Studie mit gesunden Menschen

"Psychose" nach Schlafentzug

Schlafentzug führt zu Schizophrenie-Symptomen mit ausgeprägten Aufmerksamkeitsdefiziten.

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BONN. Ein 24-stündiger Schlafentzug kann bei gesunden Menschen zu Zuständen führen, die der Schizophrenie ähnlich sind. Das hat ein internationales Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn und des King's College London herausgefunden (The Journal of Neuroscience 2014, 34(27): 9134-9140).

Die Wissenschaftler untersuchten im Schlaflabor insgesamt 24 gesunde Probandenbeiderlei Geschlechts im Alter von 18 bis 40 Jahren, teilt die Uniklinik Bonn mit. In einem ersten Durchgang sollten die Testpersonen ganz normal durchschlafen.

Rund eine Woche später wurden sie die ganze Nacht über mit Filmen, Gesprächen, Spielen und kurzen Spaziergängen wachgehalten. Am nächsten Morgen wurden die Probanden zu ihren Eindrücken befragt. Außerdem fand eine Präpulsinhibition statt.

"Die Präpulsinhibition ist ein Standardtest zur Messung der Filterfunktion des Gehirns", wird Erstautorin Dr. Nadine Petrovsky in der Mitteilung zitiert. In dem Experiment ertönt über Kopfhörer ein lautes Geräusch. Bei den Probanden tritt daraufhin eine Schreckreaktion ein, die anhand der Kontraktion der Gesichtsmuskeln mittels Elektroden erfasst wird.

Wird zuvor ein schwächerer Reiz als "Präpuls" gesetzt, fällt die Schreckreaktion geringer aus. "Die Präpulsinhibition zeigt eine bedeutende Funktion des Gehirns: Filter trennen Wichtiges von Unwichtigem und beugen einer Reizüberflutung vor", sagt Petrovsky.

Informationsflut für zu Chaos im Gehirn

Bei den Probanden war diese Filterleistung des Gehirns nach einer durchwachten Nacht stark reduziert. "Es kam zu ausgeprägten Aufmerksamkeitsdefiziten, wie sie auch typischerweise bei einer Schizophrenie auftreten", berichtet Professor Ulrich Ettinger vom Institut für Psychologie der Universität Bonn.

"Die unselektierte Informationsflut führte zu einem Chaos im Gehirn." Nach dem Schlafentzug gaben die Probanden zudem in Fragebögen an, etwa sensibler für Licht, Farbe oder Helligkeit zu sein.

Zeitgefühl und Geruchssinn waren demnach verändert, die Gedanken sprangen. Manche Übernächtigen hatten sogar den Eindruck, Gedanken lesen zu können oder eine veränderte Körperwahrnehmung zu bemerken. "Wir hatten nicht erwartet, dass die Symptome nach einer durchwachten Nacht so ausgeprägt sein können", sagt der Psychologe.

Die Wissenschaftler verweisen darauf, dass dieser Zusammenhang bei Menschen näher untersucht werden sollte, die nachts arbeiten müssen. Zudem könne Schlafentzug als ein Modellsystem für die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Psychosen dienen. Gefährlich ist das Schlafentzugsmodell übrigens nicht: Nach einem ausgiebigen Erholungsschlaf sind die Symptome wieder verschwunden. (eb)

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Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 04.07.201410:05 Uhr

Das ist wirklich nichts neues, deshalb aber nicht ungefährlich.

Denn nicht nur Schizophrenie-Symptome, sondern auch epileptische Anfälle können dadurch ausgelöst werden.
Jedes Gehirn kann krampfen, zunehmend auch im Alter.
Das bestätigt auch, dass die Fähigkeit, "sich zu konzentrieren" eine hohe Leistung menschlicher Psyche darstellt, was gelegentlich abwertend als Unfähigkeit angesehen wird, angeblich viele Dinge "gleichzeitig" tun zu können.
Andererseits zeigen Untersuchungen, dass die übermäßige Ausdehnung von "Erholung" (Schlaf) auch wieder gesundheitliche Nachteile bringt. "Das Gehirn" möchte schon lieber beschäftigt sein, wie der Muskel, auch wenns mal "ein bischen weh tut".

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