"Schering-Preisträger hat bioethische Debatte versachlicht"
Der Erfolg der Forscher bei der Verjüngung von Zellen senkt inzwischen den ethisch umstrittenen Bedarf an humanen embryonalen Stammzellen. Das ist mit ein Verdienst des Stammzellforschers Professor Rudolf Jaenisch.
Veröffentlicht:BERLIN. Warum wird in der Embryonalentwicklung eine Zelle zu einer Nervenzelle, eine zweite Zelle direkt daneben aber zu einer Hautzelle oder zu etwas völlig anderem? Warum können sich embryonale Zellen nahezu beliebig verwandeln, differenzierte Körperzellen aber nicht mehr? Gibt es Möglichkeiten, diesen Prozess rückgängig zu machen? Und wenn ja, welche sind das?
Reprogrammierung war für viele eine Sensation
Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich der deutsch-US-amerikanische Wissenschaftler Professor Rudolf Jaenisch seit Jahrzehnten. Für seine Leistungen auf den Gebieten der Entwicklungsbiologie und - in den vergangenen Jahren - der Erforschung von embryonalen Stammzellen hat er jetzt, wie gemeldet, den von der Schering-Stiftung verliehenen und mit 50 000 Euro dotierten Ernst Schering Preis 2009 erhalten.
Gerade die Stammzellforschung hat dem am Whitehead-Institute for Biomedical Research in Cambridge in Massachusetts arbeitenden Jaenisch in den letzten Jahren auch in Deutschland viel Aufmerksamkeit beschert. Jaenisch leitet eine von drei Arbeitsgruppen, die - nach bahnbrechenden Vorarbeiten des japanischen Stammzellforschers Professor Shinya Yamanaka - im Jahr 2007 zeitgleich über die Erzeugung von iPS-Zellen berichteten. Das Akronym steht für "induzierte pluripotente Stammzellen" - sie entstehen aus Zellen, deren Entwicklungsuhr zurückgedreht wurde. Die iPS-Zellen verhalten sich wie embryonale Stammzellen, können sich also in fast jede der mehr als 200 Zellarten verwandeln.
Diese Reprogrammierung adulter Zellen war für viele Forscher eine Sensation. Aber auch die deutschen Feuilletons jubelten. Denn hier deutete sich eine Quelle von universell bei Zell- und Gewebetherapien nutzbaren Stammzellen an, die all jene ethischen Probleme nicht aufwiesen, die mit humanen embryonalen Stammzellen verbunden sind.
Tatsächlich habe man beobachten können, dass der Bedarf an humanen embryonalen Stammzellen seit Beginn dieser Experimente stark zurückgegangen sei, betonte der Vorsitzende des Stiftungsrats der Schering-Stiftung, Professor Reinhard Kurth, in seiner Würdigung bei der Preisverleihung in Berlin. Das therapeutische Versprechen, mit dem embryonale Stammzellen unter dem Stichwort "therapeutisches Klonen" angetreten sind, nämlich die Erzeugung beliebiger Ersatzgewebe für Transplantationen, könnte künftig ethisch unproblematisch von den iPS-Zellen eingelöst werden.
Jaenisch jedenfalls ist da felsenfest überzeugt: "Die Vorstellung, dass wir nach dem iPS-Verfahren erzeugte Zellen mit therapeutischer Intention transplantieren können, halte ich für sehr realistisch." Tatsächlich ist das in Versuchen mit Mäusen bereits gelungen. Jaenisch selbst hat 2007 über die Therapie einer Maus mit Sichelzellanämie durch Transplantation von iPS-Zellen berichtet. Die Maus trug das Gen für die (menschliche) Sichelzellanämie. Jaenisch erzeugte iPS-Zellen, korrigierte den Gendefekt in vitro, lenkte die Entwicklung der Zellen zu hämatopoetischen Vorläuferzellen und transplantierte sie ins Knochenmark. Die Maus war geheilt.
Es gebe keinen Grund, warum sich dieses Prinzip nicht auf die Anwendung bei Menschen übertragen lassen sollte, so Jaenisch. Technisch gebe es freilich noch erheblichen Verbesserungsbedarf: Die Differenzierung ist bei menschlichen Zellen noch ineffizient. Auch der optimale Weg, um die nötigen genetischen Veränderungen einzufügen, ist - anders als bei Mäusen - noch nicht gefunden. "Das sind aber alles lösbare Probleme", ist sich Jaenisch sicher.
Seine wissenschaftlichen Meriten hat sich Jaenisch übrigens nicht mit embryonalen Stammzellen verdient. Zu seinen maßgeblichen Beiträgen für die Biomedizin gehörten die erste Herstellung von transgenen Mäusen - die also fremde Gene im Erbgut tragen - sowie Arbeiten zur Regulation von Genen durch chemische Modifizierung und zur Krebsentstehung.
Die Hysterie mancher Forscher ist Jaenisch fremd
Das war in den 70er und 80er Jahren. Einer breiteren nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit bekannt wurde Jaenisch 2001, als er zusammen mit Dr. Ian Wilmut - dem "Vater" des Klonschafs Dolly - das Manifest "Don't clone humans!" ("Klont keine Menschen!") verfasste.
Da war Jaenisch längst in den USA. "Jaenisch ist der deutschen Forschung durch seinen Wechsel an das Whitehead Institute im Jahr 1984 tragisch verloren gegangen", sagte Kurth. Der Diskussion über seine Arbeit freilich hat er sich nie entzogen. Im Gegenteil: In die bioethischen Debatten der letzten Jahre in Deutschland hat er sich immer wieder von den USA aus eingeschaltet. Die Hysterie mancher deutscher Forschungskollegen war ihm dabei fremd. "Er war immer eine besonnene Stimme und hat viel zur Versachlichung der Debatte beigetragen", betonte Kurth.