Prävention der Zukunft
So schützen wir Kinder morgen vor Diabetes
Immer mehr Kinder leiden an Typ-1-Diabetes. Durch Früherkennungsuntersuchungen könnten ihnen heute schon schwere Komplikationen erspart bleiben. Möglich wäre aber noch viel mehr.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Nicht nur Diabetes vom Typ 2, sondern auch die Typ-1-Erkrankung nimmt seit Ende der 1980er-Jahre kontinuierlich zu. Im Jahr 2013 wurde in Deutschland bei etwa 2300 Kindern ein Typ-1-Diabetes neudiagnostiziert.
"Wenn die Inzidenz weiter so ansteigt wie bisher, dann wird sich die Zahl der Neudiagnosen in den nächsten zwölf Jahren verdoppeln", warnte PD Dr. Peter Achenbach im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
Laut dem stellvertretenden Leiter des Instituts für Diabetesforschung (IDF) am Helmholtz Zentrum München handelt es sich dabei um ein weltweites Phänomen. Die höchsten Inzidenzen haben derzeit Finnland und Sardinien, die größten Zuwachsraten finden sich in Ländern, in denen eine westliche Lebensweise erst vor Kurzem Einzug gehalten hat.
Ist also auch die Ausbreitung von Typ-1-Diabetes eine Folge des modernen Lebensstils? "Ursächlich ist immer ein Zusammenspiel von genetischem Background und Umweltfaktoren", so Achenbach. Eine Reihe von Risikogenvarianten ist bereits bekannt, sie begünstigen die Erkrankung über eine veränderte Immunregulation.
Der Anteil von Hochrisikogenvarianten ist allerdings relativ konstant. Bei den Umweltfaktoren hat man in kleineren Kohortenstudien zumindest einige Verdächtige ausgemacht, zum Beispiel virale Atemwegserkrankungen im ersten Lebensjahr oder bestimmte Komponenten der frühkindlichen Ernährung.
Studie zu externen Faktoren
In Interventionsstudien mit hydrolysierter statt normaler Kuhmilch oder mit längerem Glutenverzicht ist es bislang aber nicht gelungen, solche Vermutungen zu bestätigen. Auch für den immer wieder diskutierten Zusammenhang mit Impfungen gibt es keinerlei Belege, wie Achenbach betonte.
Mehr Erkenntnisse zu den externen Faktoren, die einen Typ-1-Diabetes befördern oder davor schützen können, erhofft man sich von der TEDDY-Studie (The Environmental Determinants of Diabetes in the Young).
An der Studie nehmen mehr als 8000 Kinder, unter anderem aus Deutschland, teil, die eine genetische Prädisposition für die Autoimmunerkrankung aufweisen und mittlerweile seit über zehn Jahren beobachtet werden. "Es gibt aber sicher nicht den einen Umweltfaktor, sondern eine Bandbreite von Umweltfaktoren, die den Autoimmunprozess vorantreiben", stellte Achenbach klar.
Problematisch ist nach wie vor die Diagnose eines Typ-1-Diabetes. Weil Symptome wie starker Durst und häufiges Wasserlassen oder Gewichtsabnahme bei Kindern oft auf Sommerhitze, Schwitzen oder eine Erkältung geschoben werden, wird die Erkrankung in jedem dritten Fall erst dann erkannt, wenn der Organismus bereits übersäuert ist.
Für eines von 400 Kindern ist die Ketoazidose tödlich. Dabei wären solche Komplikationen heute eigentlich vermeidbar. Durch einen Bluttest ist es möglich, die Erkrankung schon im präklinischen Stadium zu erkennen.
Drei Diagnose-Stadien
Aus einer Langzeitbeobachtung von fast 14.000 Kindern aus Risikofamilien weiß man, dass es ab einem bestimmten Grad der Autoimmunreaktion gegen die Betazellen "kein Zurück mehr gibt", so Achenbach.
