich bei dem Kinesio-Tape um die sportliche Variante einer eierlegenden Wollmilchsau handeln.

Die Bänder, die in Dicke und Dehnbarkeit der menschlichen Haut ähneln, werden mittlerweile in den verschiedensten Bereichen eingesetzt, etwa bei Muskelverletzungen und -verspannungen, Achillessehnenreizungen, Bänderdehnungen, geschwollenen Gelenken, nach orthopädischen Operationen, aber auch zur Schmerzlinderung bei Sportverletzungen sowie prophylaktisch zur Stabilisierung und besseren Funktion bestimmter Muskelbereiche im Leistungssport.

Die luftdurchlässigen, wasserfesten Klebestreifen sind etwa fünf Zentimeter breit und bestehen aus fein gewebter Baumwolle. Auf ihrer Rückseite ist wellenförmig ein Acrylkleber aufgebracht.

Durch das Anbringen der Bänder wird die Haut an den getapten Stellen etwas angehoben. Die dabei entstehende Druckentlastung soll die Blut- und Lymphzirkulation anregen und einen gewissen Massageeffekt haben.

Dieser hält deutlich länger an als die Behandlung beim Physiotherapeuten, da das Pflaster über mehrere Tage kleben bleiben kann. Je nachdem, wie die Bänder angebracht werden, kommt es zur Anspannung oder Entspannung der entsprechenden Muskulatur.

Spezielle Schmerztapes etwa werden unter maximaler Zugwirkung aufgeklebt. So sollen die Mechanorezeptoren der Haut aktiviert und Schmerzrezeptoren blockiert werden, um eine Schonhaltung zu durchbrechen und die schmerzfreie Bewegung zu ermöglichen.

Psychodoping nach Farbcode?

Mittlerweile sind die Tapes in 17 Farben im Handel, und es gibt ernsthafte Diskussionen um deren unterschiedliche Wirkung. So gilt das rote Band als durchblutungsfördernd, wer hingegen Beruhigung sucht, wählt blau.

Beige soll den Lymphfluss antreiben, gelb die Laune heben und grün die Regeneration fördern.

Aber ganz abgesehen von Kult und Glauben, möglicherweise erleichtern diese Angaben ja, angesichts des straffen Trainingsplans der Sportler, die allmorgendlich quälende Frage: Welches Band trage ich heute? Und wer dran glaubt, der profitiert sicher vom viel beschworenen Placeboeffekt.

Trotz zahlreicher Studien stehen handfeste wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit des Kinesio-Tapings nämlich noch aus. In einer aktuellen Metaanalyse (Sports Medicine 2012; 42(2): 153-164) untersuchten neuseeländische Wissenschaftler, was Kinesio-Tapes bewirken und wie sie sich von den üblichen elastischen adhäsiven Bandagen unterscheiden.

Nur zehn der 97 publizierten Studien hielten den Einschlusskriterien der Autoren stand.

Zwar zeigten sich in einigen Bereichen einzelne positive Effekte, doch besteht nach Ansicht der Autoren bislang insgesamt noch keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz, die eine therapeutische Empfehlung des Kinesio-Tapings rechtfertigen würde.

Griff auch Bolt zum Pflaster?

Trotz der dünnen Datenlage gehören die bunten Kinesio-Tapes bei vielen Orthopäden und Physiotherapeuten heute schon zum sportmedizinischen Alltag.

Ob die Pflasterkleberei irgendwann in den Kreis der leistungssteigernden Mittel aufgenommen wird, steht derzeit noch in den Sternen.

Der schnellste Mann der Welt, der die 100 Meter am vergangenen Sonntag in 9,63 Sekunden gelaufen ist, war wegen seiner Rückenbeschwerden zuvor bei Bayern Münchens Teamarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in Behandlung gewesen.

Nach dem Lauf hat Usain Bolt wie üblich alles Mögliche veranstaltet, um sein Publikum zu unterhalten, sein Trikot hat er aber nicht gelupft.

Ob auch er Unterstützung durch ein paar bunte Streifen erfahren hat, ob er, wie sein Trainingspartner Yohan Blake, 16 Bananen am Tag verputzte, oder ob er einfach nur maßlos fit war, wird wohl sein Geheimnis bleiben.

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Kommentare
Dr. Horst Grünwoldt 09.08.201211:53 Uhr

Vodoo

Solange die Klebebänder keinen perkutanen Wirkstoff tragen, dürfte es sich um einen psychodelischen Vodoo- Kult handeln, der die Athleten wieder teuer zu stehen kommt.
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt, Rostock

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