Interview
"Silikon kann auch bei intakter Hülle ins Gewebe gelangen"
350 Brustimplantate hat die Unifrauenklinik Heidelberg vom niederländischen Anbieter ROFIL bezogen - einige davon waren minderwertige PIP-Produkte. Wie viele Billig-Silikonkissen implantiert wurden, ist nicht bekannt, erklärt Klinikchef Professor Christof Sohn im Interview mit der "Ärzte Zeitung".
Veröffentlicht:Professor Christof Sohn
Aktuelle Position: Geschäftsführender Ärztlicher Direktor der Unifrauenklinik Heidelberg
Werdegang: Medizinstudium in Ulm und berufliche Stationen an der RWTH Aachen und an der Uniklinik Essen. 1993 Habilitation in Heidelberg. 1997 Berufung an die Uniklinik Frankfurt/Main und 2000 an die MH Hannover. Seit 2004 in Heidelberg
Privates: Jahrgang 1961, verheiratet und drei Kinder
Ärzte Zeitung: Sie fühlen sich von dem Brustimplantate-Hersteller ROFIL getäuscht. Was versprechen Sie sich als Klinikchef von einer Strafanzeige gegen Unbekannt?
Christof Sohn: Zunächst zu den Fakten: Die niederländische Firma ROFIL, bislang als Hersteller von Markenprothesen mit dem europäischen CE-Siegel bekannt, hat offenbar minderwertige Prothesen der französischen Firma PIP verwendet und als ROFIL-Prothesen verkauft. Viele Kliniken in Deutschland haben diese dann, unter der Annahme, ein hochwertiges Produkt zu verwenden, den Patientinnen implantiert.
Für unsere Nachfragen und Nachforschungen sind leider beide Firmen nicht mehr erreichbar, denn sie sind wohl insolvent. Somit können wir uns nicht sicher sein, welche der ROFIL-Prothesen nun hochwertig sind und welche nicht.
Mit der Strafanzeige geht es uns um Aufklärung. Denn wenn eine Anzeige vorliegt, muss eine Untersuchung des Sachverhaltes erfolgen. Wir wissen nämlich letztendlich nicht, hinter welchen und wie vielen Prothesenchargen von ROFIL minderwertige PIP-Podukte stecken.
Ärzte Zeitung: Was empfehlen Sie nun den Betroffenen?
Sohn: Uns bleibt somit nur, allen unseren Patientinnen mit ROFIL-Prothesen den Wechsel derselben anzuraten, obwohl wir davon ausgehen, dass längst nicht alle Patientinnen tatsächlich davon betroffen sind. Bei unseren Recherchen haben wir festgestellt, dass auf dem überwiegenden Teil der Prothesen der Name eines holländischen Herstellers aufgedruckt ist und bei einigen wenigen PIP verzeichnet ist.
Warum wir also zum Wechsel raten, ist - also neben der Unsicherheit, welche Implantate nun tatsächlich hochwertig sind und welche nicht - natürlich die Gefahr, dass das Silikon aus der Prothesenhülle regelrecht "ausgeschwitzt" wird und so auch bei intakter Hülle ins Gewebe gelangen kann. Da muss es gar nicht einmal zu einer Ruptur gekommen sein.
Ob dann erneut eine Silikonprothese oder andere rekonstruktive Operationen empfohlen werden, hängt von der individuellen Situation ab und wird im Einzelnen besprochen. Grundsätzlich spricht aber nichts gegen den erneuten Einsatz von Prothesen.
Ärzte Zeitung: Inwieweit werden die Patientinnen in Heidelberg an den Kosten der Kontrolluntersuchungen, der Explantation und gegebenenfalls der Versorgung mit einem neuen Implantat beteiligt?
Sohn: Falls die Prothese aufgrund einer medizinischen Indikation implantiert wurde, wie zum Beispiel zur Rekonstruktion nach einer Mammakarzinomoperation, haben die Kassen eine Übernahme der Kosten zugesagt. Da den Patientinnen grundsätzlich der Prothesenwechsel empfohlen wird, ist eine zusätzliche bildgebende Diagnostik im Einzelfall zu erwägen.
Diese Kosten sollten von den Kassen ebenfalls übernommen werden. Bei "Schönheitsoperationen" werden wohl nur die Kosten für die Explantation von den Kassen übernommen.
Das Interview führte Ingeborg Bördlein-Wahl
350 ROFIL-Implantate mit fraglicher Qualität
Auch an der Heidelberger Universitäts-Frauenklinik sind entgegen einer Entwarnung am 4. Januar minderwertige Brustimplantate implantiert worden (wir berichteten). Die Implantate sind zum großen Teil als Markenprothesen von der ROFIL MEDRO GmbH bezogen worden.
Nach einer Kontrollaktion der französischen Behörden habe sich herausgestellt, dass ROFIL, ein Hersteller von Marken-Implantaten, wohl billige Silikon-Implantate der französischen Firma PIP bezogen hat. Da die Heidelberger Klinik ein Implantatregister führt, können alle Patientinnen identifiziert werden, die möglicherweise ein minderwertiges Implantat erhalten haben.
Von fraglicher Qualität sind 350 Implantate der Firma ROFIL, die zwischen 2001 und 2010 bei Brustkrebspatientinnen implantiert worden sind. Das Universitätsklinikum Heidelberg hat in dieser Sache mittlerweile Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. (bd)