Lassen sich bei einem Kind mindestens zwei Inselautoantikörper nachweisen, dann erkrankt es mit nahezu 100%iger Sicherheit an Typ-1-Diabetes, manchmal sehr schnell, manchmal auch erst innerhalb von 15-20 Jahren (JAMA 2013; 309: 2473-9).
Führende Diabetesforschungsinstitutionen plädieren daher dafür, diese Phase als Stadium 1 des Typ-1-Diabetes zu klassifizieren (Diabetes Care 2015; 38: 1964-74). Im Stadium 2 kommt eine Glukoseintoleranz hinzu. Die klinische Manifestation fällt nach dieser Einteilung erst in Stadium 3.
Wird die Diagnose schon im Stadium 1 gestellt, hat das laut Achenbach viele Vorteile. "Wir können Eltern und Kinder frühzeitig schulen, den Blutzucker halbjährlich kontrollieren und Symptome schneller zuordnen."
Das IDF hat daher unter dem Namen Fr1da ein weltweit einmaliges Pilotprojekt initiiert: In Bayern können Pädiater alle Kinder zwischen zwei und fünf Jahren auf vier Autoantikörper gegen Betazellen testen.
Bislang beteiligt sich etwa die Hälfte der Kinderärzte, sie haben knapp 24.000 Kinder untersucht. Bei 0,37 Prozent wurde laut Achenbach ein Diabetes im Stadium 1 gefunden. Bei fast drei Viertel von ihnen gibt es keine familiäre Vorbelastung, die auf dieses Risiko hingewiesen hätte. Ein ähnliches Screeningprojekt ist laut Achenbach für Niedersachsen in Planung.
Der Nutzen für positiv getestete Kinder besteht derzeit vor allem in der Vorverlegung der Diagnose, durch die eine Stoffwechselentgleisung vermieden und der Umgang mit der Krankheit vorbereitet werden kann.
Ziel: Fortschreiten der Erkrankung verhindern
Langfristig hofft man, durch eine Intervention in dieser frühen Phase auch das Fortschreiten zu einem klinisch manifesten Diabetes verhindern zu können. Aktuell befinden sich mehrere aussichtsreiche Kandidaten in der klinischen Prüfung.
Das IDF testet unter anderem eine Insulinintervention. Die Idee: Da Insulin häufig das erste Ziel der Autoimmunreaktion ist, versucht man, eine Toleranz gegen das Peptidhormon zu induzieren, indem man noch gesunde Kinder mit familiärer und genetischer Prädisposition mit oralem (und daher nicht blutzuckersenkendem) Insulin behandelt.
In der Phase-1/2-Studie PrePOINT hat sich dieser Ansatz bei Zwei- bis Siebenjährigen als sicher und erfolgversprechend erwiesen. Dosisabhängig kam es zu einer Immunreaktion gegen Insulin, die vom T-Zell-Muster der angestrebten regulatorischen Immunantwort entsprach (JAMA 2015; 313: 1541-49).
Weitere Studien mit oralem Insulin sind geplant. Für die Studie PrePOINT-early mit Kindern zwischen 6 und 24 Monaten läuft derzeit die Rekrutierung. Danach soll die Effektivitätsstudie POINT an den Start gehen.
Orales Insulin wird außerdem in der Sekundärprävention getestet, also bei Kindern, die schon Autoantikörper entwickelt haben. Bis zu einer oralen Schluckimpfung mit Insulin wird es aber in jedem Fall noch dauern. "Selbst wenn alles super läuft, noch mindestens sieben Jahre", so Achenbach.
Kurz vor oder nach der klinischen Manifestation des Typ-1-Diabetes sind laut Achenbach auch "aggressivere" Interventionen denkbar. Hier konzentriert man sich vor allem auf die kurzfristige Immunsuppression durch Antikörper wie Rituximab oder Abatacept.
Besonders gute Chancen räumt Achenbach in dieser Phase der Erkrankung einem Anti-CD3-Antikörper ein, der sich gegen T-Zellen richtet und unter anderem eine Regeneration der regulatorischen T-Zell-Antwort ermöglichen soll.